Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Verdi fordert gleiche Arbeitszeit
Der designierte Verdi-Chef Frank Werneke über seine Idee einer einkommensabhängigen CO-Steuer zum Schutz des Klimas
Berlin. Der designierte neue Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, Frank Werneke, hat angekündigt, für eine Senkung der Arbeitszeit im öffentlichen Dienst in Ostdeutschland kämpfen zu wollen. „Die Unterschiede bei der Arbeitszeit zwischen Ost und West wollen wir bei der Tarifrunde im nächsten Jahr beseitigen“, sagte Werneke dieser Zeitung. Ziel sei die 39-StundenWoche im öffentlichen Dienst in ganz Deutschland. Zugleich kritisierte er die mangelnde Tarifbindung in der ostdeutschen Privatwirtschaft. (fmg)
Berlin.
Draußen, vor den Bürofenstern, ziehen die Ausflugsschiffe auf der Spree vorbei. Drinnen konzentriert sich Frank Werneke auf das Gespräch. In gut zwei Wochen soll der 52-Jährige auf dem Kongress der Gewerkschaft Verdi zum Nachfolger von Frank Bsirske gewählt werden. Im Gespräch will er schon einmal ein paar politische Akzente setzen.
Herr Werneke, in zwei Ländern hat ein Viertel der Wähler die AfD gewählt. Hat Sie das überrascht?
Frank Werneke: Das hat mich weder überrascht noch froh gemacht. Es ist beängstigend, dass so viele Wähler der AfD die Stimme geben – gerade weil beide Landesverbände der Partei offen rechtsradikale Tendenzen zeigen.
Warum wählen die Leute AfD?
Die AfD bekommt Zuspruch aus allen gesellschaftlichen Schichten. Sie ist eine Projektionsfläche für nationalistisches Denken, aber auch für das Ablehnen der Moderne, zum Beispiel der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, von Lesben und Schwulen. Das ist nichts spezifisch Ostdeutsches. Dass sie im Osten starken Zuspruch hat, liegt am Gefühl, nicht genug wahrgenommen zu werden. Dort haben offenbar auch besonders viele Menschen Abstiegsängste.
Wie gefährlich ist die AfD?
Die AfD ist in weiten Teilen rechtsradikal, arbeitnehmerfeindlich und gefährlich für den Erhalt der Demokratie. Das Programm der AfD und das Agieren der Bundestagsfraktion sind einseitig wirtschaftsfreundlich. Die Partei ist gegen den Mindestlohn, für eine Erhöhung des Renteneintrittsalters und will die Bundesagentur für Arbeit abschaffen – das geht alles gegen die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Daneben gibt es aber auch Kräfte, die sozialpopulistisch unterwegs sind: Beispielsweise hat die thüringische AfD ihr rentenpolitisches Konzept bei uns abgeschrieben – der wichtige Unterschied ist allerdings, dass das bessere Rentenniveau nur für Deutsche gelten soll. Das ist fremdenfeindlich und von rassistischem Denken geprägt.
30 Jahre nach der Wiedervereinigung ist der Osten bei den Gehältern und der Rente noch nicht auf West-Niveau. Waren Sie da als Gewerkschaft zu nachlässig?
Bei den Gehältern gibt es im Bereich von Verdi fast keine Unterschiede mehr. Im öffentlichen Dienst müssen die meisten Kollegen im Osten noch eine Stunde länger arbeiten. Die Unterschiede bei der Arbeitszeit zwischen Ost und West wollen wir bei der Tarifrunde im nächsten Jahr beseitigen. Ziel ist die 39Stunden-Woche im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen in ganz Deutschland. Ich bin optimistisch, dass uns das gelingen wird. In der Privatwirtschaft sieht es anders aus. Die Hartleibigkeit der Arbeitgeber, Ostdeutschland als Billiglohnland möglichst ohne Tarifabsicherung zu erhalten, ist enorm. In der Privatwirtschaft sind im Osten nur etwas über 20 Prozent der Arbeitsplätze durch Tarifverträge geschützt. Das trägt natürlich zum Frust ostdeutscher Arbeitnehmer bei.
Die SPD-Spitze fordert, die Grundrente müsse schnell kommen. Hilft soziale Absicherung gegen die AfD?
Gute Sozialpolitik hilft gegen Abstiegsängste. Den Menschen die Angst vor Altersarmut zu nehmen, kann dazu führen, dass sie nicht aus Protest AfD wählen. Die Grundrente würde vor allem Frauen mit niedrigen Einkommen und gebrochenen Erwerbsbiografien helfen. Sie bekommen sonst nur Grundsicherung und empfinden das als ungerecht, weil ihre Lebensleistung nicht gewürdigt wird.
Die Rente basiert auf dem Prinzip, dass jeder Euro dieselben Rentenansprüche begründet. Ist es gerecht, diesen Grundsatz mit der Grundrente zu durchbrechen?
Das ist gerecht. Weil das Rentenniveau gesunken ist, bekommen viel weniger Menschen keine auskömmliche Rente mehr – ein Ergebnis der Rentenpolitik der letzten Jahre. Die Menschen haben ja nicht freiwillig wenig in die Rente eingezahlt. Die große Koalition muss jetzt schnell die Grundrente beschließen und umsetzen. Wir Gewerkschaften werden jedenfalls dafür kämpfen.
Wie stark darf der Klimaschutz Arbeitnehmer belasten?
Die Menschen werden den klimaneutralen Umbau unserer Gesellschaft nur dann mitmachen, wenn es dabei sozial gerecht zugeht. Er funktioniert nicht, wenn das Einkommen von Normal- und Geringverdienern schrumpft und Wohlhabende sich gleichzeitig von allen Belastungen wie einer CO2Steuer freikaufen und so ihren Lebensstil unverändert weiterführen können. Dann wird das Projekt scheitern. Ich bin für eine einkommensbezogene CO2-Steuer. Um den CO2-Verbrauch zu reduzieren, wird darauf eine Steuer erhoben. Die Einnahmen fließen dann an die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zurück. Diese Rückzahlung muss einkommensbezogen gestaffelt sein. Das heißt: Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen bekommen proportional mehr zurückgezahlt
als die mit hohen Einkommen. Das wäre gerecht.
Sie sind SPD-Mitglied. Hilft es, wenn die SPD die GroKo verlässt?
Ob es der Zustand der SPD zulässt, werden die nächsten Monate zeigen. Ich habe da keine Empfehlungen zu geben. Nüchtern betrachtet kann man aber sagen: Die SPD hat viel durchgesetzt in dieser großen Koalition. Die Wiederherstellung der Parität in der gesetzlichen Krankenversicherung etwa und die Absicherung des Rentenniveaus bis 2025. Für den Herbst steht noch einiges an. Da wäre es gut, wenn die SPD noch Erfolge vorweisen könnte.
Was sollte die SPD noch durchsetzen in der Koalition?
Meine Erwartungen richten sich an die Union und die SPD gleichermaßen: die Grundrente. Sachgrundlose Befristungen müssen komplett abgeschafft werden. Darunter leiden vor allem jüngere Menschen – leider auch im öffentlichen Dienst, besonders im wissenschaftlichen Bereich. Oder nehmen Sie in der Privatwirtschaft den OnlineHändler Amazon: Da wird erst einmal nur befristet eingestellt, bis es nicht mehr geht. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Ich erwarte, dass die Koalition im Herbst liefert.
„Ziel ist die 39-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst in ganz Deutschland.“