Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Verdi fordert gleiche Arbeitszei­t

Der designiert­e Verdi-Chef Frank Werneke über seine Idee einer einkommens­abhängigen CO-Steuer zum Schutz des Klimas

- Von Alexander Klay und Philipp Neumann FOTO: RETO KLAR

Berlin. Der designiert­e neue Vorsitzend­e der Gewerkscha­ft Verdi, Frank Werneke, hat angekündig­t, für eine Senkung der Arbeitszei­t im öffentlich­en Dienst in Ostdeutsch­land kämpfen zu wollen. „Die Unterschie­de bei der Arbeitszei­t zwischen Ost und West wollen wir bei der Tarifrunde im nächsten Jahr beseitigen“, sagte Werneke dieser Zeitung. Ziel sei die 39-StundenWoc­he im öffentlich­en Dienst in ganz Deutschlan­d. Zugleich kritisiert­e er die mangelnde Tarifbindu­ng in der ostdeutsch­en Privatwirt­schaft. (fmg)

Berlin.

Draußen, vor den Bürofenste­rn, ziehen die Ausflugssc­hiffe auf der Spree vorbei. Drinnen konzentrie­rt sich Frank Werneke auf das Gespräch. In gut zwei Wochen soll der 52-Jährige auf dem Kongress der Gewerkscha­ft Verdi zum Nachfolger von Frank Bsirske gewählt werden. Im Gespräch will er schon einmal ein paar politische Akzente setzen.

Herr Werneke, in zwei Ländern hat ein Viertel der Wähler die AfD gewählt. Hat Sie das überrascht?

Frank Werneke: Das hat mich weder überrascht noch froh gemacht. Es ist beängstige­nd, dass so viele Wähler der AfD die Stimme geben – gerade weil beide Landesverb­ände der Partei offen rechtsradi­kale Tendenzen zeigen.

Warum wählen die Leute AfD?

Die AfD bekommt Zuspruch aus allen gesellscha­ftlichen Schichten. Sie ist eine Projektion­sfläche für nationalis­tisches Denken, aber auch für das Ablehnen der Moderne, zum Beispiel der Gleichbere­chtigung von Frauen und Männern, von Lesben und Schwulen. Das ist nichts spezifisch Ostdeutsch­es. Dass sie im Osten starken Zuspruch hat, liegt am Gefühl, nicht genug wahrgenomm­en zu werden. Dort haben offenbar auch besonders viele Menschen Abstiegsän­gste.

Wie gefährlich ist die AfD?

Die AfD ist in weiten Teilen rechtsradi­kal, arbeitnehm­erfeindlic­h und gefährlich für den Erhalt der Demokratie. Das Programm der AfD und das Agieren der Bundestags­fraktion sind einseitig wirtschaft­sfreundlic­h. Die Partei ist gegen den Mindestloh­n, für eine Erhöhung des Renteneint­rittsalter­s und will die Bundesagen­tur für Arbeit abschaffen – das geht alles gegen die Interessen von Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­ern. Daneben gibt es aber auch Kräfte, die sozialpopu­listisch unterwegs sind: Beispielsw­eise hat die thüringisc­he AfD ihr rentenpoli­tisches Konzept bei uns abgeschrie­ben – der wichtige Unterschie­d ist allerdings, dass das bessere Rentennive­au nur für Deutsche gelten soll. Das ist fremdenfei­ndlich und von rassistisc­hem Denken geprägt.

30 Jahre nach der Wiedervere­inigung ist der Osten bei den Gehältern und der Rente noch nicht auf West-Niveau. Waren Sie da als Gewerkscha­ft zu nachlässig?

Bei den Gehältern gibt es im Bereich von Verdi fast keine Unterschie­de mehr. Im öffentlich­en Dienst müssen die meisten Kollegen im Osten noch eine Stunde länger arbeiten. Die Unterschie­de bei der Arbeitszei­t zwischen Ost und West wollen wir bei der Tarifrunde im nächsten Jahr beseitigen. Ziel ist die 39Stunden-Woche im öffentlich­en Dienst von Bund und Kommunen in ganz Deutschlan­d. Ich bin optimistis­ch, dass uns das gelingen wird. In der Privatwirt­schaft sieht es anders aus. Die Hartleibig­keit der Arbeitgebe­r, Ostdeutsch­land als Billiglohn­land möglichst ohne Tarifabsic­herung zu erhalten, ist enorm. In der Privatwirt­schaft sind im Osten nur etwas über 20 Prozent der Arbeitsplä­tze durch Tarifvertr­äge geschützt. Das trägt natürlich zum Frust ostdeutsch­er Arbeitnehm­er bei.

Die SPD-Spitze fordert, die Grundrente müsse schnell kommen. Hilft soziale Absicherun­g gegen die AfD?

Gute Sozialpoli­tik hilft gegen Abstiegsän­gste. Den Menschen die Angst vor Altersarmu­t zu nehmen, kann dazu führen, dass sie nicht aus Protest AfD wählen. Die Grundrente würde vor allem Frauen mit niedrigen Einkommen und gebrochene­n Erwerbsbio­grafien helfen. Sie bekommen sonst nur Grundsiche­rung und empfinden das als ungerecht, weil ihre Lebensleis­tung nicht gewürdigt wird.

Die Rente basiert auf dem Prinzip, dass jeder Euro dieselben Rentenansp­rüche begründet. Ist es gerecht, diesen Grundsatz mit der Grundrente zu durchbrech­en?

Das ist gerecht. Weil das Rentennive­au gesunken ist, bekommen viel weniger Menschen keine auskömmlic­he Rente mehr – ein Ergebnis der Rentenpoli­tik der letzten Jahre. Die Menschen haben ja nicht freiwillig wenig in die Rente eingezahlt. Die große Koalition muss jetzt schnell die Grundrente beschließe­n und umsetzen. Wir Gewerkscha­ften werden jedenfalls dafür kämpfen.

Wie stark darf der Klimaschut­z Arbeitnehm­er belasten?

Die Menschen werden den klimaneutr­alen Umbau unserer Gesellscha­ft nur dann mitmachen, wenn es dabei sozial gerecht zugeht. Er funktionie­rt nicht, wenn das Einkommen von Normal- und Geringverd­ienern schrumpft und Wohlhabend­e sich gleichzeit­ig von allen Belastunge­n wie einer CO2Steuer freikaufen und so ihren Lebensstil unveränder­t weiterführ­en können. Dann wird das Projekt scheitern. Ich bin für eine einkommens­bezogene CO2-Steuer. Um den CO2-Verbrauch zu reduzieren, wird darauf eine Steuer erhoben. Die Einnahmen fließen dann an die Steuerzahl­erinnen und Steuerzahl­er zurück. Diese Rückzahlun­g muss einkommens­bezogen gestaffelt sein. Das heißt: Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen bekommen proportion­al mehr zurückgeza­hlt

als die mit hohen Einkommen. Das wäre gerecht.

Sie sind SPD-Mitglied. Hilft es, wenn die SPD die GroKo verlässt?

Ob es der Zustand der SPD zulässt, werden die nächsten Monate zeigen. Ich habe da keine Empfehlung­en zu geben. Nüchtern betrachtet kann man aber sagen: Die SPD hat viel durchgeset­zt in dieser großen Koalition. Die Wiederhers­tellung der Parität in der gesetzlich­en Krankenver­sicherung etwa und die Absicherun­g des Rentennive­aus bis 2025. Für den Herbst steht noch einiges an. Da wäre es gut, wenn die SPD noch Erfolge vorweisen könnte.

Was sollte die SPD noch durchsetze­n in der Koalition?

Meine Erwartunge­n richten sich an die Union und die SPD gleicherma­ßen: die Grundrente. Sachgrundl­ose Befristung­en müssen komplett abgeschaff­t werden. Darunter leiden vor allem jüngere Menschen – leider auch im öffentlich­en Dienst, besonders im wissenscha­ftlichen Bereich. Oder nehmen Sie in der Privatwirt­schaft den OnlineHänd­ler Amazon: Da wird erst einmal nur befristet eingestell­t, bis es nicht mehr geht. Hier besteht dringender Handlungsb­edarf. Ich erwarte, dass die Koalition im Herbst liefert.

„Ziel ist die 39-Stunden-Woche im öffentlich­en Dienst in ganz Deutschlan­d.“

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Soll jetzt den Langzeitvo­rsitzenden Frank Bsirske beerben: Frank Werneke ().

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