Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Bienenweid­e auf dem Dach

Öffentlich­er Nahverkehr als Helfer für Insekten: Vom niederländ­ischen Utrecht aus erobert die Idee begrünter Wartehäusc­hen die Städte

- Von Sönke Möhl

Utrecht/Leipzig.

Hummel im Anflug, Wildbiene und Käfer. Begrünte Haltestell­endächer könnten schon bald in vielen deutschen Städten wichtige Lebensräum­e für Insekten werden. Jeweils nur ein paar Quadratmet­er groß, dafür regelmäßig zwischen Häusern, Straßen und Autos verteilt, werden die pflegeleic­hten und luftigen Grünfläche­n zu Überlebens­bereichen für Insekten. Vorreiter ist Utrecht in den Niederland­en. 316 Wartehäusc­hen seien bereits begrünt, heißt es von der Stadt. In vielen deutschen Städten regen sich ähnliche Initiative­n.

Was macht begrünte Dächer so wertvoll? Anders als beim Blech- oder Glasdach läuft Regenwasse­r nicht einfach über die Kanalisati­on ab. Pro Jahr und Dach können je nach Gegend leicht mehr als 3000 Liter zusammenko­mmen. Das nur wenige Zentimeter dicke Bodensubst­rat speichert die Feuchtigke­it, die Pflanzen verbessern mit ihrer Verdunstun­g das Mikroklima der Umgebung. Auch Feinstaub können die Mini-Wiesen aus der Luft filtern. Bei Sonnensche­in bleibt es unter dem Dach kühler, weniger Hitze strahlt in die Umgebung ab.

In Utrecht wachsen auf den Wartehäusc­hen Sedum-Arten wie Mauerpfeff­er. Es sind dickblättr­ige, kleine, zähe Stauden. „Mauerpfeff­er erfreut sich bei Wildbienen einschließ­lich Hummeln einer hohen Beliebthei­t“, sagt Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltfors­chung in Halle. Begrünte Bushäusche­n bilden seinen Angaben zufolge in Kombinatio­n mit anderen Gründächer­n ein Mosaik von Nektar- und zum Teil auch Bruthabita­ten für Insekten. Diese tragen zu einem Biotopverb­und bei, „der es den Bestäubern ermöglicht, in städtische­n Gebieten noch mehr Lebensräum­e zu erschließe­n“.

Die 316 Haltestell­en in Utrecht zusammen ergeben mindestens 1800 Quadratmet­er neuen Lebensraum. Alleine in Berlin gibt es nach Angaben der Verkehrsbe­triebe (BVG) mehrere Tausend Bushaltest­ellen. Deutschlan­ds Städte könnten viele Hektar Grünfläche­n gewinnen.

Für Afra Heil von der Umweltorga­nisation BUND macht es keinen Unterschie­d, dass jede einzelne Fläche klein ist. „Wichtig ist hierbei nur, dass die Art der Bepflanzun­g als Bienenweid­e angelegt wird.“Auch wenn Dachbegrün­ung flächige Bodenveget­ation nicht ersetzen könne, sei sie ein wichtiges Element des Biotopverb­undes. „Begrünunge­n können erheblich zur Erhaltung von Arten beitragen.“

In Leipzig beginnt gerade der Umbau. Dort bekommen nach und nach etwa 500 Häuschen ein Gründach und 400 ein Solardach. Hintergrun­d ist nach Angaben der sächsische­n Stadt ein neuer Vertrag mit einem Dienstleis­ter, der auch die Haltestell­en umfasst. Viele Kommunen schließen mehrjährig­e Verträge mit Unternehme­n über die sogenannte Stadtmöbli­erung ab. Sie erhalten Geld und müssen sich nicht mehr um ihre Buswartehä­uschen kümmern. Die Unternehme­n verwerten dafür die lukrativen Werbefläch­en.

Die Wall GmbH hat solche Verträge mit rund 50 Kommunen in Deutschlan­d, darunter den vier Millionens­tädten. Presserefe­rent Christian Knappe sagt, das Unternehme­n sei offen für die Wünsche der Städte. Beim Mutterkonz­ern JCDecaux gebe es bereits entspreche­nde Konzepte. Am einfachste­n sei die Umsetzung von Dachbegrün­ung, wenn sie bereits Teil der Ausschreib­ung sei.

Das Unternehme­n Ströer Media Deutschlan­d kommt nach Angaben seines Chefs Alexander Stotz auf mehrere Tausend Stadtmöbli­erungs- und Werbenutzu­ngsverträg­e. Das Utrechter Beispiel hält er für einen positiven Vorstoß. Ströer Research & Developmen­t arbeite für gesündere Städte an Lösungen wie Luftfilter­n oder Moos auf Werbeträge­rn. „Generell richten wir uns nach den Vorgaben und Wünschen des jeweiligen Partners, der im Rahmen des Werbenutzu­ngsvertrag­s die inhaltlich­en Vorgaben festlegt.“

In Hamburg läuft der Vertrag mit Wall nach Angaben der Wirtschaft­sbehörde noch bis Ende 2023. Änderungen seien bis dahin nicht vorgesehen, teilt Sprecherin Susanne Meinecke mit. Bei der Vorbereitu­ng für die Neuausschr­eibung der Werberecht­sverträge soll die Begrünung der Fahrgastun­terstände als Kriterium geprüft werden.

Angestoßen hat die Initiative in der Hansestadt die CDU-Bürgerscha­ftsfraktio­n. Deren stellvertr­etender Vorsitzend­er Dennis Thering betont die Bedeutung eines ausreichen­den Nahrungsan­gebots für Insekten auch in Großstädte­n. „Insekten, insbesonde­re Bienen, sind entscheide­nd für den Fortbestan­d unseres ganzen Ökosystems.“

Der Bundesverb­and Gebäudegrü­n lobt die Utrechter Initiative. „Ein vorbildlic­hes Beispiel, das hoffentlic­h viele Nachahmer findet“, teilt Präsident Gunter Mann mit.

Nach Berichten örtlicher Medien befasst sich bereits in etlichen Städten die Kommunalpo­litik mit dem Thema. In Hannover, Düsseldorf und München wird darüber diskutiert. In den niedersäch­sischen Städten Oldenburg und Osnabrück werden entspreche­nde Anträge beraten. Ähnliches gilt für Neuss, Erkrath und Arnsberg in Nordrhein-Westfalen. In Österreich ist die Stadt Villach einem Zeitungsbe­richt zufolge schon einen Schritt weiter. Dort bekamen die ersten fünf Bushaltest­ellen im Juli ein grünes Dach.

Auch in der baden-württember­gischen Landeshaup­tstadt Stuttgart, die immer wieder Feinstauba­larm ausrufen muss, regt sich eine Initiative – stößt aber nach Medienberi­chten schon beim ersten vorgeschla­genen Objekt auf ein bauliches Problem: Das Wartehäusc­hen verfügt über ein gläsernes Spitzdach. Anderenort­s verweisen Stadtverwa­ltungen oder Verkehrsbe­triebe auf das Gewicht von Gründächer­n, für das bisherige Konstrukti­onen nicht ausgelegt seien. (dpa)

 ?? FOTO: BARBRA VERBIJ/DPA ?? Auf dem Dach eines Wartehäusc­hens an einer Bushaltest­elle in Utrecht wachsen kleine, zähe Stauden wie Mauerpfeff­er. Die Pflanze erfreut sich bei Wildbienen und anderen Insekten großer Beliebthei­t.
FOTO: BARBRA VERBIJ/DPA Auf dem Dach eines Wartehäusc­hens an einer Bushaltest­elle in Utrecht wachsen kleine, zähe Stauden wie Mauerpfeff­er. Die Pflanze erfreut sich bei Wildbienen und anderen Insekten großer Beliebthei­t.

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