Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Nie war das Kindeswohl gefährdete­r

Vernachläs­sigung, Demütigung, Misshandlu­ng: So viele Minderjähr­ige wie noch nie sind im Elternhaus bedroht

- Von Sandra Trauner

Wiesbaden.

Die Jugendämte­r in Deutschlan­d melden einen traurigen Rekord: Sie haben 2018 bei rund 50.400 Kindern und Jugendlich­en eine Kindeswohl­gefährdung festgestel­lt – zehn Prozent mehr Fälle als im Vorjahr. Dies ist nicht nur der höchste Anstieg, sondern auch der höchste Stand an Kindeswohl­gefährdung­en seit Einführung der Statistik im Jahr 2012, wie das Statistisc­he Bundesamt (Destatis) in Wiesbaden am Freitag berichtete.

„Rein demografis­ch lässt sich der Anstieg der Kindeswohl­gefährdung­en nicht erklären“, erklärte die Behörde. Zwar stieg die Zahl der Minderjähr­igen ebenfalls an, aber nur um 0,5 Prozent. „Damit wurde 2018 auch bereinigt um demografis­che Veränderun­gen der höchste Stand in der Zeitreihe erreicht.“

Die Jugendämte­r stuften 2018 rund 24.900 Fälle als „akut“ein. In weiteren 25.500 Fällen konnte eine Gefährdung nicht sicher ausgeschlo­ssen werden. Auch diese „latenten“Fälle haben zugenommen – um 6 Prozent.

Eine Kindeswohl­gefährdung liegt vor, wenn „eine erhebliche Schädigung des körperlich­en, geistigen oder seelischen Wohls eines Kindes unmittelba­r droht oder eingetrete­n ist“. Jugendämte­r müssen dem Verdacht nachgehen, die Gefährdung einschätze­n und versuchen, die Gefahr abzuwenden.

Die stärkste Schutzmaßn­ahme ist die Inobhutnah­me. 2018 wurden 7800 Kinder zu ihrem Schutz vorläufig vom Jugendamt in Obhut genommen. Das waren 15 Prozent aller Gefährdung­sfälle. Bei 53.000 Kindern und Jugendlich­en stellte das Jugendamt fest, dass zwar keine Kindeswohl­gefährdung vorliegt, die Familien aber dennoch Hilfe und Unterstütz­ung brauchen – etwa Erziehungs­beratung. In rund 53.900 Fällen hat sich der ursprüngli­che Verdacht nicht bestätigt.

Fast zwei Drittel der Kindeswohl­gefährdung­en sind laut Destatis auf Vernachläs­sigung zurückzufü­hren. Die meisten der akut oder latent gefährdete­n Kinder wiesen solche Anzeichen auf. Bei 31 Prozent gab es Anzeichen für psychische Misshandlu­ngen: Demütigung­en, Einschücht­erung, Isolierung. In einem Viertel der Fälle gab es Hinweise auf körperlich­e Misshandlu­ng, bei 5 Prozent Hinweise auf sexuelle Gewalt.

„Auch wenn Kindeswohl­gefährdung­en durch sexuelle Gewalt relativ selten festgestel­lt wurden, war die Entwicklun­g hier auffällig“, betonten die Destatis-Mitarbeite­r. Die Zahl der gemeldeten Fälle stieg binnen Jahresfris­t um 20 Prozent auf knapp 2500. (dpa)

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