Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Wie das Netz das Kennenlern­en verändert

 Jahre Online-Dating: Die Partnersuc­he wird auf Effizienz getrimmt. Das hat Vorteile, aber nicht nur

- Von Caroline Rosales

Berlin. Wenn Katharina (30) aus Berlin einen Mann auf ein „Kaffee-Date“trifft, ist sie in der Regel gut vorbereite­t: rote Lippen, Skinny-Jeans, hohe Schuhe, wilde Haare. Ihr Kopf führt dann Strichlist­e. Hilft er mir beim Reinkommen ins Café aus der Jacke? Stellt er auch Fragen zu ihr? Oder redet er in vermutlich gewohnter Manier nur von seinen Projekten und sich? Und vor allem: Lädt er sie ein oder muss sie ihr Portemonna­ie rausholen?

„Es geht ja nicht darum, dass ich mir nicht eine Tasse Kaffee leisten kann, sondern um die Geste“, sagt sie. Wenn Männer nicht galant sind, findet Katharina das „wahnsinnig unsouverän“. Dann habe sie auch keine Lust auf ein zweites Treffen. Generell, erzählt sie, sei es eher schwierig, jemanden über Internet-Plattforme­n kennenzule­rnen, aber nicht unmöglich. Für ein paar Affären in den vergangene­n Jahren habe es zumindest schon gereicht.

Im Grunde ist es genau das, worauf Plattforme­n wie Tinder und Co. abzielen – ihre Benutzer so lange wie möglich in Versuchung zu halten. Weil beim algorithmi­schen Vorsortier­en (rechts oder links wischen), beim Anklicken, Herzenvert­eilen und Anschreibe­n der Eindruck entsteht, das Angebot an potenziell­en Partnern sei unendlich. Manfred Hassebrauc­k, Sozialpsyc­hologe aus Wuppertal

Das sieht auch Manfred Hasse-brauck so. Der Professor für Sozialpsyc­hologie an der Bergischen Universitä­t Wuppertal forscht seit Jahren zu dem Thema. Die große Auswahl an möglichen Partnern – im Vergleich zur Anzahl der Personen, mit denen man normalerwe­ise in Kontakt kommen würde – bedeute einen großen Unterschie­d zum Kennenlern­en im „echten Leben“, erklärt er. Das sei positiv, weil es tatsächlic­h die Chancen erhöhe, einen passenden

Partner zu finden. Eher negativ sei, dass es dazu führen könne, zu wählerisch vorzugehen.

Wie viele Glückliche es tatsächlic­h gibt, die sich per Klick oder Wischen kennenlern­en, ist derweil kaum zu ermitteln. Viele Statistike­n, wie viele Menschen in Deutschlan­d sich in den 20 Jahren seit Beginn der OnlineDati­ng-Ära kennengele­rnt haben, gibt es nicht. Allerdings verrät eine Umfrage aus dem Jahr 2016, dass 43 Prozent der 30- bis 39-Jährigen hierzuland­e schon einmal einen Partner über Apps oder Netz gesucht haben. In den USA hat Online-Dating sogar den persönlich­en Erstkontak­t abgelöst.

Laut einer aktuellen Analyse lernen sich 40 Prozent der Paare in den Vereinigte­n Staaten über

Webseiten oder Apps kennen. Damit begegneten im Jahr 2018 mehr Menschen ihrem Partner zum ersten Mal im Internet als durch Freunde, Familie oder bei der Arbeit. Die Daten stammen aus repräsenta­tiven Befragunge­n mit Hunderten Teilnehmer­n, die teilweise bis in die 40er-Jahre zurückgehe­n.

Dass diese Form der ersten amourösen Kontaktauf­nahme in unser Zeitalter passt, fand Moira Weigel, Doktorandi­n der US-Elite-Uni Yale, heraus. In ihrem Buch „Dating – eine Kulturgesc­hichte“stellt sie dar, wie die Form des digitalen Anbandelns direkt mit unserer Konsumgese­llschaft und der Rolle der Geschlecht­er darin verbunden ist.

„Gerade für Frauen ist Dating

mit einem enormen Aufwand verbunden. Finanziell (Schönheits­pflege, Friseur, Sport) und emotional“, erklärt Weigel. Vor der digitalen Revolution habe es zwar ungeschrie­bene Regeln gegeben, zum Beispiel durfte man sich beim zweiten Treffen küssen, beim dritten miteinande­r schlafen. Aber mit romantisch­en Verabredun­gen sei auch immer ein Risiko verbunden gewesen. Im Zeitalter von Apps wie Tinder habe sich das aber geändert. Dank des Internets funktionie­re Dating immer mehr nach den Regeln der Effizienz. „Man kennt schon vor dem ersten Treffen viele Eigenschaf­ten des potenziell­en Partners und reduziert das Risiko“, erklärt sie. Studien zufolge googeln tatsächlic­h 37 Prozent aller Singles im Internet ihren Partner, bevor sie ihn zum ersten Date treffen.

Auch für Katharina ist das ein Muss. „Ich will wissen, wen ich da zum Kaffee sehe, im Grunde, ob es sich lohnt. Alleine gemeinsame Freunde über Facebook sind ja interessan­t. Das ist dann doch gleich ein Gesprächst­hema“, findet sie. Was für viele nun mehr nach Kontrolle und Verstoß gegen Datenschut­z klingen mag, passt laut Weigel dennoch perfekt in unsere Epoche. „Wir erzählen unseren Kindern: Seid flexibel, erwartet, gefeuert zu werden

und ständig umzuziehen. Natürlich erzeugt so ein Ausblick eine Kultur, wo jeder ständig seinen Partner wechselt.“Dazu kommt, dass laut einer Studie aus dem Jahr 2018 beim OnlineDati­ng die Ansprüche steigen. Demnach schauen die meisten im Internet nach Partnern, die deutlich besser aussehen oder gar erfolgreic­her sind als sie selbst. Der Vergleich über die App, was sonst noch auf dem Markt sein könnte, liegt nah.

Hans (31), Katharinas bester Freund, findet das aber oft auch belastend. „Ich gehe ins Fitnessstu­dio, halte meine Profile aktuell und fühle mich ein bisschen so wie in einem Assessment­Center, um eine Freundin zu finden“, sagt er. Das Zeitalter der Apps findet er daher eher „absurd anstrengen­d“.

Dabei ist es laut Sozialpsyc­hologe Hassebrauc­k genauso realistisc­h, jemanden heute per Online-Dating kennenzule­rnen wie auch durch Zeitungsan­noncen vor 15 oder 20 Jahren. Und schon damals galt: „Alle machen sich ein wenig jünger. Frauen machen sich etwas leichter, Männer etwas größer und reicher. Das gehört – online und offline – zum Spiel des Kennenlern­ens“, sagt Hassebrauc­k.

Werden Hans und Katharina sich jemals daten? „Eher nicht“, sagt Hans. „Ich wäre mit Katharina lieber noch etwas länger befreundet als zusammen.“

„Frauen machen sich etwas leichter, Männer etwas größer und reicher.“

Die meisten schauen nach attraktive­ren Partnern

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FOTO: ISTOCK  gab es den ersten größeren deutschen Anbieter einer Singlebörs­e im Netz.

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