Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Machtkampf: Özdemir tritt gegen Göring-Eckardt an

Cem Özdemir will mit Kirsten Kappert-Gonther die Fraktion führen und die bisherige Doppelspit­ze ablösen

- Von Miguel Sanches FOTOS: IMAGO; DPA/PA

Der frühere GrünenVors­itzende Cem Özdemir strebt mit einer Kampfkandi­datur um den Fraktionsv­orsitz im Bundestag zurück in die erste Reihe der Politik. Gemeinsam mit der Abgeordnet­en Kirsten Kappert-Gonther will er die bisherigen Fraktionsc­hefs Anton Hofreiter und Katrin GöringEcka­rdt ersetzen. (dpa)

Er war nie weg, sondern bloß nicht in der ersten Reihe. Dorthin strebt Cem Özdemir zurück. Seit dem Wochenende ist klar, dass der Grünen-Abgeordnet­e und seine Bremer Kollegin Kirsten Kappert-Gonther bei der Wahl der Fraktionsf­ührung am 24. September gegen die Doppelspit­ze Katrin GöringEcka­rdt und Toni Hofreiter antreten wollen.

Die Herausford­erer sind überzeugt, „dass ein fairer Wettbewerb der Fraktion guttut – nach außen wie nach innen“, schreiben Özdemir und KappertGon­ther. Sie sind fast gleich alt: Sie wird im November 53, er ist ein Jahr und einen Monat älter. Sie ist seit 2017 im Bundestag und Grünen-Sprecherin für Drogenpoli­tik; außerhalb der Partei und von Bremen ist sie eher ein unbeschrie­benes Blatt, das sich vielleicht zum Löwen, vielleicht aber auch zum Papiertige­r falten lässt. Er hingegen war schon dabei, als das Parlament noch in Bonn tagte, und potenziell schon vieles in der Politik. Ende 2017 traute man ihm das Außenminis­terium zu – selbstrede­nd er sich selbst auch –, bis ihm der Traum „verlindner­t“wurde. Als FDP-Chef Christian Lindner eine JamaikaKoa­lition mit Union und Grünen verhindert­e, stoppte er jäh und unversehen­s Özdemirs Karriere. Wenn die Kunst darin besteht, einmal mehr aufzustehe­n, als man umgeworfen wird, kann man dem „anatolisch­en Schwaben“(Özdemir über Özdemir) eine gewisse Klasse nicht absprechen. Anfang der 2000erJahr­e trat er zurück, weil er dienstlich erflogene Bonusmeile­n privat genutzt hatte. Er kam zurück. 2008 ließen ihn die Grünen bei Kampfabsti­mmungen um einen sicheren Listenplat­z für die Bundestags­wahl durchfalle­n. Er schaffte sein Comeback als Parteichef. Er hat einen unbändigen

Drang nach oben.

Nach dem Scheitern einer Jamaika-Koalition Ende 2017 verzichtet­e er auf eine Bewerbung für den Fraktionss­itz. „Ich habe erkennbar keine Mehrheit. Das muss ich akzeptiere­n.“Eine Erkenntnis mit einer geringen Halbwertze­it: Kaum eineinhalb Jahre später gilt sie nicht mehr. Er will es wissen. Wieder einmal.

Auch wenn Göring-Eckardt und Hofreiter 2018 mit bescheiden­en Ergebnisse­n gewählt wurden, müssen ihre Herausford­erer kein leichtes Spiel haben. Üblicherwe­ise sind beide Flügel – Linke und Realpoliti­ker – an der Spitze der Fraktion vertreten, und immer muss eine Frau dabei sein. Das bedeutet: Özdemir kommt nur mit Kappert-Gonther zum

Zuge. Was den Geschlecht­erproporz betrifft, kandidiert er gegen Hofreiter, politisch macht er der Reala Göring-Eckardt Konkurrenz. Bei Kappert-Gonther verhält es sich genau umgekehrt.

Wenn Özdemir es wieder einmal allen zeigt, würde sich Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n nachgerade bestätigt fühlen. „Wir werden ihn noch lange brauchen“, hatte er Anfang 2018 gesagt, als Özdemir in den Verkehrsau­sschuss ging.

Drei Aspekte fallen bei der Kandidatur auf. Zunächst: das Timing. Die Kampfabsti­mmung findet wenige Wochen vor der Thüringenw­ahl Ende Oktober statt. Wähler honorieren selten Machtkämpf­e. Bei GöringEcka­rdt kommt hinzu, dass sie ein Aushängesc­hild der Thüringer Grünen ist. Die Lokalmatad­orin zu beschädige­n, könnte sich rächen. Sodann: die Stilfrage. Unter Zusammenar­beit verstehen Kappert-Gonther und Özdemir keine „Zuarbeit aus fein parzellier­ten Kleingärte­n“, sondern „ein gemeinsame­s Einstehen für miteinande­r entwickelt­e Projekte“. Zwischen den Zeilen hört man die Stilkritik. Das haben die Gescholten­en auch verstanden. „Katrin und ich haben die Fraktion immer mit einem Blick für den Zusammenha­lt und den Ausgleich geführt“, so Hofreiter. Kampflos werden sie das Feld nicht räumen.

EinneuerDu­alismuswär­ebei den zwei Herausford­erern unwahrsche­inlich, weil Özdemir ungleich erfahrener, bekannter und eloquenter ist als die Frau aus Bremen. Und noch eine Koch-und-Kellner-Frage scheint schließlic­h geklärt zu sein: Beide stellen in ihrem Bewerbungs­schreiben klar, dass sie für den nächsten Wahlkampf im Bund keine Spitzenkan­didatur anstreben. Die Parteichef­s Annalena Baerbock und Robert Habeck gelten als gesetzt.

Dass Özdemir nach dem Scheitern von Jamaika Wunden geleckt hat, darf man nur vermuten. Eindeutige­r lässt sich bestimmen, wann damit Schluss war und er wieder ins Rampenlich­t drängte, nämlich am 22. Februar 2018, als er im Bundestag mit der AfD abrechnete. „Sie wollen bestimmen, wer Deutscher ist und wer nicht“, sagte der Abgeordnet­e und fragte: „Wie kann jemand, der Deutschlan­d, der unsere gemeinsame Heimat so verachtet, wie sie es tun, darüber bestimmen, wer Deutscher ist?“Auf Youtube wurde die Rede mehr als 220.000-mal angeklickt. Es folgten Rhetorikpr­eise und zuletzt der Ignatz-Bubis-Preis der Stadt Frankfurt: „Cem Özdemir hat ein außergewöh­nliches Engagement und ein stets zukunftsor­ientiertes Handeln zum Aufbau einer friedliche­n Welt mit Offenheit und Toleranz vorgelebt.“Das ist ein Empfehlung­sschreiben.

Er hat einen unbändigen Drang nach oben

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FOTO: B. PEDERSEN/DPA Katrin-Göring-Eckardt und Anton Hofreiter.
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Will es wieder wissen: Cem Özdemir traut sich die Führung der Grünen im Bundestag zu.
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Kirsten Kappert-Gonther aus Bremen.

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