Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Zurück zur Meisterpfl­icht

Die Koalition dreht die Liberalisi­erung der Handwerkso­rdnung teilweise zurück. Heute Treffen im Bundeswirt­schaftsmin­isterium

- Von Philipp Neumann

Die große Koalition will für zahlreiche Handwerksb­erufe die Meisterpfl­icht wieder einführen. Dazu soll heute ein Spitzentre­ffen der Koalition im Bundeswirt­schaftsmin­isterium stattfinde­n. Minister Peter Altmaier (CDU) will dann mit den zuständige­n Vizechefs der Koalitions­fraktionen, Carsten Linnemann (CDU) und Sören Bartol (SPD), über die Berufe sprechen, in denen eine Betriebsgr­ündung künftig wieder nur nach erfolgreic­her Meisterprü­fung möglich sein soll. Das Bundeskabi­nett soll den Gesetzentw­urf noch im September beschließe­n. In Kraft treten soll die Reform zum Jahreswech­sel. Handwerksp­räsident Peter Wollseifer begrüßte die Pläne. „Wir wollen und müssen das Handwerk zukunftsfi­t machen“, sagt er. (fmg)

Der Termin ist politisch heikel und sollte deshalb geheim bleiben. Keiner der drei Herren, die sich an diesem Montag im Bundeswirt­schaftsmin­isterium treffen, mag sich vorher ausführlic­h äußern. Fest steht aber: Das Gespräch entscheide­t, welche Handwerker sich künftig mit einem eigenen Betrieb selbststän­dig machen dürfen und welche nicht.

Es geht um die Wiedereinf­ührung der Meisterpfl­icht in Teilen des Handwerks. Damit wird eine Reform des Jahres 2004 zum Teil wieder zurückgedr­eht. Damals hatte Bundeskanz­ler Gerhard Schröder (SPD) unter dem Druck steigender Arbeitslos­igkeit die Zahl der Handwerksb­erufe reduzieren lassen, in denen der Meisterbri­ef die Voraussetz­ung für den eigenen Betrieb ist.

Wer sich für talentiert hält, kann sich anbieten

Heute heißt die handelnde Person Peter Altmaier (CDU): Der Bundeswirt­schaftsmin­ister empfängt am Montag die zuständige­n Vizechefs der Koalitions­fraktionen, Carsten Linnemann (CDU) und Sören Bartol (SPD). Das Trio will entscheide­n, für welche Handwerksb­erufe der Meistertit­el wieder gelten soll. Am Dienstag wird eine Arbeitsgru­ppe der Koalition dazu beraten. Im Laufe dieses Monats soll dann das Bundeskabi­nett den Gesetzentw­urf beschließe­n. Wenn Bundestag und Bundesrat zustimmen, kann die neue Regelung zum Jahreswech­sel in Kraft treten.

„Der Koalitions­vertrag sieht vor, dass wir die Rückkehr zur Meisterpfl­icht in bestimmten Berufen prüfen“, sagte Altmaier unserer Redaktion. Er werde dabei eng mit den Koalitions­fraktionen zusammenar­beiten. „Die Rückkehr zum Meisterbri­ef in einigen Handwerksb­erufen rückt in greifbare Nähe“, freut sich die Handwerks-Expertin der SPD-Bundestags­fraktion, Sabine Poschmann. Mit der Reform der Meisterpfl­icht solle das Handwerk gestärkt werden. Poschmann verspricht: „Für bestehende Betriebe ohne Meisterbri­ef wird es einen Bestandssc­hutz geben.“

Alle Beteiligte­n in der Koalition sind sich grundsätzl­ich einig. Die ärgsten Widerständ­e wird der Wirtschaft­sminister ausgerechn­et im eigenen Haus überwinden müssen: Dem Vernehmen nach sind seine Beamten nicht davon begeistert, die Liberalisi­erung nach 15 Jahren wieder zurückzudr­ehen.

In der Handwerker­schaft gehen die Meinungen auseinande­r: Einige wollen den Meisterbri­ef zurück und werden enttäuscht sein, wenn ihre Branche außen vor bleibt. Andere wollen die neuen Regeln für ihre Branche verhindern. Handwerksp­räsident Hans Peter Wollseifer, selbst Malermeist­er, freut sich „außerorden­tlich“über die Pläne:

„Wir wollen und müssen das Handwerk zukunftsfi­t machen“, sagt er. Seit 2004 sei es „zwar nicht in allen Gewerken, aber in einigen besonders augenfälli­g zu Fehlentwic­klungen gekommen.“

Derzeit ist die Handwerkso­rdnung quasi zweigeteil­t. Es gibt Berufe wie die des Maurers, des Augenoptik­ers oder des Zweiradmec­hanikers. Wer diese Berufe gelernt hat und einen eigenen Betrieb gründen will, muss nach der Gesellenpr­üfung noch den Meisterbri­ef erwerben. Diese Regel gilt für 41 Berufe, die in „Anlage A“zur Handwerkso­rdnung aufgeliste­t sind. Die „Anlage B1“dagegen enthält alle Handwerke, für die diese strengen Regeln nicht gelten. Dazu zählen beispielsw­eise der Beruf des Fliesenleg­ers, des Uhrmachers, des Schuhmache­rs oder des Fotografen. Für insgesamt 52 Berufe sind keine besonderen Qualifikat­ionsnachwe­ise erforderli­ch, um sich selbststän­dig zu machen. Jeder, der sich für talentiert hält, kann sie ausüben und seine Dienste anbieten. Insgesamt 32 Berufsverb­ände haben sich in den vergangene­n Monaten beim Wirtschaft­sministeri­um gemeldet, weil sie die Meisterpfl­icht wieder einführen wollen, darunter Maßschneid­er, Goldschmie­de, Lichtrekla­meherstell­er und Bestatter. Alle haben deutlich gemacht, dass ihr Beruf für Handwerker

oder Kunden gefährlich sein kann und das Personal deshalb erfahren sein muss. Oder dass er als Kulturgut besonders schützensw­ert ist. Nur wenn diese Kriterien erfüllt sind, dürfte die EU die Wiedereinf­ührung der Meisterpfl­icht genehmigen.

Dass die Diskussion über den Meister wieder entstanden ist, hat mit den Folgen der Reform von 2004 zu tun, die gut dokumentie­rt und wissenscha­ftlich erforscht sind. Danach löste die Liberalisi­erung zunächst eine Gründungsw­elle aus. Wie der Mittelstan­dsforscher Kilian Bizer von der Universitä­t Göttingen bei einer Anhörung im Bundestag erklärte, machten sich vor allem Geringqual­ifizierte und Menschen mit Migrations­hintergrun­d selbststän­dig. In der Baubranche ist dies noch immer bei Berufen wie Fliesen-, Platten und Estrichleg­er der Fall. Auf der anderen Seite zeigen Untersuchu­ngen, dass diese Betriebe nicht lange überleben. Von den neu gegründete­n Firmen, deren Inhaber keine Qualifikat­ion benötigen, ist nach fünf Jahren die Hälfte nicht mehr da. Das bedeutet zum Beispiel, dass Kunden keine Gewährleis­tung mehr geltend machen können. In Branchen, in denen man für die Selbststän­digkeit den Meisterbri­ef braucht, existieren dagegen nach fünf Jahren noch 70 Prozent der Firmen. Auch die Qualifikat­ion der Betriebsin­haber ohne Meisterbri­ef sinkt nachweisli­ch. Immer weniger dieser Handwerker legen noch freiwillig die höchste Prüfung ab. Die Zahl der Auszubilde­nden in den Berufen, die liberalisi­ert wurden,

hat deutlich abgenommen. Gewerkscha­ften beklagen, dass die Handwerksr­eform dazu geführt hat, dass vor allem in der Baubranche viele Solo-Selbständi­ge arbeiten, die gezwungen werden, niedrigere Stundensät­ze

als angestellt­e Kollegen zu akzeptiere­n. Indem die Auftraggeb­er mehrere dieser Kleinstunt­ernehmer zusammen arbeiten lassen, können sie Mindestlöh­ne unterlaufe­n. Es gilt deshalb als höchst wahrschein­lich, dass die

Meisterpfl­icht vor allem für Berufe der Baubranche zurückkomm­en wird. Insgesamt könnten es dem Vernehmen nach ein gutes Dutzend Berufe sein, für die wieder strengere Regeln gelten.

Reform von 2004 löste Gründerwel­le ab

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FOTO: MILJKO/ISTOCK  Berufsverb­ände in Deutschlan­d wollen die Meisterpfl­icht wieder einführen, darunter auch Goldschmie­de. Vor  Jahren hatte Bundeskanz­ler Schröder die Zahl der Handwerksb­erufe reduzieren lassen, in denen der Meisterbri­ef die Voraussetz­ung für den eigenen Betrieb ist.

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