Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
„Desinformation soll die Demokratie untergraben“
Expertin Alina Polyakova: Russland geht es darum, Parteien am rechten Rand zu stärken
. Alina Polyakova ist Direktorin der US-amerikanischen Brookings Institution, einer nach eigenen Angaben unabhängigen Denkfabrik in Washington mit den Schwerpunkten Wirtschaft, Auslandspolitik sowie Staatsführung. Die promovierte Soziologin und Russland-Expertin lehrt zudem als Professorin an der Johns-Hopkins-Universität. Sie untersucht Strategien vor allem russischer Desinformation und wie sich Demokratien dagegen wehren können. Eines ihrer Spezialgebiete ist das Erstarken rechter Bewegungen in Europa. Auf Einladung des US-Generalkonsulats in Leipzig besuchte Polyakova Erfurt.
Sie forschen zu russischer Propaganda und Desinformation westlicher Demokratien. Welche Staaten sind dabei im Spiel?
Russische Desinformationskampagnen haben die Ukraine, Georgien, USA, Frankreich, Großbritannien und viele andere Länder zum Ziel.
Bei den jüngsten Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg hatte die rechtspopulistische AfD die mit Abstand höchsten Zuwächse zu verzeichnen. Ist das aus Ihrer Sicht auch ein Verdienst der Destabilisierungspolitik Wladimir Putins?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Und dafür gibt es auch keine mir bekannten Belege. Aber klar ist, dass Russland beispielsweise über seinen auch in deutscher Sprache ausgestrahlten Staatssender jede Menge rechter Propaganda betreibt. Der Sender bietet beispielsweise der AfD eine Plattform, um ihr mitunter auch rechtsradikales Weltbild verbreiten zu können. So etwas bleibt nicht ohne Folgen.
Wie meinen Sie das?
Desinformationskampagnen gibt es ständig, nicht nur im Vorfeld von oder während Wahlen. Russland geht es darum, Parteien am rechten Rand wie die AfD zu stärken, um so die vertrauenswürdige Demokratie zu untergraben.
In Thüringen wird Ende Oktober ein neuer Landtag gewählt. Glauben Sie, dass Russland ein Interesse daran hat, die rotrot-grüne Landesregierung zu stürzen und einen Rechtsruck einzuleiten?
Ich kenne mich in der Thüringer Landespolitik nicht aus. Daher fällt es mir schwer, das zu beurteilen. Ich glaube, dass die russischen Kapazitäten dafür nicht ausreichen, um gezielt in jedem Bundesland Einfluss zu nehmen. Aber es ist wohl unbestritten, dass russische Hacker in den vergangenen Monaten Angriffe auf Regierungen und politische Organisationen forciert haben.
Braucht eine Partei wie die AfD für ihren Höhenflug wirklich russische Hilfe, sind nicht in erster Linie die etablierten Parteien selbst schuld, weil sie die Menschen mit ihrer Politik nicht mehr erreichen?
Die Fehler der etablierten Parteien sind nicht zu leugnen. Sie müssen die Sorgen der Menschen beispielsweise vor wirtschaftlichem Abstieg oder Überfremdung durch Flüchtlinge ernst nehmen. Dann wird auch die Zustimmung wieder steigen. Gleichwohl nutzt Russland durch gezielte Desinformation diese Sorgen aus und verstärkt damit die Hinwendung zu Rechtspopulisten.
All das, was Sie Russland unterstellen, kann man genauso gut den USA vorwerfen, oder? Immerhin haben die Vereinigten Staaten jahrzehntelang mit viel Geld ausländische Regime zu Fall gebracht und Revolutionen unterstützt.
Aber es gibt dabei einen gewaltigen Unterschied zu Russland. Die Interventionen der USA zielten stets darauf ab, sich für die Förderung der Demokratie einzusetzen. Es ging und geht dabei darum, die Menschen zu unterstützen, die in ihren Staaten unterdrückt wurden, weil sie für ihre demokratischen Rechte auf die Straße gegangen sind.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei Desinformation?
Eine große. Das Internet ist Fluch und Segen zugleich. Segen, weil es nie so leicht war, sich zu informieren und zu erfahren, was am anderen Ende der Welt gerade passiert. Aber dabei müssen wir aufpassen, dass wir keinen Fake News auf den Leim gehen. In sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook verbreitete Falschmeldungen stellen uns alle vor neue Herausforderungen, weil dort Desinformation oftmals ungehindert verbreitet werden kann. Deshalb ist Medienkompetenz wichtiger denn je. Sie sollte schon im Grundschulalter vermittelt werden.
Sie forschen für Brookings, Präsident der Denkfabrik ist US-General John R. Allen. Wie unabhängig von der amerikanischen Regierung sind Sie bei Ihren Einschätzungen?
Ich kann Ihnen versichern: vollkommen unabhängig, speziell von der aktuellen US-Regierung. Wir sind eine unabhängige, nicht auf Profit ausgelegte Denkfabrik, die sich über ein Stiftungsmodell finanziert. Ich bin Wissenschaftlerin und keine Lobbyistin, weder für eine Regierung noch andere Organisationen. Ich treffe meine Aussagen allein aufgrund eigener Einschätzungen.