Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Die am liebsten Rot sehen
Mangelnde Hygiene in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen kann lebensbedrohlich sein. Heyfair aus Jena kann da helfen
Jena.
Sie heißen Enterococcus faecalis, Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae oder Staphylococcus aureus und sind auf der Haut der Menschen oder in ihrem Darm angesiedelt. Einem gesunden Menschen schaden sie nicht, doch für Kranke, frisch operierte, ganz kleine oder sehr alte Menschen und solche mit einem geschwächten Immunsystem können diese Bakterien lebensgefährlich werden. Denn sie gehören zu der gefährlichen Gruppe multiresistenter Keime, ihnen kann ein Antibiotikum kaum etwas anhaben.
Insgesamt 33.000 Menschen sterben pro Jahr in Europa an Infektionen mit multiresistenten Keimen, benennt die Europäische Seuchenbehörde ECDC die Gefahr. Und selbst, wenn die Keime nicht gleich den Tod bringen, so sind sie doch häufig für schlechte Wundheilung nach Operationen, für Blutvergiftungen oder andere Komplikationen bei der Genesung verantwortlich.
Doch nicht nur in Krankenhäusern, auch in Alten- und Pflegeheimen sind Keime eine allgegenwärtige Gefahr – für Patienten, aber auch für die Ärzte und Pflegepersonal selbst. Und auch für Besucher und Angehörige, die gesundheitsgefährdende Keime mit in die Einrichtungen bringen oder sie aus diesen mit nach draußen schleusen und so weiter verbreiten können. „Wir wissen, dass bis zu 90 Prozent aller pathogenen Erreger über die Hände von Mensch zu Mensch übertragen werden“, sagt Robert Hellmundt. „Allerdings könnte mit fachgerechter Handdesinfektion ein großer Teil der Infektionen verhindert werden“, ergänzt Alexander Döpel.
Die beiden jungen Männer sind weder Mikrobiologen noch Infektionsmediziner, aber in den vergangenen vier Jahren zu profunden Experten in Sachen Händehygiene geworden. Gemeinsam haben die beiden, die an der Bauhaus-Universität in Weimar Visuelle Kommunikation studierten, 2017 eine Firma gegründet, deren Ziel es ist, pathogene Keime zuverlässig zu bekämpfen – durch bessere Hygiene in Krankenhäusern, Arztpraxen, Altenheimen, bei der ambulanten Pflege und überall dort, wo gefährliche Keime auf der Lauer liegen. Mit ihrem Start-up „Heyfair“wollen sie den Beschäftigten in Kliniken, Praxen oder Pflegeeinrichtungen Mittel und Wissen an die Hand geben für eine wirkungsvolle Infektionsprävention.
Ihr Mittel zum Zweck hat auch schon einen Namen: „Steri-Coach“. Dabei handelt es sich um eine Flüssigkeit, die sichtbar macht, wie sauber jemandes Hände sind – und damit anzeigt, ob bei der Händedesinfektion, etwa vor der OP oder bei Pflegemaßnahmen, alles richtig gemacht wurde.
Der Umstand, dass Desinfektion oft nicht wirke, weil Benutzer zu wenig Desinfektionsmittel verwendeten oder die Reinigung ganz vergessen, sei vor rund fünf Jahren für sie der Anlass gewesen, sich mehr Gedanken über des Thema zu machen, erzählt Hellmundt. „Im Studium haben wir gelernt, wie wichtig es ist, mit Hilfe visueller Kommunikation Abläufe deutlich zu machen“, erklärt er. „Wir schauen auf Produkte und warum sie nicht funktionieren und versuchen, sie zu optimieren“, ergänzt Alexander Döpel. Bei der Händehygiene, sei ihnen schnell klar geworden, dass Fehler entstehen, „weil niemand sehen kann, ob er seine Hände vollständig desinfiziert hat“. Und hier setzte ihre Idee an, mit einem Farbstoff sichtbar zu machen, ob Hände gut oder schlecht desinfiziert sind. „Wir hatten bei einem Projekt an der Uni schon einmal mit hydrochromen Farben erfolgreich gearbeitet, hatten einen Luftfeuchtemesser entwickelt, der durch Farbwechsel anzeigte, ob das Raumklima gut oder zu trocken Nicht nur OP-Besteck muss in einem Krankenhaus sterilisiert sein, auch die Hände der Ärzte, Schwestern und anderen Beschäftigten sollten perfekt desinfiziert sein.
war. Wir hatten den Farbstoff in ein Bild an der Wand integriert, dessen Himmel sich von blau zu rosa färbte, wenn das Raumklima schlecht wurde“, erzählt Hellmundt.
„Über die Farben sind wir zur Chemie gekommen, die ja nicht unser Spezialgebiet war. Aber wir haben uns diesmal den Rat von Fachleuten eingeholt.Der reichte von ‚das funktioniert nie‘ bis zu ‚spannend, warum nicht‘. Wir haben auf die Letzteren gehört, haben viel ausprobiert, unser Produkt und die Technik zum Patent angemeldet, weiter geforscht, das Produkt verbessert und uns auf Investorensuche begeben“, berichtet er.
Die beiden Unternehmensgründer und ihre inzwischen auf fünf Leute gewachsene Mannschaft haben sich an diversen Gründerwettbewerben beteiligt und immer gewonnen – den
Thüringer Gründerpreis wie den Innovationspreis und den Strategiepreis etwa. Das Geld wurde immer sofort in die Firma gesteckt, Geräte wurden angeschafft. „Und wir haben vier ‚Business-Angel‘ aus dem Gesundheitsbereich für unsere Idee begeistern können, die uns mit Wissen und Kapital zur Seite stehen“, sagt Hellmundt. Letzteres verschaffe dem Team Luft und nehme etwas vom Zeitdruck. Denn Gewinne macht Heyfair noch nicht, aber es erwirtschaftet schon einen stattlichen Teil seiner Forschungsund Entwicklungsgelder.
Im Juni 2018 gingen die Jenaer mit „Steri-Coach“auf den Markt, boten damit ein Mittel für die Hygieneschulung in Gesundheitseinrichtungen und Krankenhäusern an. Ein paar Tropfen der Lösung auf den desinfizierten Händen verrieben, zeigen durch Rotfärbung an, ob alles ordnungsgemäß desinfiziert wurde, oder ob Bereiche nicht richtig von der Desinfektionslösung benetzt wurden. Hier könnten Keime überleben. „So wird sichtbar, was richtig sauber ist.“Die Farbe verflüchtigt sich nach kurzer Zeit.
Aus Gesprächen mit Partnern im Gesundheitsbereich wissen die Jungunternehmer, dass zwar das Infektionsschutzgesetz eine jährliche Schulung der Mitarbeiter in Sachen Hygiene vorschreibe, dass aber dennoch mancherorts Wissenslücken bestehen. „Auch bei der Hygiene ist oft fehlende Zeit das Problem.“Doch das könne zu einem größeren Problem für die betreffende Einrichtung werden, weiß Hellmundt. „Die Firma muss ihren Mitarbeitern Zeit geben, sonst wird schnell aus einem Hygieneproblem ein Image-Problem“, sagt er.
Mehr als 100 Kunden von Heyfair sehen das offenbar genauso. Tendenz steigend. Seit April 2019 ist ein modifizierter „Steri-Couch“auf dem Markt, der nicht nur Sekunden Zeit lässt für die Erfolgskontrolle der Desinfektion, ehe er verblasst. „Die Resonanz ist absolut positiv, es gibt viele Anfragen, wann unser Schulungsprodukt für die permanente Anwendung als Desinfektionsmittel zur Verfügung steht. Daran arbeiten wir.“Auch große Hersteller von Desinfektionsmitteln hätten Interesse am Jenaer Produkt. „Verkaufen? Nein, wir wollen lieber selbst das Geschäft machen. Mit einer eigenen Idee verhindern, dass Leuten Leid geschieht – etwas Besseres kann man doch nicht machen“, sagt Hellmundt.
Über die Farben zur Chemie gekommen