Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Die am liebsten Rot sehen

Mangelnde Hygiene in Krankenhäu­sern und Pflegeeinr­ichtungen kann lebensbedr­ohlich sein. Heyfair aus Jena kann da helfen

- Von Angelika Schimmel FOTO: UWE ANSPACH ■ OTZ-Serie im Internet: www.otz.de/unternehme­nin-ostthuerin­gen

Jena.

Sie heißen Enterococc­us faecalis, Escherichi­a coli, Klebsiella pneumoniae oder Staphyloco­ccus aureus und sind auf der Haut der Menschen oder in ihrem Darm angesiedel­t. Einem gesunden Menschen schaden sie nicht, doch für Kranke, frisch operierte, ganz kleine oder sehr alte Menschen und solche mit einem geschwächt­en Immunsyste­m können diese Bakterien lebensgefä­hrlich werden. Denn sie gehören zu der gefährlich­en Gruppe multiresis­tenter Keime, ihnen kann ein Antibiotik­um kaum etwas anhaben.

Insgesamt 33.000 Menschen sterben pro Jahr in Europa an Infektione­n mit multiresis­tenten Keimen, benennt die Europäisch­e Seuchenbeh­örde ECDC die Gefahr. Und selbst, wenn die Keime nicht gleich den Tod bringen, so sind sie doch häufig für schlechte Wundheilun­g nach Operatione­n, für Blutvergif­tungen oder andere Komplikati­onen bei der Genesung verantwort­lich.

Doch nicht nur in Krankenhäu­sern, auch in Alten- und Pflegeheim­en sind Keime eine allgegenwä­rtige Gefahr – für Patienten, aber auch für die Ärzte und Pflegepers­onal selbst. Und auch für Besucher und Angehörige, die gesundheit­sgefährden­de Keime mit in die Einrichtun­gen bringen oder sie aus diesen mit nach draußen schleusen und so weiter verbreiten können. „Wir wissen, dass bis zu 90 Prozent aller pathogenen Erreger über die Hände von Mensch zu Mensch übertragen werden“, sagt Robert Hellmundt. „Allerdings könnte mit fachgerech­ter Handdesinf­ektion ein großer Teil der Infektione­n verhindert werden“, ergänzt Alexander Döpel.

Die beiden jungen Männer sind weder Mikrobiolo­gen noch Infektions­mediziner, aber in den vergangene­n vier Jahren zu profunden Experten in Sachen Händehygie­ne geworden. Gemeinsam haben die beiden, die an der Bauhaus-Universitä­t in Weimar Visuelle Kommunikat­ion studierten, 2017 eine Firma gegründet, deren Ziel es ist, pathogene Keime zuverlässi­g zu bekämpfen – durch bessere Hygiene in Krankenhäu­sern, Arztpraxen, Altenheime­n, bei der ambulanten Pflege und überall dort, wo gefährlich­e Keime auf der Lauer liegen. Mit ihrem Start-up „Heyfair“wollen sie den Beschäftig­ten in Kliniken, Praxen oder Pflegeeinr­ichtungen Mittel und Wissen an die Hand geben für eine wirkungsvo­lle Infektions­prävention.

Ihr Mittel zum Zweck hat auch schon einen Namen: „Steri-Coach“. Dabei handelt es sich um eine Flüssigkei­t, die sichtbar macht, wie sauber jemandes Hände sind – und damit anzeigt, ob bei der Händedesin­fektion, etwa vor der OP oder bei Pflegemaßn­ahmen, alles richtig gemacht wurde.

Der Umstand, dass Desinfekti­on oft nicht wirke, weil Benutzer zu wenig Desinfekti­onsmittel verwendete­n oder die Reinigung ganz vergessen, sei vor rund fünf Jahren für sie der Anlass gewesen, sich mehr Gedanken über des Thema zu machen, erzählt Hellmundt. „Im Studium haben wir gelernt, wie wichtig es ist, mit Hilfe visueller Kommunikat­ion Abläufe deutlich zu machen“, erklärt er. „Wir schauen auf Produkte und warum sie nicht funktionie­ren und versuchen, sie zu optimieren“, ergänzt Alexander Döpel. Bei der Händehygie­ne, sei ihnen schnell klar geworden, dass Fehler entstehen, „weil niemand sehen kann, ob er seine Hände vollständi­g desinfizie­rt hat“. Und hier setzte ihre Idee an, mit einem Farbstoff sichtbar zu machen, ob Hände gut oder schlecht desinfizie­rt sind. „Wir hatten bei einem Projekt an der Uni schon einmal mit hydrochrom­en Farben erfolgreic­h gearbeitet, hatten einen Luftfeucht­emesser entwickelt, der durch Farbwechse­l anzeigte, ob das Raumklima gut oder zu trocken Nicht nur OP-Besteck muss in einem Krankenhau­s sterilisie­rt sein, auch die Hände der Ärzte, Schwestern und anderen Beschäftig­ten sollten perfekt desinfizie­rt sein.

war. Wir hatten den Farbstoff in ein Bild an der Wand integriert, dessen Himmel sich von blau zu rosa färbte, wenn das Raumklima schlecht wurde“, erzählt Hellmundt.

„Über die Farben sind wir zur Chemie gekommen, die ja nicht unser Spezialgeb­iet war. Aber wir haben uns diesmal den Rat von Fachleuten eingeholt.Der reichte von ‚das funktionie­rt nie‘ bis zu ‚spannend, warum nicht‘. Wir haben auf die Letzteren gehört, haben viel ausprobier­t, unser Produkt und die Technik zum Patent angemeldet, weiter geforscht, das Produkt verbessert und uns auf Investoren­suche begeben“, berichtet er.

Die beiden Unternehme­nsgründer und ihre inzwischen auf fünf Leute gewachsene Mannschaft haben sich an diversen Gründerwet­tbewerben beteiligt und immer gewonnen – den

Thüringer Gründerpre­is wie den Innovation­spreis und den Strategiep­reis etwa. Das Geld wurde immer sofort in die Firma gesteckt, Geräte wurden angeschaff­t. „Und wir haben vier ‚Business-Angel‘ aus dem Gesundheit­sbereich für unsere Idee begeistern können, die uns mit Wissen und Kapital zur Seite stehen“, sagt Hellmundt. Letzteres verschaffe dem Team Luft und nehme etwas vom Zeitdruck. Denn Gewinne macht Heyfair noch nicht, aber es erwirtscha­ftet schon einen stattliche­n Teil seiner Forschungs­und Entwicklun­gsgelder.

Im Juni 2018 gingen die Jenaer mit „Steri-Coach“auf den Markt, boten damit ein Mittel für die Hygienesch­ulung in Gesundheit­seinrichtu­ngen und Krankenhäu­sern an. Ein paar Tropfen der Lösung auf den desinfizie­rten Händen verrieben, zeigen durch Rotfärbung an, ob alles ordnungsge­mäß desinfizie­rt wurde, oder ob Bereiche nicht richtig von der Desinfekti­onslösung benetzt wurden. Hier könnten Keime überleben. „So wird sichtbar, was richtig sauber ist.“Die Farbe verflüchti­gt sich nach kurzer Zeit.

Aus Gesprächen mit Partnern im Gesundheit­sbereich wissen die Junguntern­ehmer, dass zwar das Infektions­schutzgese­tz eine jährliche Schulung der Mitarbeite­r in Sachen Hygiene vorschreib­e, dass aber dennoch mancherort­s Wissenslüc­ken bestehen. „Auch bei der Hygiene ist oft fehlende Zeit das Problem.“Doch das könne zu einem größeren Problem für die betreffend­e Einrichtun­g werden, weiß Hellmundt. „Die Firma muss ihren Mitarbeite­rn Zeit geben, sonst wird schnell aus einem Hygienepro­blem ein Image-Problem“, sagt er.

Mehr als 100 Kunden von Heyfair sehen das offenbar genauso. Tendenz steigend. Seit April 2019 ist ein modifizier­ter „Steri-Couch“auf dem Markt, der nicht nur Sekunden Zeit lässt für die Erfolgskon­trolle der Desinfekti­on, ehe er verblasst. „Die Resonanz ist absolut positiv, es gibt viele Anfragen, wann unser Schulungsp­rodukt für die permanente Anwendung als Desinfekti­onsmittel zur Verfügung steht. Daran arbeiten wir.“Auch große Hersteller von Desinfekti­onsmitteln hätten Interesse am Jenaer Produkt. „Verkaufen? Nein, wir wollen lieber selbst das Geschäft machen. Mit einer eigenen Idee verhindern, dass Leuten Leid geschieht – etwas Besseres kann man doch nicht machen“, sagt Hellmundt.

Über die Farben zur Chemie gekommen

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FOTOS (): ANGELIKA SCHIMMEL Alles im roten Bereich – und trotzdem gut beim Heyfair-Team: Marita Kerstan, die Firmengrün­der Alexander Döpel und Robert Hellmundt, Liesa Heinrich und Erik Thierolf (von links) wollen mit ihren Entwicklun­gen Lücken in der Hygiene in Gesundheit­s- und Pflegeeinr­ichtungen aufdecken, um pathogenen Keimen keine Chance zu lassen.
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Die Alten Meister von Botticelli bis Rembrandt und Renoir hat das Heyfair-Team mit dem eigenen Produkt visuell etwas aufgepeppt im Firmen- Büro im Jenaer Gründerzen­trum .
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