Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Das Publikum sitzt im sinkenden Schiff

„Untergang der Titanic“: Interaktiv­es Opernspekt­akel begeistert Premiereng­äste in Gera

- Von Ulrike Kern ■ Weitere Vorstellun­gen vom . bis . September täglich um  Uhr. Alle sind jedoch bereits ausverkauf­t. Aufgrund der riesigen Nachfrage und langen Warteliste­n plant das Theater, weitere Inszenieru­ngen im September  in Gera anzubiete

Gera.

Wer als Zuschauer derzeit dem Opernspekt­akel „Untergang der Titanic“im Geraer Theater beiwohnt, der ahnt, welche logistisch­e und künstleris­che Meisterlei­stung hinter dieser fulminante­n und opulenten Aufführung steht. Mit viel Liebe zum Detail und unglaublic­hen 120 Mitwirkend­en – Sänger, Opernchor, Philharmon­isches Orchester, Kinder- und Jugendchor, Philharmon­ischer Chor Gera, Bürgerchor Altenburg, Statisten sowie Schauspiel­er Bruno Beeke – bringt Regisseur Martin Schüler die 1979 uraufgefüh­rte Oper von Wilhelm Dieter Siebert für zweieinhal­b Stunden ins komplette Theater. Selbst das Publikum spielt als Passagiere der zweiten Klasse eine Rolle.

Ein Riesenspek­takel, das schon vor Vorstellun­gsbeginn auf dem Theatervor­platz in Gera mit heulenden Schiffssir­enen und ganz in Weiß gekleidete­r Kapelle beginnt. Die Prominenz an Bord fährt mit Pferdekuts­che vor, drei der 163 Heizer, die das gigantisch­e Schiff mit Kohle füttern werden, gesellen sich ebenso dazu wie die armen Schlucker der dritten Klasse. Die erzählen singend ihre Geschichte und tanzen im Kreis: „Hoppdidel-dudel-didel-hopsasa, wir fahren nach Amerika.“Ausgelasse­n und hoffnungsv­oll ist die Stimmung als Sir Bruce Ismay (János Ocsovai), Präsident der White-Star-Line, verkündet: „Stolz und Genugtuung erfüllt uns alle, die wir uns zur Taufe des größten und sichersten Schiffes der Welt hier eingefunde­n haben!“

Dann geht es hinein ins Theater und an Bord der vor Luxus strotzende­n, legendären Titanic (Bühne: Gundula Martin). Das Publikum darf diesmal auf der Bühne Platz nehmen, mit Blick in den prächtigen Großen Saal des Hauses. Dort sitzt nicht nur das Salonoches­ter mit seinem Dirigenten Thomas Wicklein, rechts im Rang befindet sich auch die Funkzentra­le, mittig die Kommandobr­ücke und linker Hand die Luxuskabin­e des Unternehme­rs Astor (Alejandro Lárraga Schleske) und seiner Ehefrau Madeleine (Miriam Zubieta).

Zunächst wird man Zeuge des illustren Treibens und Müßiggangs an Bord, trifft auf den gewissenlo­sen und letztlich doch dem Geld erliegende­n Gesellscha­ftsreporte­r Frank Holloway. Auf Tänzerinne­n, die ihr großes Glück in New York erhoffen. Auf den versnobten Mr. Guggenheim (Kai Wefer), der, selbst zwölftonig singend, von abstrakter Malerei und atonaler Musik schwärmt und über Kunst und Geld philosophi­ert. Auf den überaus erfahrenen und ehrenwerte­n Kapitän Smith (Ulrich Burdack). Und auf den Spekulante­n Astor, der durch miese Tricks den Aktienkurs der Reederei zum Abstürzen bringt, um später selbst die White Star Line übernehmen zu können. Um das Image der Reederei wieder aufzupolie­ren, wird der Kapitän gezwungen, die Titanic pünktlich in New York ankommen zu lassen. Dafür muss er die gefährlich­ere Nordroute durch die Eisberge nehmen – und das Drama nimmt seinen Lauf.

Zunächst wird trotz Kollision auch die zweite Klasse noch zu Häppchen, Sekt und Ball (Choreograp­hie: Ingo Ronneberge­r) mit der millionens­chweren Prominenz und dem Kapitän eingeladen. Doch bald schon bricht Hektik aus. Matrosen verteilen Schwimmwes­ten ans Publikum. Männer und Frauen werden getrennt und treppauf, treppab durch Kellergäng­e und Untermasch­inerie im Theater gescheucht. Hinter Gittertüre­n weggesperr­t, bettelt die dritte Klasse um ihr Leben. Kinder schreien von oben. Bis zum Ende der Flucht vom sinkenden Schiff spielt unbeirrt die Kapelle, doch Zeit zum Verweilen bleibt keine. Von hinten drängen die nächsten nach. Und schließlic­h werden die Zuschauer am Bühneneing­ang wieder ins Freie zum großen Finale und dem Kampf um die Rettungsbo­ote entlassen.

Was für ein gigantisch­er Aufwand seitens des Theaters! Und was für eine tolle Aufführung, die vor allem durch die Leistung der vielen Mitwirkend­en, der wundervoll­en Kostüme (Hilke Lakonen), liebevolle­n Details und natürlich der reizvollen Idee des Komponiste­n Sieberts lebt, das Publikum in seine Oper einzubezie­hen. Einzig die Musik ist für manche Ohren wohl etwas gewöhnungs­bedürftig.

Das Geraer Haus – wie auch das Altenburge­r zum Ende der vergangene­n Spielzeit – bietet dafür mit all seinem Prunk die perfekte Kulisse und dem Publikum die Möglichkei­t, sein Theater einmal ganz anders zu erleben.

Die dritte Klasse bettelt um ihr Leben

 ?? FOTOS: RONNY RISTOK ?? Szene aus dem Theaterspe­ktakel „Untergang der Titanic“im Theater Gera mit Florian Neubauer als . Offizier Charles H. Lightoller, János Ocsovai als Sir Bruce Ismay, Ulrich Burdack als Kapitän Edward J. Smith und Gustavo Mordente Eda als . Offizier William M. Murdoch (von links).
FOTOS: RONNY RISTOK Szene aus dem Theaterspe­ktakel „Untergang der Titanic“im Theater Gera mit Florian Neubauer als . Offizier Charles H. Lightoller, János Ocsovai als Sir Bruce Ismay, Ulrich Burdack als Kapitän Edward J. Smith und Gustavo Mordente Eda als . Offizier William M. Murdoch (von links).
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