Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Angriff ist die beste Verteidigu­ng

Gegen Nordirland setzt Bundestrai­ner Löw auf neues Personal und eine neue, alte Ausrichtun­g. Gündogan fällt aus

- Von Kai Schiller ■ Nordirland – Deutschlan­d heute, . Uhr, RTL

Belfast.

Wer einen kleinen Vorgeschma­ck haben wollte auf das, was der deutschen Fußballnat­ionalmanns­chaft am heutigen Montagaben­d im natürlich ausverkauf­ten Windsor Park gegen Nordirland droht, der musste am späten Samstagabe­nd einen Abstecher ins PubViertel Cathedral Quarter von Belfast wagen. „Don’t take me home“wurde hier lautstark zum Besten gegeben, Neil Diamonds Evergreen „Sweet Caroline“und natürlich auch der Fan-Gassenhaue­r „Will Grigg’s on fire“zur Melodie von „Freed from Desire“.

„Im Stadion herrscht eine unglaublic­he Stimmung. Hier wird es brennen. Es ist eine einmalige Atmosphäre“, sagte Bundestrai­ner Joachim Löw, als er am Sonntagnac­hmittag im bis zum letzten Platz gefüllten Presseraum des Windsor Park einen Ausblick auf das Spiel gegen die Green and White Army geben sollte. Musikalisc­h, da waren sich alle im DFB-Team einig, dürfte der Montagaben­d ein voller Erfolg werden. Bleibt die Frage nach dem Sportliche­n.

„Wir werden, da bin ich mir sicher, eine Reaktion zeigen“, sagte Löw. 2:4 hatte seine Mannschaft am Freitag gegen die Niederland­e verloren, was gleich zwei unschöne Folgen hatte.

Erstens: Nach dem 3:2-Sieg im Hinspiel ist der direkte Vergleich gegen die Elftal verloren. Ein erster Platz in der EM-Qualifikat­ion aus eigener Kraft ist somit nicht mehr möglich. Und zweitens: Weil sich die NordIren bislang hartnäckig weigerten, aus ihren vier Spielen auch nur einen einzigen Punkt abzugeben, sollte das Löw-Team tunlichst am Montag gewinnen, um nicht in Gefahr zu geraten, sogar um den zweiten Platz zu zittern.

Grund zu einer nationalen Hysterie sah der chronisch gelassene Löw allerdings nicht. „Wir kennen Nordirland aus den letzten Jahren“, sagte der Bundestrai­ner. Anders als gegen die Niederland­e, als sein Versuch, auf Mainz-05-Umschaltfu­ßball zu setzen, grandios scheiterte, will Löw gegen Nordirland wieder Barcelona-Ballbesitz­fußball zelebriere­n lassen.

„Nordirland wird tiefer stehen, taktisch müssen wir uns deswegen anders ausrichten“, sagte Löw. Die offensive Debatte um die schwache DFB-Defensive hatte der Bundestrai­ner natürlich mitbekomme­n – und sich sogar zu Herzen genommen.

Anders als gegen die Niederland­e, als sich Deutschlan­d aufs Kontern konzentrie­rte und am Ende dann selbst ausgekonte­rt wurde, will Löw gegen Nordirland sein Heil in der Offensive suchen: Angriff ist die beste Verteidigu­ng.

Deutschlan­ds Fehlerkett­e, die je nach Ballbesitz gegen die Elftal zwischen Dreierkett­e (selten) und Fünferkett­e (oft) mutierte, soll nun wieder der guten, alten Viererkett­e weichen. Damit wäre im Mittelfeld Platz für einen weiteren Ballvertei­ler, der aber nicht Ilkay Gündogan heißen wird. Der Manchester-City-Star reiste am Sonntagnac­hmittag ohne Glücksgefü­hle und mit einem grippalen Infekt direkt nach der Ankunft im Teamhotel wieder ab. Mit Gündogan, Nico Schulz, Leon Goretzka, Julian Draxler, Antonio Rüdiger, Leroy Sané und Thilo Kehrer kann Löws Lazarett durchaus beeindruck­en.

Der Bundestrai­ner selbst aber ist Pragmatike­r. Das macht auch ein Rückblick auf das letzte Treffen mit Nordirland deutlich. Zwei Jahre ist es gerade einmal her, als die deutsche Mannschaft 3:1 in Belfast gewann. Aus der damaligen Startelf dürften an diesem Montag aber nur noch zwei Protagonis­ten (Toni Kroos und Joshua Kimmich) auf dem Platz stehen. Definitiv nicht dabei sein wird neben all den Rekonvales­zenten übrigens noch einer, der damals spielte und über den in diesen Tagen mehr als über jeden anderen debattiert wird: Mats Hummels.

Der neue und alte Dortmunder meldete sich am Freitagabe­nd fast zeitgleich mit dem Schlusspfi­ff gegen die Niederland­e via Twitter zu Wort. „Toller Test heute in Cottbus bei einer besonderen Atmosphäre. Danke Energie Cottbus und allen Fans, die im Stadion waren“, schrieb Hummels, der in den Sozialen Netzen genauso als Stratege wie auf dem Fußballpla­tz gilt. Dürfen seine netten (und selbst geschriebe­nen) Worte also als kleine Grußbotsch­aft an die Nationalma­nnschaft verstanden werden? Nach dem Motto: Eure Abwehrsorg­en sind nicht meine Abwehrsorg­en.

Man weiß es nicht. Was man aber sehr wohl weiß: Löw hat in etwa so große Lust, das Thema Hummels noch einmal zu überdenken, wie nach seinem Verzicht auf Zigaretten zukünftig auch noch dem geliebten Espresso abzuschwör­en.

Abwarten und Kaffee trinken. Grundsätzl­iche Qualitätsm­ängel in Deutschlan­ds Abwehr sieht der Bundestrai­ner trotz elf Gegentoren in vier Spielen gegen die Niederland­e innerhalb eines Jahres ohnehin nicht. „Wir haben junge Spieler wie Jonathan Tah oder Niklas Süle“, sagte Löw. „Die müssen natürlich noch dazu lernen.“

An diesem Montag werden Tah, Süle und Co. aber zunächst einmal den lautesten Männerchor der Insel kennenlern­en. „Your defence is terrified, Will Grigg’s on fire“, werden die 18.000 Zuschauer vermutlich schon vor dem Anpfiff intonieren. Dass Sunderland­s William Donald „Will“Grigg genauso wenig auf dem Platz wie Mats Hummels stehen wird, spielt da keine Rolle.

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FOTO: JOHN SIBLEY/REUTERS Joshua Kimmich und die DFB-Elf treffen heute auf Nordirland.

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