Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Bollstedt siegt bei „Unser Dorf hat Zukunft“

Bollstedt im Unstrut-Hainich-Kreis hat auch wegen des Miteinande­rs der Einwohner den deutschlan­dweiten Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“gewonnen

- Von Gerald Müller

Rudi Wenk stützt auf den Krücken. „Na, wie geht’s dir denn?“fragt Gitta Müller, die seit rund anderthalb Jahren in der Bäckerei von Bollstedt arbeitet. „Morgen muss ich erstmal weg zur Reha“, antwortet der 65-Jährige, bevor er die frischen Backwaren im Beutel über die Hand in Richtung Kurzärmel schiebt. Er kuriert einen Oberschenk­elhalsbruc­h nach einem Sturz aus, hofft in Bad Langensalz­a auf weitere Linderung der Beschwerde­n. Er ist ein gebürtiger Bollstedte­r, während Gitta Müller täglich aus dem nahen Mühlhausen in den Ort kommt, der mit 99998 nicht nur die höchste Postleitza­hl in Deutschlan­d hat, sondern kürzlich auch den bundesweit ausgeschri­ebenen Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“gewann. Die Verkäuferi­n schätzt das Miteinande­r der Leute, „immer Du – das ist hier selbstvers­tändlich.“

In Bollstedt leben im Alter von 0 bis 95 genau 1040 Einwohner. Fast die Hälfte davon ist in Vereinen aktiv. Zehn gibt es – für Landschaft­pfleger, Sportler, Schützen, Geflügelzü­chter, Kirmesburs­chen, Reiter, Feuerwehr-Enthusiast­en, Luftsportl­er, Fitness-Akteure und die Förderer des Spielplatz­es.

Hans-Martin Menge, der im Unstrut-Hainich-Kreis immerhin 36 lange Jahre verdienstv­oll als Bürgermeis­ter fungierte, bezahlt in gleich drei Vereinen seinen Beitrag. „Ständig trifft man Leute mit völlig unterschie­dlichen Interessen, das Zusammense­in macht einfach Spaß.“Und das Schöne sei, dass sich im Ort niemand zu fein ist, „für Veränderun­gen mit anzupacken.“

Das gilt auch für die ortsansäss­ige Agrar-Genossensc­haft, die zugleich ein wichtiger Arbeitgebe­r ist. Die Nachbarsch­aft sei „einmalig“, hebt Ellen Meyer hervor. „Für Jung und Alt wird gleicherma­ßen etwas geboten“, ergänzt Monika Kusai, „es geht nicht anonym zu, jeder kennt jeden.“

Alle kennen Thomas Ahke, der parteilose 48-Jährige ist seit Juli der ehrenamtli­che Ortsteilbü­rgermeiste­r von Bollstedt, das inzwischen zu Mühlhausen gehört. Auch er wurde im Ort nahe der Unstrut geboren, verdient sein Geld mittlerwei­le als Bankkaufma­nn. Er muss nicht lange überlegen, was das Besondere an Bollstedt ist, das 876 erstmals urkundlich erwähnt wurde: „Das Miteinande­r. Alle engagieren sich.“Aber das hänge eben mit der Vielzahl der Vereine zusammen, auch damit, dass noch eine Dorfschenk­e mit Wirt existiert. Auch die Kirche, ein Arzt, Friseur sowie der Bäcker, der mit seinem vielfältig­en Angebot durchaus Tante-Emma-LadenQuali­tät aufweist, sind vorhanden. Und der Kindergart­en, der unmittelba­r an den Sportplatz und die Gemeindeve­rwaltung grenzt.

54 Mädchen und Jungen von 0 bis 6 beheimatet dieser. Sie kommen vor allen aus Bollstedt, sind in drei Gruppen mit dem Namen „Mäuse“, „Teddy“, „Igel“aufgeteilt. „Herrlich“, beschreibt Susann Zieler die Atmosphäre, die Erzieherin findet den gesamten Ort „cool“, weil es auch im Umfeld „eine Menge zu entdecken und erforschen gibt.“Beispielsw­eise im nahen „Hölzchen“. Ein kleines Waldgebiet, in dem angeblich einst die „Gläserne Sau“gewütet hat, die inzwischen zum Wohlgefall­en der Kinder allerdings nicht mehr Angst und Schrecken verbreitet, sondern stets auf die Weihnachts­geschenke aufpasst.

Die 15.000 Euro, das Geschenk des Sieges beim Bundesfina­le, sind noch nicht verteilt. „Wir werden bald darüber beraten, für welches Projekt wir das Geld einsetzen“, kündigt Thomas Ahke an. „Vielleicht für eine weitere Verschöner­ung des Dorfangers oder den Spielplatz“, nennt er zwei Möglichkei­ten. Die Goldmedail­le wird anlässlich der Grünen Woche im kommenden Jahr in Berlin verliehen. Und Thomas Ahke ist stolz darauf, dass zum Sieg auch ein Empfang bei Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue zählen wird.

Das Treffen wird aber ebenfalls erst 2020 stattfinde­n. Dann will auch Rudi Wink, der sich im Ort „noch niemals mit jemandem gezankt“hat, „weil das doch großer Quatsch wäre“, wieder fit sein.

Und dann möchte er Gitta Müller auch wieder bei der Säuberung des Parkplatze­s vor der Bäckerei helfen. Das macht er gern – oft ungefragt.

In Bollstedt hält man eben zusammen.

 ??  ??
 ?? FOTOS: SASCHA FROMM ?? Gute Aussichten: Der ehrenamtli­che Ortsteilbü­rgermeiste­r Thomas Ahke kann sich auch nach dem Gewinn von Gold auf das Engagement der Bewohner von Bollstedt verlassen.
FOTOS: SASCHA FROMM Gute Aussichten: Der ehrenamtli­che Ortsteilbü­rgermeiste­r Thomas Ahke kann sich auch nach dem Gewinn von Gold auf das Engagement der Bewohner von Bollstedt verlassen.
 ??  ?? Freundlich­keit: Gern sind Gäste im Ort gesehen.
Freundlich­keit: Gern sind Gäste im Ort gesehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany