Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Feininger-Werke in Apolda zu sehen
Das Kunsthaus Apolda feiert den berühmtesten Künstler-Radfahrer der ganzen Region
Apolda. Im Bauhausjahr zeigt das Kunsthaus Apolda (Kreis Weimarer Land) mit Lyonel Feininger (1871-1956) einen ganz Großen der vor 100 Jahren gegründeten Architektur-, Kunstund Gestaltungsschule. Unter dem Titel „Traumstadt – Lyonel Feininger und seine Dörfer“sind derzeit etwa 90 Arbeiten zu sehen, wie die Veranstalter mitteilten. Die Naturnotizen, Karikaturen, Aquarelle, Druckgrafiken und Gemälde stammen aus den Jahren 1890 bis 1955. (dpa)
„Das Weimarer Land ist Feininger-Land“, jubelte Landrätin Christiane Schmidt-Rose am Freitag, als die neue Sonderausstellung im Kunsthaus Apolda Avantgarde für eine Preview ihre Pforten öffnete. Und sie hat recht: Nichts und niemandem verdankt der kleinstädtisch-dörfliche Landstrich rings um die Kulturstadt eine solche internationale Bekanntheit wie dem USKünstler und passionierten Radfahrer Lyonel Feininger. Buttelstedt, Mellingen, Niedergrunstedt, Lehnstedt, Gaberndorf oder Gelmeroda – immer wieder Gelmeroda – dienten seinen Bildwerken als Motiv. Nun, im Bauhaus-Jahr, widmet man ihm eine große Retrospektive.
Deren Titel „Traumstadt – Lyonel Feininger und seine Dörfer“haben die Kuratoren Andrea Fromm und Tom Beege gewählt, um, wie sie insinuieren, einen möglichst umfassenden Zugang zu dessen Werk zu gewähren. Denn der gebürtige New Yorker habe, behauptet Fromm, sich lebenslang mit einem einzigen Thema befasst, mit dem Antagonismus von Stadt und Land. Einen solchen Ansatz mag, wer sich mit Feininger (1871-1956) ein wenig auskennt, gutwillig als hermeneutischen Kniff der Ausstellungsmacher identifizieren. Er soll offenbar darüber hinwegtäuschen, dass zumal das Weimarer und auch Dessauer Oeuvre des von Gropius als ersten Meister ans Bauhaus Berufenen ziemlich unterrepräsentiert bleibt.
Die ärgste Leerstelle markiert das Fehlen des wohl berühmtesten Feininger-Holzschnitts, der „Kathedrale der Zukunft“, die als Titel des Bauhaus-Manifests 1919 diente. Aber welches Museum, das solch ein Blatt im Depot hat, leiht es schon – ausgerechnet im Bauhaus-Jahr! – ans kleine Kunsthaus in Apolda? Darin liegt keine Schmach, hingegen die famose Fülle und Vielfalt an beispielhaften Feiningers der Apoldaischen KulturInstanz zu aller Ehre gereicht. Mit insgesamt 260.000 Euro von Förderern und Sponsoren – allein 80.000 Euro Zuschuss vom Land – trugen Beege und Fromm überwiegend Grafiken und Zeichnungen zusammen; auch prominente Häuser aus den USA zieren die Liste der Leihgeber.
Die einigermaßen chronologisch gehängte Schau wird viele Besucher verblüffen, weil sie über weite Bereiche im Untergeschoss humoristische Zeichnungen und Karikaturen von der Hand Feiningers zeigt. Der Sohn deutschstämmiger Musiker, der als 16-Jähriger nach Hamburg kam, um Kunst zu studieren, verdiente sein erstes Geld mit flinkem Strich für hiesige Satireblätter, ja fertigte sogar ab 1906 für die Chicago Tribune ganze Comic-strip-Serien. Während „Wee Willie Winkie‘s World“und „The Kin-der-Kids“einer gewissen genreüblichen Drastik nicht entbehren, bezeugen Arbeiten etwa für die „Lustigen Blätter“auch feinere Spielarten des Humors.
Für dieses Genre habe man aus konservatorischen Gründen auf Faksimiles zurückgreifen müssen, räumte Fromm auf Nachfrage ein; altes Zeitungspapier wird halt fragil. Im Original freilich prangt die Titelseite von „Das Schnauferl – Blätter für Sporthumor“, Nr. 5/1908 in einer Vitrine: Für uns interessant, weil dem pfeilspitzen Kirchturm, an dem ein vorbei driftender Heißluftballon sich die Hülle ritzt, offenbar das berühmte Gelmerodaer Gotteshaus Modell stand. Man bemerkt Feiningers behende Auffassungsgabe, seinen Mut zur Abstraktion und den Esprit, Mitmenschen pointiert zu typisieren.
Weitere Skizzen – von Dörfern des Weimarer Lands, aber auch Straßenszenen aus Paris – folgen durchaus dem Stil der Zeit; ein frühes Ölbild „Kirchturm hinter Bäumen“(1907) trägt postimpressionistischen Gestus. Zu dieser Zeit war Lyonel Feininger, der Liebe zu Julia Berg wegen, allenthalben in Weimar und Umgebung unterwegs. Und damals schon entwickelte er allmählich seinen unverkennbar eigenen Ansatz: „Mir schweben ganz andere, Leucht- und Tonwerte (...) als bislang vor. (...) Das Gesehene muss innerlich umgeformt und crystallisiert werden“, notierte er. So finden wir, was man gern für „typisch bauhäusisch“hält, bei ihm bereits vor der Berufung zum Formmeister der Bauhaus-Druckerei voll entwickelt: jene kubistisch-konstruktiven, der (Meta-)Physik des Lichts abgeschauten Kristallformen, die sich – auf ätherische Grundformen reduziert – scheinbar abstrakt auftürmen. Zum Beispiel die Bleistift-Zeichnung „Gelmeroda“von 1915. Mit etwas Fantasie ahnt man indes die ursprüngliche Struktur der Dorflandschaft da noch heraus.
Ebenso feiert das Ölgemälde „Gelmeroda“aus demselben Jahr das kristalline, göttliche Licht, welches das Kirchlein umhüllt; das Bild aus dem Bestand der Solomon Guggenheim Foundation, New York, ist ein Höhepunkt der Apoldaer Schau. Man mag sich sodann kaum sattsehen an den Spielarten Feiningerscher „Licht-Bildnerei“– zumal dank heimatkundlicher Bezüge. Ein ganz besonderes Augenmerk aber verdient das „Dorf (Markvippach)“in seiner flächig-illuminierenden Auflösung, das Feininger anno 1927 in Öl auf Leinwand gab. Unverkennbar hat ein befreundeter Dessauer Nachbar – Paul Klee – Pate gestanden.
So schwelgt man lange in der Apoldaer Schau, wägt den Aufstieg ins oberste Stockwerk, wo die Fotokünstlerin Angela Dolgner von Feininger inspirierte Mehrfachbelichtungen zeigt, oder sucht sich, beim Heraustreten aufs harte Kopfsteinpflaster der Realität einen Drahtesel, um selber auf dessen Spuren zu strampeln. Nur eine gangschaltungsfreie „Cleveland 100“wird man so leicht nicht finden...
Kristalline Abstraktion schon vor der Bauhaus-Gründung