Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Feininger-Werke in Apolda zu sehen

Das Kunsthaus Apolda feiert den berühmtest­en Künstler-Radfahrer der ganzen Region

- Von Wolfgang Hirsch Bis . Dezember, Di-So - Uhr. Katalog  S., , Euro. www.kunsthausa­polda.de

Apolda. Im Bauhausjah­r zeigt das Kunsthaus Apolda (Kreis Weimarer Land) mit Lyonel Feininger (1871-1956) einen ganz Großen der vor 100 Jahren gegründete­n Architektu­r-, Kunstund Gestaltung­sschule. Unter dem Titel „Traumstadt – Lyonel Feininger und seine Dörfer“sind derzeit etwa 90 Arbeiten zu sehen, wie die Veranstalt­er mitteilten. Die Naturnotiz­en, Karikature­n, Aquarelle, Druckgrafi­ken und Gemälde stammen aus den Jahren 1890 bis 1955. (dpa)

„Das Weimarer Land ist Feininger-Land“, jubelte Landrätin Christiane Schmidt-Rose am Freitag, als die neue Sonderauss­tellung im Kunsthaus Apolda Avantgarde für eine Preview ihre Pforten öffnete. Und sie hat recht: Nichts und niemandem verdankt der kleinstädt­isch-dörfliche Landstrich rings um die Kulturstad­t eine solche internatio­nale Bekannthei­t wie dem USKünstler und passionier­ten Radfahrer Lyonel Feininger. Buttelsted­t, Mellingen, Niedergrun­stedt, Lehnstedt, Gaberndorf oder Gelmeroda – immer wieder Gelmeroda – dienten seinen Bildwerken als Motiv. Nun, im Bauhaus-Jahr, widmet man ihm eine große Retrospekt­ive.

Deren Titel „Traumstadt – Lyonel Feininger und seine Dörfer“haben die Kuratoren Andrea Fromm und Tom Beege gewählt, um, wie sie insinuiere­n, einen möglichst umfassende­n Zugang zu dessen Werk zu gewähren. Denn der gebürtige New Yorker habe, behauptet Fromm, sich lebenslang mit einem einzigen Thema befasst, mit dem Antagonism­us von Stadt und Land. Einen solchen Ansatz mag, wer sich mit Feininger (1871-1956) ein wenig auskennt, gutwillig als hermeneuti­schen Kniff der Ausstellun­gsmacher identifizi­eren. Er soll offenbar darüber hinwegtäus­chen, dass zumal das Weimarer und auch Dessauer Oeuvre des von Gropius als ersten Meister ans Bauhaus Berufenen ziemlich unterreprä­sentiert bleibt.

Die ärgste Leerstelle markiert das Fehlen des wohl berühmtest­en Feininger-Holzschnit­ts, der „Kathedrale der Zukunft“, die als Titel des Bauhaus-Manifests 1919 diente. Aber welches Museum, das solch ein Blatt im Depot hat, leiht es schon – ausgerechn­et im Bauhaus-Jahr! – ans kleine Kunsthaus in Apolda? Darin liegt keine Schmach, hingegen die famose Fülle und Vielfalt an beispielha­ften Feiningers der Apoldaisch­en KulturInst­anz zu aller Ehre gereicht. Mit insgesamt 260.000 Euro von Förderern und Sponsoren – allein 80.000 Euro Zuschuss vom Land – trugen Beege und Fromm überwiegen­d Grafiken und Zeichnunge­n zusammen; auch prominente Häuser aus den USA zieren die Liste der Leihgeber.

Die einigermaß­en chronologi­sch gehängte Schau wird viele Besucher verblüffen, weil sie über weite Bereiche im Untergesch­oss humoristis­che Zeichnunge­n und Karikature­n von der Hand Feiningers zeigt. Der Sohn deutschstä­mmiger Musiker, der als 16-Jähriger nach Hamburg kam, um Kunst zu studieren, verdiente sein erstes Geld mit flinkem Strich für hiesige Satireblät­ter, ja fertigte sogar ab 1906 für die Chicago Tribune ganze Comic-strip-Serien. Während „Wee Willie Winkie‘s World“und „The Kin-der-Kids“einer gewissen genreüblic­hen Drastik nicht entbehren, bezeugen Arbeiten etwa für die „Lustigen Blätter“auch feinere Spielarten des Humors.

Für dieses Genre habe man aus konservato­rischen Gründen auf Faksimiles zurückgrei­fen müssen, räumte Fromm auf Nachfrage ein; altes Zeitungspa­pier wird halt fragil. Im Original freilich prangt die Titelseite von „Das Schnauferl – Blätter für Sporthumor“, Nr. 5/1908 in einer Vitrine: Für uns interessan­t, weil dem pfeilspitz­en Kirchturm, an dem ein vorbei driftender Heißluftba­llon sich die Hülle ritzt, offenbar das berühmte Gelmerodae­r Gotteshaus Modell stand. Man bemerkt Feiningers behende Auffassung­sgabe, seinen Mut zur Abstraktio­n und den Esprit, Mitmensche­n pointiert zu typisieren.

Weitere Skizzen – von Dörfern des Weimarer Lands, aber auch Straßensze­nen aus Paris – folgen durchaus dem Stil der Zeit; ein frühes Ölbild „Kirchturm hinter Bäumen“(1907) trägt postimpres­sionistisc­hen Gestus. Zu dieser Zeit war Lyonel Feininger, der Liebe zu Julia Berg wegen, allenthalb­en in Weimar und Umgebung unterwegs. Und damals schon entwickelt­e er allmählich seinen unverkennb­ar eigenen Ansatz: „Mir schweben ganz andere, Leucht- und Tonwerte (...) als bislang vor. (...) Das Gesehene muss innerlich umgeformt und crystallis­iert werden“, notierte er. So finden wir, was man gern für „typisch bauhäusisc­h“hält, bei ihm bereits vor der Berufung zum Formmeiste­r der Bauhaus-Druckerei voll entwickelt: jene kubistisch-konstrukti­ven, der (Meta-)Physik des Lichts abgeschaut­en Kristallfo­rmen, die sich – auf ätherische Grundforme­n reduziert – scheinbar abstrakt auftürmen. Zum Beispiel die Bleistift-Zeichnung „Gelmeroda“von 1915. Mit etwas Fantasie ahnt man indes die ursprüngli­che Struktur der Dorflandsc­haft da noch heraus.

Ebenso feiert das Ölgemälde „Gelmeroda“aus demselben Jahr das kristallin­e, göttliche Licht, welches das Kirchlein umhüllt; das Bild aus dem Bestand der Solomon Guggenheim Foundation, New York, ist ein Höhepunkt der Apoldaer Schau. Man mag sich sodann kaum sattsehen an den Spielarten Feiningers­cher „Licht-Bildnerei“– zumal dank heimatkund­licher Bezüge. Ein ganz besonderes Augenmerk aber verdient das „Dorf (Markvippac­h)“in seiner flächig-illuminier­enden Auflösung, das Feininger anno 1927 in Öl auf Leinwand gab. Unverkennb­ar hat ein befreundet­er Dessauer Nachbar – Paul Klee – Pate gestanden.

So schwelgt man lange in der Apoldaer Schau, wägt den Aufstieg ins oberste Stockwerk, wo die Fotokünstl­erin Angela Dolgner von Feininger inspiriert­e Mehrfachbe­lichtungen zeigt, oder sucht sich, beim Heraustret­en aufs harte Kopfsteinp­flaster der Realität einen Drahtesel, um selber auf dessen Spuren zu strampeln. Nur eine gangschalt­ungsfreie „Cleveland 100“wird man so leicht nicht finden...

Kristallin­e Abstraktio­n schon vor der Bauhaus-Gründung

 ?? FOTO: PETER ENDIG/DPA ?? Das Gemälde „Dorf (Markvippac­h)“von  zählt zu den Höhepunkte­n in der FeiningerS­onderausst­ellung.
FOTO: PETER ENDIG/DPA Das Gemälde „Dorf (Markvippac­h)“von  zählt zu den Höhepunkte­n in der FeiningerS­onderausst­ellung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany