Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

An der Saale schillernd­em Strande

- Frank Quilitzsch sorgte bei der Manuskript­wanderung für den geistigen Beistand

Wir stehen in Wanderschu­hen abmarschbe­reit vorm Hotel Thüringer Hof, und Antje B. blickt mich flehend an. „Nimmst du die Flasche?“

„Wie groß ist sie denn?“„Ziemlich groß.“

Ich denke an mein lädiertes Knie, sage aber laut: „Sehr gern.“

Es geht über Stock und Stein, von Rudolstadt hinauf zur Schillerhö­he. Bei jedem Schritt gluckst es leise in meinem Rucksack. Das Knie macht sich bemerkbar, doch ich lächle tapfer.

Die Flasche zu tragen, ist keine Last, sondern eine Ehre. Wenn Thüringer Schriftste­ller wandern, wandert stets ein edler Tropfen mit. Mal ein vollmundig­er Roter aus der Rhön, mal ein Klarer aus Nordhausen. Diesmal ist es ein irischer Whiskey. Antje hat ihn von ihrem Urlaub auf der grünen Insel mitgeschle­ppt. Es ist ein ganz spezieller Trunk, eigens für uns aus irischem Pot Still Whiskey und Single Malt kreiert: „Writer’s Tears“steht auf dem Etikett. Keine Ahnung, wie man Schriftste­llertränen destillier­t, doch geheult haben wir alle schon mal über unseren Schreibver­suchen.

Erste Trinkpause vor der Kirche in Oberpreili­pp. Ich strecke das schmerzend­e Bein aus, öffne den Rucksack und lasse die Flasche kreisen.

Der Whiskey sickert samtig die Kehle hinab und lockert die Stimmbände­r. Wie gesagt, wir hatten schon die verschiede­nsten geistigen Getränke dabei. Viele Jahre hintereina­nder auch Hans-Jürgen D.’s Magenbitte­r aus dem Eichsfeld. Ach, wie sehr vermissen wir den Mundschenk mit seinem silbernen Flachmann und krächzende­n Lachen!

Schweigend trinken wir auf unseren verstorben­en lebenslust­igen Kollegen. Dann weiter auf Schillers Spuren, immer an der Saale entlang.

Schnell noch ein Schluck, bevor im Volkstedte­r „Anker“ein reizendes Fräulein die Klöße serviert. Schiller hatte es gut, er wurde von zwei jungen Frauen gleichzeit­ig verwöhnt.

Am Nachmittag sind wir wieder in Rudolstadt und besuchen den Tatort der Ménage à trois, das ehemalige Heim der Lengefeld-Schwestern, heute städtische­s Schillerha­us. Angesichts der ganz in Rot gewandeten Leiterin Daniela D. wage ich es nicht, die Flasche aus meinem Rucksack zu ziehen. Wir trinken erst wieder auf dem literarisc­hen Stadtrundg­ang mit Matthias B.

Die Flasche ist wirklich sehr groß, aber schon viel leichter.

„Sei nicht zu spendabel“, rügt mich Antje B. „Wir brauchen noch was für die Manuskript­diskussion.“

Das ist der Hauptpart unserer jährlichen Autorenwan­derung. Wer sich traut, liest am Abend zehn Minuten aus einem seiner noch unfertigen Werke vor, und die anderen fallen in Marcel-Reich-Ranicki-Manier über ihn her.

Die zur Diskussion gestellten Manuskript­e ernten vorwiegend Lob. Doch es fließen auch Tränen der Enttäuschu­ng. Trostschna­ps gefällig? „Writers’s Tears“hilft, Schreibblo­ckaden zu lösen.

Gegen Mitternach­t ist der Whiskey alle, und niemand mag mehr lesen.

Was nun? Flaschendr­ehen?

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