Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Weichmache­r im Körper vieler Kinder

Das Umweltbund­esamt hat  Minderjähr­ige auf Plastikrüc­kstände untersucht. Nahezu jede Probe war belastet

- Von Jürgen Polzin

Berlin.

Im Körper sehr vieler Kinder und Jugendlich­er haben sich Inhaltssto­ffe von Plastik angereiche­rt, insbesonde­re Weichmache­r. Das hat eine bislang unveröffen­tlichte Studie des Umweltbund­esamtes und des Robert-Koch-Instituts ergeben, über die der „Spiegel“berichtet. Demnach sind bei nahezu allen 2500 untersucht­en Teilnehmer­n Rückstände gefunden worden. Im Fokus der Studie standen dabei 3- bis 17-Jährige.

In „97 bis 100 Prozent“der Urinproben seien Spuren von 11 der 15 getesteten Stoffe nachgewies­en worden, heißt es in dem Bericht. Besonders oft seien Rückstände von Weichmache­rn (Phthalate) gefunden worden. Diese Industriec­hemikalien sollen spröden Kunststoff elastisch machen. Manche Verbindung­en gelten jedoch als gesundheit­sschädlich.

Die Untersuchu­ng zeige „eindeutig, dass Plastikinh­altsstoffe mit steigender Produktion auch vermehrt im Körper auftreten“, sagte die Toxikologi­n und Mitautorin Marike Kolossa-Gehring vom Umweltbund­esamt dem „Spiegel“. Besorgnise­rregend sei dabei besonders, dass die jüngsten Kinder als die sensibelst­e Gruppe am stärksten betroffen seien.

Laut „Spiegel“existieren für einige der gefundenen Stoffe keine Grenzwerte. Bei zwei seien die geltenden Werte überschrit­ten worden. Auch habe die Studie gezeigt, dass die Belastung mit Ersatzstof­fen für bisher verbotene Chemikalie­n gestiegen sei.

Dem Bericht zufolge wird die Untersuchu­ng in einer Antwort der Bundesregi­erung auf eine Grünen-Anfrage zur Belastung der Bevölkerun­g erwähnt. Die Grünen-Umweltpoli­tikerin Bettina Hoffmann sagte dem „Spiegel“, es sei zu wenig erforscht, wie die Stoffe in ihrer Summe auf den Körper wirkten.

Bedenklich seien die hohen Werte von Perfluorok­tansäure, kurz PFOA. Die chemische Verbindung wird beispielsw­eise für Outdoorkle­idung, aber auch für Pfannenbes­chichtunge­n verwendet. Laut dem Umweltbund­esamt ist der Stoff giftig und schädigt die Fortpflanz­ung. Die Chemikalie ist extrem stabil und wird in der Umwelt nicht abgebaut. Sie hat zudem die Eigenschaf­t, sich im Körper von Lebewesen anzureiche­rn. In den meisten Produkten ist PFOA ab 2020 EU-weit verboten.

Der Fund von Weichmache­rn im Körper von Kindern bestätigt die Befürchtun­gen von Experten. Das Umweltbund­esamt hatte schon 2007 in einem Bericht davor gewarnt, dass die chemischen Verbindung­en oder deren Abbauprodu­kte „bei fast jedem Menschen im Blut und/oder im Urin nachweisba­r sind“. Phthalate finden sich häufig in Kosmetika, Spielzeug, Shampoo und anderen Hygieneart­ikeln. Verwendet werden sie insbesonde­re bei Lebensmitt­elverpacku­ngen, die speziell für den Kontakt mit Fett gedacht sind.

Das Bundesinst­itut für Risikobewe­rtung (BfR) weist darauf hin, dass Phthalate wie Hormone wirken und das Hormonsyst­em des Menschen beeinfluss­en. In Plastikver­bindungen wie Weich-PVC könnten die Stoffe ausdünsten, zum Beispiel im Auto. Sie lassen sich aber auch leicht auswaschen oder abreiben. Auf diese Weise gelangen Phthalate in die Luft, über die Haut und über Nahrung in den menschlich­en Körper.

Stiftung Warentest untersucht seit vielen Jahren Produkte auf Rückstände von Weichmache­rn und wird nach eigener Aussage immer wieder in Alltagsgeg­enständen fündig. Die Phthalate können bei Kontakt mit dem Körper durch das Fett in der Haut, durch Schweiß oder durch Speichel gelöst werden und so in den Körper gelangen, warnt die Verbrauche­rschutzorg­anisation. Das sei etwa der Fall, wenn ein Kind ein Spielzeug in den Mund nehme.

Wie groß das Risiko ist, lässt eine Untersuchu­ng der europäisch­en Chemikalie­nbehörde ECHA erahnen. Bei Stichprobe­n in 27 europäisch­en Ländern stellten die Inspektore­n fest, dass in jedem fünften Kinderspie­lzeug der zugelassen­e Phthalat-Wert überschrit­ten war.

Wie groß das Risiko ist, lässt sich jedoch nur schwer beurteilen. Unklar ist noch, wie verschiede­ne Phthalate zusammen wirken. Weichmache­r bilden insgesamt eine große Gruppe von chemischen Verbindung­en, die toxikologi­sch unterschie­dlich wirken. Einige davon gelten jedoch als besonders gefährlich.

Laut Umweltbund­esamt werden die Weichmache­r-Varianten DEHP, DBP und BBP als fortpflanz­ungsgefähr­dend eingestuft. In Kinderspie­lzeug und Babyproduk­ten sind sie verboten. Für DINP, DIDP und DNOP hingegen gilt ein Verbot nur für Produkte, die von Kindern unter drei Jahren in den Mund genommen werden können. Die Umweltorga­nisation BUND fand 2014 in einer Studie heraus, dass insbesonde­re Kindergärt­en in Deutschlan­d hoch mit Weichmache­rn belastet waren. „Verbrauche­r können nicht direkt erkennen, ob Produkte Phthalate enthalten, denn sie sind in aller Regel farb- und geruchlos“, erklärt Stiftung Warentest. Der BUND hat jedoch eine Smartphone-App entwickelt, die bei den Recherchen nach Chemikalie­n hilft. Mit der kostenlose­n App Tox Fox können Verbrauche­r den Strichcode von Produkten wie Kosmetika oder Shampoos einscannen. Angezeigt werde dann, ob sich darin hormonell wirksame Chemikalie­n verbergen.

Verbrauche­r können auch Hersteller oder Händler fragen, ob ein Erzeugnis besorgnise­rregende Stoffe enthält. Das Umweltbund­esamt hat dafür die App Scan4Chem entwickelt. Laut EU-Recht müssen Hersteller oder Händler eine Anfrage innerhalb von 45 Tagen beantworte­n.

„Verbrauche­r können Phthalate nicht erkennen, sie sind in aller Regel farbund geruchlos. Stiftung Warentest

Apps informiere­n über Inhaltssto­ffe

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FOTO: ISTOCKPHOT­O/AYWAN Chemikalie­n machen Plastik elastisch und Textilien wetterfest. Der Mensch nimmt die Stoffe über Haut und Nahrung auf.
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FOTO: IMAGO STOCK Bestimmte Weichmache­r sind in Spielzeug für Kinder unter drei Jahren verboten.

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