Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Streifzug durch die Ära der neuen Sachlichkeit in Gera
Touren zu den Baudenkmälern aus der Zeit des Bauhaus-Stils sind ein Exkurs in die Geschichte
Gera.
Rund 50 Gäste warteten an einem Samstag an der Bushaltestelle gegenüber der Touristinformation in Gera. Sie alle wussten, dass die Stadt in Ostthüringen diejenige ist, die mit den meisten Baudenkmälern aus der Zeit des Neuen Bauens in Thüringen aufwarten kann.
Entsprechend war die Spannung unter den Teilnehmern. Zwei Stunden lang galt es, eine kleine Auswahl an Denkmälern, speziell aus der Bauhaus-Zeit, zu besichtigen oder auch nur aus dem Bus heraus zu erspähen. Alle Gebäude, an denen während der Rundfahrt kein Stopp eingelegt wurde, animieren nun dazu, sie sich später noch einmal anzusehen.
An einigen Denkmälern wurde aber auch ein Halt eingelegt, um die Bauweise genauer betrachten zu können oder sogar einen Blick in das Innere werfen zu dürfen.
Es sind alles Objekte, die heute, 100 Jahre nach der Gründung der Bauhaus-Schule für Kunst und Architektur, in ihrer Ästhetik im Stil und Innenarchitektur etwas Besonderes, Bedeutendes und Außergewöhnliches sind. Liebhaber der Epoche des Modernen Bauens fasziniert der schlichte, schnörkellose, sachliche Stil, der nichtsdestotrotz von einer hohen Funktionalität geprägt ist. Vor 100 Jahren galt der Bauhausstil als revolutionär, heute übt er eine Faszination auf den Betrachter aus. Und ganz gleich, welche Meinung zum Bauhausstil vertreten wird, die Touren durch Geras Geschichte muss man erlebt haben und den Gästen zeigen. Schließlich kann sich die Stadt damit rühmen, dass 25 Gebäude aus dieser Epoche nicht nur erhalten sind, sondern sich in einem sehenswerten, oftmals top sanierten Zustand befinden.
Auf dieser Tour aber erleben die Teilnehmer viel mehr als einen Geschichtsexkurs durch Objekte, die in der Zeit ab 1900 in der Stadt erbaut wurden. Auf der Bustour bekommt der Gast auch gleich noch eine Einführung in Kunst, Malerei, Fotografie und Theaterkunst der Vergangenheit bis hin zu den Verbindungen in die heutige Zeit.
Der Teilnehmer der durch Stadtführer Alexander Jörg begleiteten Bustour, kann sich gewiss sein, dass er eine große Vielfalt an Wissen zu Geschichte,
Personen und Verknüpfungen der Familien sowie Architektur vermittelt bekommt.
Die Fahrt startet am Bussteig R in der Heinrichstraße und führt zur Straße des Friedens. Zwischen Jugendstilund zahlreichen Villen aus der Gründerzeit, fällt ein Haus aus dem Rahmen, das Haus Schulenburg von Paul Schulenburg. Ein Gebäude, das im 100. Jubiläumsjahr der Bauhaus-Schule für Kunst und Architektur, besonders heiß begehrt sei, so der Stadtführer. Das Haus, erbaut zwischen 1913 bis 1914, zeichnet die Schlüsselfunktion des Übergangs zur Epoche des Modernen Bauens. „Es ist ein Kunstwerk, harmonisch fügen sich Garten und Gebäudestruktur ineinander. Das Gebäude sollten sie unbedingt besichtigen“, schwärmt Jörg.
Während des Exkurses ist eine Betrachtung nur durch die Scheiben des Busses vorgesehen. Veranstaltungen und Führungen werden aber durch die Touristinformation organisiert und angeboten.
Welche Verbindungen der große Textilfabrikant Paul Schulenburg zum Architekt Henry van de Velde hatte, wie diese zustande kamen und welchem
Glücksfall es zu verdanken ist, dass das Haus so gut erhalten ist – all dies erzählt der Stadtführer seiner Zuhörerschar. In dem Haus befindet sich heute ein bedeutendes Privatmuseum der Stadt.
Van de Velde, der Alleskönner, der als Wegbereiter des Neuen Bauens gilt, bildete viele Meisterschüler aus. Einer von ihnen war Thilo Schoder, der seine Spuren in Gera hinterlassen hat. Auch wenn er nicht zu den rund 1250 Absolventen des Bauhauses gehörte, so tragen all seine Gebäude die Handschrift dieser Zeitepoche. Nicht nur Thilo Schoder hinterließ Spuren in Gera, auch Paul Schraps, Heinrich Drechsel oder Rudolf Schmidt. Alexander Jörg nennt es „eine deutliche Formensprache des Bauhauses“.
Nach Haus Schulenburg ging es zurück, vorbei am Zierbrunnen im Dahliengarten. 1930 hatte Thilo Schoder den Zierbrunnen auf Wunsch des Grundstückeigentümers Paul Schulenburg entworfen. Während alle noch den Blick nach Außen richten, bekommen sie Geschichtsfakten zu Personen, Architekten, Verknüpfungen zu anderen Bauhauskünstlern dieser Zeit und so manches Familienereignis vermittelt.
Geschichtsexkurs beginnt am Bussteig R
Thilo Schoder sowie Kollegen und ihre Spuren
Die Wohnanlage Dr.-Schomberg-Straße, die 1930 durch die Geraer Baugenossenschaft gebaut wurde, spricht ebenso die Bauhaus-Formensprache mit den Flachdächer und den streng geometrischen Formen wie das Haus Halpert in der Kurt-Keicher-Straße. Kein Geringerer als Thilo Schoder war hier Architekt. Die Hintergründe, warum dieses Baudenkmal eine Mischung aus Tradition und Modernem Bauen darstellt, bekommen die Gäste hautnah vermittelt. Wer es augenscheinlich erleben will, der sollte die Möglichkeit der Veranstaltungen im Halperthaus nutzen, so Alexander Jörg.
Die Tour geht weiter, führt nach Debschwitz in die Wiesestraße zum Verwaltungsund Produktionsstandort, dem Golde Bau. Auch hier war es Thilo Schoder, der einen der ersten Eisenbetonbauten in Thüringen überhaupt konzipiert hat.
Das ehemalige Funkhaus in Gera-Bieblach, die Wollund Seidenweberei Schulenburg & Besser, die Frauenklinik von Ernst Schaefer, der Ulmenhof in Gera, und viele weitere interessante Bauten wurden gezeigt. Jeder Blick mit Fakten unterlegt.