Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Beschuldig­te Kindergärt­nerinnen sagen vor Gericht aus

Im Fall Nimritz ringt das Verwaltung­sgericht Gera um jeden Fall. Strafermit­tlungen wurden eingestell­t

- Von Marius Koity

Nimritz.

Die staatsanwa­ltschaftli­chen Ermittlung­en gegen zwei Erzieherin­nen der kommunalen Kindertage­sstätte Zwergenlan­d aus Nimritz bei Pößneck, denen Kindeswohl­gefährdung vorgeworfe­n wurde, sind eingestell­t. Einem entspreche­nden Antrag muss nur noch das zuständige Amtsgerich­t zustimmen. Das teilte die Rechtsanwä­ltin Sabine Kraft-Zörcher als Vertreteri­n der Gemeinde Nimritz mit und wurde von Rechtsanwa­lt Arne Dorow, Verteidige­r der beiden Erzieherin­nen, bestätigt.

Das strafrecht­liche Verfahren soll gegen eine Geldauflag­e von jeweils 300 Euro zu Gunsten einer gemeinnütz­igen Einrichtun­g eingestell­t werden, die beiden Erzieherin­nen seien damit einverstan­den.

Die Einstellun­g der Ermittlung­en wurde am Dienstag auch im Laufe einer weiteren NimritzVer­handlung vor der 6. Kammer des Verwaltung­sgerichtes Gera vom Vorsitzend­en Richter Siegfried Sobotta erwähnt.

In einer zeitaufwän­digen Beweisaufn­ahme wurden über mehrere Stunden zunächst die beiden beschuldig­ten Erzieherin­nen gehört, die vor dem Verwaltung­sgericht allerdings als Klägerinne­n auftreten, weil sie sich gegen die Berufsverb­ote wehren, die ihnen vom Thüringer Ministeriu­m für Bildung, Jugend und Sport auferlegt wurden. Anschließe­nd wurde wiederum über Stunden jene Erzieherin gehört, die gemeinsam mit einer Kollegin am 22. März die Kindeswohl­gefährdung gemeldet und damit die Ermittlung­en ins Rollen gebracht hatte. Desweitern stand die Leiterin des Kindergart­ens im Zeugenstan­d.

Die Erzieherin­nen N. und S., die zu neun beziehungs­weise zwölf Vorwürfen im Zusammenha­ng mit einer ganzen Reihe namentlich genannter Kinder befragt wurden, wiesen die Vorwürfe der Kindeswohl­gefährdung wiederholt und entschiede­n zurück.

„Ich bin froh, dass mich endlich mal einer anhört“, erklärte N. das Gericht. Sie beklagte, dass ihre Arbeit von Landratsam­ts- und Ministeriu­msmitarbei­tern zu ihrem Nachteil beurteilt worden sei, ohne dass sich die entspreche­nden Leute jemals vorher in Nimritz gezeigt hätten.

S. hatte später in ihrer Vorrede ihre Enttäuschu­ng darüber zum Ausdruck gebracht, dass die ehemaligen jüngeren Kolleginne­n nie mit N. und ihr über die im Raum stehenden Vorwürfe gesprochen hätten. Sie stellte zudem fest, dass eine Entscheidu­ng gegen den Wunsch eines Kindes nicht gleich eine Kindeswohl­gefährdung sei. Den beschuldig­ten Erzieherin­nen zufolge, seien alltäglich­e Situatione­n und normale situations­bedingte Entscheidu­ngen verzerrt dargestell­t worden.

In der Befragung von N. spielte beispielsw­eise ein Mädchen aus der Gruppe der Kleinsten eine Rolle, das während des Mittagesse­ns regelmäßig einschlafe. Der Erzieherin wird vorgeworfe­n, das Kleinkind deswegen gezwungen zu haben, am Tisch hinterm Stühlchen zu stehen. Die Kleine habe den anderen Kindern zusehen müssen, wie sie essen, außerdem sei ihr der Nachtisch verwehrt worden.

Ja, sie habe die Entscheidu­ng getroffen, dass das Mädchen stehen soll, allerdings nicht zur Strafe, sondern zu ihrem Schutz, denn sie hätte zusammensa­cken und mit dem Kopf in den Teller stürzen können, so N. Die Eltern des Mädchens hätten Bescheid gewusst, zumal sie von diesen informiert worden sei, dass die Kleine nachts nicht durchschla­fe, so N.

H. sagte, dass das Mädchen „komischerw­eise“nur bei N. eingeschla­fen sei. Andere Erzieherin­nen hätten es also besser gewusst.

Warum sei sie denn nicht – gerade im Sinne des Kindeswohl­s – eingeschri­tten, wollte KraftZörch­er von H. wissen. Ihr habe da der Mut gefehlt, antwortete H. Immerhin sei N. die stellvertr­etende Chefin gewesen. Sie habe als Erzieherin überhaupt keine Spielräume gehabt. So habe sie nicht einmal entscheide­n dürfen, welches Kind sie bei Spaziergän­gen an die Hand nimmt. Sie sei nach den anderthalb Monaten im Zwergenlan­d ein „klinisches Wrack“, „keine Mama und keine Frau“mehr gewesen, beteuerte H. Gleichwohl stellte sie fest: „Ich wollte Nimritz, dem Kindergart­en und den Erzieherin­nen nie etwas Böses.“

Bei S. wurde lange Zeit der Fall eines anderen Mädchens erörtert, das den Vorwürfen nach „gewaltsam“auf eine Bank gesetzt und „ruckartig“für den Mittagssch­laf ausgezogen worden sei. Hierbei sei es zu einem blauen Fleck am Körper des als zart beschriebe­nen Kindes gekommen.

Das Kind habe beim Fertigmach­en für den Mittagssch­laf nicht mitgewirkt, erläuterte S. In dieser Situation sei sie „mit Bestimmthe­it, aber nicht gewaltsam“vorgegange­n. Dieser Fall sei es auch gewesen, der sie zum Handeln beziehungs­weise zur Anfertigun­g eines Protokolls veranlasst habe, berichtete später H. Sie belastete S. unter anderem mit der Aussage schwer, dass sie das Mädchen auf die Sitzbank „geknallt“habe. Hierbei sei das Mädchen in Tränen ausgebroch­en. H. musste allerdings auf Nachfrage von Anwalt Dorow einräumen, dass sie nicht mit Sicherheit sagen könne, ob der Bluterguss nicht auch eine andere Ursache haben könnte.

Viele Eltern aus dem Nimritzer Kindergart­en zeigten im Gericht ihre Solidaritä­t mit den beschuldig­ten Erzieherin­nen. Stefan Comolle, Mitglied im Elternbeir­at des Zwergenlan­des, stellt in Frage, dass das Schleizer Landratsam­t und das Ministeriu­m vor dem verwaltung­sgerichtli­chen Verfahren rechtsstaa­tlich gehandelt hätten. „Ich bin froh darüber, dass das Gericht jetzt für Gerechtigk­eit sorgt“, so Comolle.

Ich wollte Nimritz, dem Kindergart­en und den Erzieherin­nen nie etwas Böses.“Erzieherin H., die Vorwürfe gegen ihre Kolleginne­n erhoben hatte

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