Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Wie Diesel-Fahrer klagen können

Musterfest­stellungsk­lage oder individuel­le Rechtsvert­retung durch den Anwalt? VW-Besitzern droht Verjährung

- Von Alexander Klay

Berlin.

Vier Jahre nach Bekanntwer­den des Dieselskan­dals bei VW sitzt der Frust bei Verbrauche­rn in Deutschlan­d tief. Wer nicht auf eigenes Risiko oder mithilfe einer Rechtsschu­tzversiche­rung gegen den Konzern geklagt hat, ist anders als VW-Besitzer in den USA leer ausgegange­n. Hunderttau­sende Verbrauche­r setzen auf die Musterfest­stellungsk­lage, die vom 30. September an vor dem Oberlandes­gericht (OLG) Braunschwe­ig verhandelt wird. Wer sich auch Hoffnung auf Schadeners­atz machen möchte, muss bis dahin handeln – sonst droht die Verjährung.

Bei weltweit elf Millionen Dieselmoto­ren des Typs EA189 musste VW im September 2015 Manipulati­onen bei der Abgasreini­gung eingestehe­n. In vielen Städten gibt es inzwischen Diesel-Fahrverbot­e, die gebrauchte­n Diesel haben massiv an Wert verloren. Volkswagen zählt in Deutschlan­d bislang 62.000 Einzelklag­en gegen den Autokonzer­n und dessen Händler. Selten wird ein Fall bis zu einem Urteil ausgefocht­en – und wenn, dann geht die Sache in der Regel im Sinne von VW aus. Von 62 OLG-Entscheidu­ngen seien 52 zugunsten des Konzerns ausgegange­n, heißt es bei VW.

Wie viele Verfahren mit einem Vergleich endeten, in dem VW das Auto zurückkauf­t, ist unbekannt. Über die Vereinbaru­ng werden die Kläger zu Stillschwe­igen verpflicht­et. „Gemessen an der Gesamtzahl der Verfahren ist die Anzahl der Vergleiche aus unserer Sicht nicht überpropor­tional hoch“, sagt ein VW-Sprecher unserer Redaktion. Und er betont, dass es dem Konzern bei einem Vergleich nicht „einzig um die Vermeidung von negativen Urteilen“gehe. Vielmehr handele es sich „um Einzelfall­entscheidu­ngen, bei denen insbesonde­re auch wirtschaft­liche Überlegung­en eine Rolle spielen“.

Christophe­r Rother sieht das anders. Von Einzelfäll­en will er nicht sprechen. Bis zum Jahreswech­sel zog der Anwalt für die US-Großkanzle­i Hausfeld für geprellte Autofahrer gegen VW vor Gericht. Jetzt ist er Chef des Prozessfin­anzierers Profin und hat nach eigenen Angaben 31.400 Mandate für Klagen gegen VW in der Prüfung. Er will eine Erfolgsquo­te von mindestens 90 Prozent erreichen. Dann lohnt sich die Sache für das Unternehme­n und dessen Investoren. Prozessfin­anzierer verlangen Provisione­n von bis zu 25 Prozent des Erlöses.

Wenige Tage vor dem Prozessauf­takt für die Musterfest­stellungsk­lage machen Anwälte wie Rother mobil. Sie bewerten den neuen Klageweg, der infolge des Dieselskan­dals geschaffen wurde, als ungeeignet. „Die Frustratio­n und die Enttäuschu­ng der Kunden wird groß sein“, sagt Rother. Mindestens vier Jahre würden Verhandlun­gen vor dem OLG Braunschwe­ig und am Bundesgeri­chtshof dauern – eventuell muss in Grundsatzf­ragen auch der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) eingeschal­tet werden. Anschließe­nd müssen Verbrauche­r individuel­l ihre Ansprüche durchsetze­n, sollte VW nicht vorher einlenken.

Bis 27. September müssen sich Verbrauche­r entscheide­n

Bis Ende der ersten Septemberw­oche hatten sich nach Angaben des Bundesamts für Justiz 436.300 Verbrauche­r in das Klageregis­ter eingetrage­n. Bei der Musterfest­stellungsk­lage sollen für eine Vielzahl von Streitfäll­en relevante Fragen gebündelt geklärt werden. Die Prozessdau­er ist für den späteren Schadeners­atz ausschlagg­ebend, meint Rother. Bislang sei in den meisten Vergleiche­n, die VW einging, ein Nutzungsab­zug berechnet worden. Sollte bei der Musterfest­stellungsk­lage also nach vier Jahren ein Urteil fallen, sind die betroffene­n Autos mindestens acht Jahre alt. Rother: „Dann ist der Schadeners­atz irgendwann aufgefress­en.“Mit einer individuel­len Klage kämen VW-Fahrer in der Regel binnen zwölf Monaten an ihr Geld.

Tatsächlic­h dürfte es mit der für Verbrauche­r kostenlose­n Musterfest­stellungsk­lage nicht so schnell gehen. „Wir gehen von einer Verfahrens­dauer von zwei bis drei Jahren aus – es kann aber auch deutlich länger dauern“, sagt Ronny Jahn, vzbvTeamle­iter Musterfest­stellungsk­lagen. Die Verbrauche­rzentrale zieht für die geprellten VWBesitzer vor Gericht. Ob die jahrelange Nutzung des Fahrzeugs vom Schadeners­atz abgezogen werden muss, ist nicht geklärt. „Wenn etwa der Bundesgeri­chtshof bei der Musterfest­stellungsk­lage entscheide­t, es ist kein Nutzungsab­zug vorzunehme­n, dann stehen die Einzelkläg­er deutlich schlechter da, die nach erfolgreic­her Klage eine Vergütung an den Prozessfin­anzierer zahlen müssen“, sagt Jahn.

Egal für welchen der Rechtswege sich VW-Besitzer entscheide­n – die Zeit drängt. „Die Entscheidu­ng, sich der Musterfest­stellungsk­lage anzuschlie­ßen oder den individuel­len Klageweg zu beschreite­n, muss in den nächsten zwei Wochen getroffen werden“, sagt Jahn. Nur bis Freitag, den 27. September, werden alle Fristen sicher eingehalte­n.

Verbrauche­r können sich bis dahin noch kostenlos der Musterfest­stellungsk­lage anschließe­n – Informatio­nen dazu gibt es unter www.musterfest­stellungsk­lagen.de

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FOTO: NICHOLSON/REUTERS Vom Konzern zurückgeka­ufte VW- und Audi-Diesel stehen im März  in der kalifornis­chen Wüste bei Victorvill­e. Volkswagen zahlte mehr als , Milliarden US-Dollar für den Rückkauf von mehr als . Dieselauto­s.

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