Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Gummistief­el auf den Gletschern Grönlands

Die Eismassen der Erde schmelzen, der Meeresspie­gel steigt rasant. Den Einfluss von CO auf Meer und Eis beleuchtet ein neuer Report.

- Von Simone Humml

Berlin/Monaco.

In rund 130 Ländern haben Menschen gestern für mehr Klimaschut­z protestier­t. Ebenfalls am Freitag startete in Monaco eine Konferenz über den jüngsten Bericht des Weltklimar­ates. Rund 100 Forscher haben das Wissen über die Auswirkung­en der menschenge­machten Treibhausg­ase auf Ozeane, Eis und somit auch auf Mensch und Natur zu einem Report zusammenge­fasst, der debattiert und am 25. September präsentier­t werden soll.

Bereits jetzt können Forscher zeigen, dass die Zeit drängt: Die Eismassen der Erde schmelzen immer schneller, der Meeresspie­gel steigt mit zunehmende­r Geschwindi­gkeit und die Ozeane werden warm und sauer.

Die Ozeane mögen vielen Landbewohn­ern fern erscheinen - sie sind aber lebenswich­tig, und zwar nicht nur als Nahrungsqu­elle: „Etwa 50 Prozent des Sauerstoff­s, den wir atmen, werden im Meer gebildet“, sagt Meeresbiol­oge Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhave­n. Jeder zweite Atemzug eines Menschen stamme quasi daher.

Das menschenge­machte Kohlendiox­id (CO2) erwärmt die Ozeane, macht sie sauer und führt zu geringeren Sauerstoff­konzentrat­ionen. „Wir sprechen hier von einem tödlichen Trio“, sagt Pörtner mit Blick auf das Leben in den Meeren. „Die Faktoren verstärken sich gegenseiti­g.“

Wegen der Ozean-Erwärmung wandern viele Meereslebe­wesen in Richtung der kühleren Polregione­n. Schon jetzt werde die hochspezif­ische arktische Tierwelt in einigen Regionen zurückgedr­ängt, mahnt

Pörtner. Es gebe zwar auch positive Tendenzen. So habe sich der Kabeljau in der russischen Barentssee vermehrt.

„Wenn der CO2-Ausstoß jedoch fortschrei­tet, wird der Kabeljau seine Laichgründ­e verlieren, denn die Eier und Larven sind besonders empfindlic­h gegenüber Wärme und die Versauerun­g steigert dies noch“, sagt Pörtner mit Verweis auf Laborversu­che. Aus CO2 entsteht

im Wasser Kohlensäur­e, als Folge wird das Wasser saurer. Erste Effekte dieser Versauerun­g gebe es bereits. „Man sieht schon jetzt eine abnehmende Schalendic­ke zum Beispiel bei winzigen Flügelschn­ecken“, erläutert der Meeresbiol­oge. Sie seien wichtige Nahrung für Fische wie etwa Lachse im Pazifik.

„Gleichzeit­ig sehen wir einen Verlust von Sauerstoff.“Zum einen nehme wärmeres Wasser

weniger Sauerstoff auf, zum anderen mache die Erwärmung des oberen Wasserbere­ichs die Schichtung des Wassers stabiler, so dass den Fischen in den unteren Lagen nicht mehr so viel Sauerstoff zur Verfügung stehe.

Auch die Eisschmelz­e schreitet weiter voran. Im Sommer seien auf einigen Gletschern Grönlands mittlerwei­le Gummistief­el nötig, erklärt Glaziologi­n Angelika Humbert vom AWI. Der Grund: Eismatsch. 2012 sei erstmals seit Beginn der Satelliten­beobachtun­g Anfang der 90er Jahre sogar die gesamte Oberfläche von Grönland aufgetaut – und die ist bis zu gut 3000 Meter hoch. Die übrigen Gletscher der Erde schmelzen ebenfalls mit zunehmende­r Geschwindi­gkeit, weltweit verlieren diese laut einer Studie jährlich rund 335 Milliarden Tonnen Eis. Das lässt nicht nur den Meeresspie­gel steigen - mit ihnen schwinden auch wichtige Wasserspei­cher für Mensch und Natur. Weil der Meeresspie­gel stetig steigt, möchte New York riesige Schutzbaut­en gegen Überflutun­gen für Manhattan und Staten Island errichten. Auf den Fidschi-Inseln sind Bewohner mehrerer Dörfer in höhere Gebiete gezogen. Neben dem steigenden Meeresspie­gel seien auch zerstörend­e Wirbelstür­me Schuld daran.

Auf Fidschi kam das Abholzen von Mangrovenw­äldern hinzu, die ein bedeutende­r Küstenschu­tz sind. An der nordamerik­anischen Atlantikkü­ste und ausgerechn­et auch bei den Tropeninse­ln steige der Meeresspie­gel allerdings besonders rasch, sagt der Ozeanograp­h Detlef Stammer von der Universitä­t Hamburg.

Ursachen für Unterschie­de im Anstieg seien etwa Meeresströ­mungen, Winde und Anhebungen des Ozeanboden­s. Grönland und der angrenzend­e Meeresbode­n werden sich laut Stammer weiter erheben - um rund einen Meter bis zum Jahr 2100. Eine der Ursachen: Wegen der Eisschmelz­e laste weniger Gewicht auf Grönland. Das Wasser, das durch das Anheben verdrängte werde, fördere andernorts wieder den Meeresspie­gelanstieg. Für Deutschlan­d sieht Stammer erstmal keine größere Gefahr, weil die Deiche hoch genug seien und auch noch höher gebaut werden könnten.

Der Meeresspie­gel steigt nach Auskunft der Weltwetter­organisati­on WMO durch Eisschmelz­e und Wassererwä­rmung immer schneller: Derzeit im Schnitt über drei Millimeter pro Jahr. Und das System sei träge „Der Meeresspie­gel wird etwa 1000 Jahre weiter ansteigen, auch wenn wir heute die Temperatur­erhöhung stoppen würden“, so Stammer.

Insgesamt sei der Meeresspie­gel seit 1900 im globalen Durchschni­tt schon um über 20 Zentimeter gestiegen, sagt Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforsc­hung in Kiel. „Das klingt wenig, aber zum Beispiel bei Hurrikans ist es bedeutend, ob bestimmte Stadtfläch­en überflutet werden oder nicht“, sagt der Ozeanograf. Bis Ende des Jahrhunder­ts könnten es über ein Meter werden. Diese Vorhersage sei aber völlig unsicher. Latif sieht eine besondere Gefahr darin, dass sich die Eisschmelz­e auf Grönland oder der Antarktis sehr beschleuni­gt, sich verselbsts­tändigt und dann nicht mehr zu stoppen ist.

„Wir wissen nicht, ob solche Kipppunkte schon überschrit­ten sind“, sagt Latif. Es gebe zwar die Hoffnung, dass solche Punkte bei einer Erderwärmu­ng von bis zu 1,5 Grad noch nicht erreicht werden. Doch vieles dabei sei für den Menschen noch nicht abzusehen: „Wir führen ein gigantisch­es Experiment auf unserem Planeten aus.“(dpa)

Deiche in Deutschlan­d sind hoch genug

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FOTO: FELIPE DANA (DPA) Ein Einheimisc­her raucht in Grönland vor einem Eisberg eine Zigarette. Nicht nur die Eismassen auf Grönland schmelzen bedrohlich schnell.

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