Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Die Filmemacher aus dem Thüringer Wald
U O Das Filmstudio Sirius aus Meura hat sich mit Beiträgen über die Geschichte von Land und Leuten einen Namen gemacht
Meura.
„Sie sind der Erste, der uns auf Anhieb findet. Ohne anzurufen“, sagt Jörg-Peter Schilling zur Begrüßung. Tatsächlich befindet sich das Filmstudio Sirius in einem Wohnhaus in der Meuraer Ortsstraße 2e in einer schwer zu findenden Seitengasse, vermerkt in kaum einem Navi. Und ganz so weit her ist es mit dem Spürsinn des Reporters auch nicht: Nachbarn hatten ihm den Weg gezeigt.
Nach den ersten Sätzen des gebürtigen Köpenickers Schilling ist die Eingangsfrage klar: Was, um Himmels willen, verschlägt einen Filmemacher aus Berlin in den Thüringer Wald? „Meura ist schon in den Kindertagen zu meiner zweiten Heimat geworden“, sagt der 63-Jährige. 1970, mit 14, sei er das erste Mal nach Meura gekommen – und von da an immer wieder.
1986 dreht er als hoffnungsvoller Nachwuchsfilmer einen Streifen über „30 Jahre Haflingerzucht in Thüringen“. Das Gestüt ist heute das größte Haflingergestüt Europas und so etwas wie das Markenzeichen des 400Seelen-Ortes im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. Erst 2002 zieht er endgültig mit seiner Frau von der Spree in den Thüringer Wald.
Da hat Jörg-Peter Schilling schon ein halbes Leben hinter sich. Aufgewachsen in Ost-Berlin, studiert er an der Fachschule Chemie und wird Qualitätsüberwacher im Kabelwerk Oberspree (KWO). Nebenbei spukt ihm immer die Filmerei durch den Kopf. Der Sohn eines Spanienkämpfers schreibt ein Drehbuch über den Bürgerkrieg in Spanien. Mit allen Regieanweisungen. Man bescheinigt ihm Talent. Ab Mitte der 1980er-Jahre ist er in der DDR als Amateurfilmer unterwegs, zeigt seine Fähigkeiten bei der Produktion heimatgeschichtlicher Dokumentarfilme. „Unterwegs im Schwarzatal“, heißt sein Erstlingswerk. Er macht sich einen Namen in der Berliner Filmszene, dreht Serien über die Slowakei und die Mark Brandenburg, erhält schließlich den Auftrag für eine Folge der „Schauspielereien“mit Fred Delmare. Der Durchbruch. Als es an die Dreharbeiten gehen soll, kommt die Wende. Schillings Durchbruch wird abgewickelt wie die halbe Filmindustrie des Arbeiter- und Bauernstaates.
Lokale Akteure federn den Umzug ab
Er muss sein Leben neu ordnen. Ein Jahr lang arbeitet er als Außendienstler für SiemensNixdorf, lernt viel über moderne Technik, muss aber auch erkennen, dass er kein Verkäufer ist. 1992 gründet er mit zwei Technikern in Berlin die Firma Sirius. Sie findet ihren Platz am Markt in Imagefilmen über schöne Landschaften und besondere Orte. Für touristische Anbieter dreht er im S-VHS-Format in der Sächsischen Schweiz, in Oberbayern, Innsbruck und Prag. Lange vor „Elefant, Tiger und Co.“entstehen Sirius-Produktionen im Tierpark Friedrichsfelde und im Alpenzoo Tirol.
Auskopplungen der Filme werden zum Renner in Seniorenheimen und stärken die wirtschaftliche Basis der Firma, deren Arbeitsfeld sich immer mehr nach Thüringen verlagert. Schon länger arbeitet Schilling in Meura mit Viola Scheler-Eckstein zusammen, die sich wie er für Heimatgeschichte interessiert und das Handwerkszeug – vom Drehbuch über Kameraund Tontechnik bis zum Schnitt – selbst angeeignet hat. Lokale Akteure wie das Landratsamt in Saalfeld mit einer fünfteiligen Serie über den Landkreis oder der Bad Blankenburger Brauereichef Gerhard Rögner unterstützen den Einstieg des Filmstudios in Thüringen, das seinen Sitz schließlich von Berlin nach Meura verlegt. Viola SchelerEckstein wird Mitgesellschafterin der GbR und gleichberechtigtes Mitglied im Zweierteam. „Bei uns muss jeder alles können“, sagt Schilling.
Gemeinsam realisieren sie schöne Projekte wie den szenischen Dokumentarfilm „Burgen Bürger Bier“, einen Film über das ehemalige KZ-Außenlager Laura bei Schmiedebach oder das Tanz- und Folkfest in Rudolstadt. Man lebt von Werbespots, Firmenporträts, Imagefilmen, produziert Musikvideos, Kurzreportagen und immer wieder Dokumentarfilme – von der Kirmes im Nachbardorf bis zur 40minütigen Filmografie des Laura-Häftlings Hermann van Hasselt, die landesweit in den Schulen eingesetzt wird. In der Referenzliste des Filmstudios Sirius finden sich ZDF und Arte neben regionalen Sendern, Naturparke neben Unternehmen.
Ein besonderes Schaffensfeld fanden die beiden Filmemacher aus dem Thüringer Wald vor wenigen Jahren im deutsch-tschechischen Grenzgebiet. Akribisch wurden Grenzgeschichten im Saazer Land, im Riesengebirge und im Erzgebirge recherchiert, Wissenschaftler und Zeitzeugen interviewt.
Wo er gerne noch drehen möchte, will der Reporter zum Abschluss von Jörg-Peter Schilling wissen? Der muss nicht lange nachdenken: „Patagonien, Baikalsee und die Transsibirische Eisenbahn – diese unendliche Weite . . .“ Jörg-Peter Schilling vom Filmstudio Sirius aus Meura am Messestand in Augsburg.