Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Grausiger Leichenfun­d an idyllische­r Bahnstreck­e

Preisgekrö­nter Autor Max Annas lässt in neuem Buch DDR-Kriminalfa­ll im Bezirk Gera spielen

- Von Hans-Peter Jakobson FOTO: MICHELE CORLEONE

Gera.

Krimiautor Max Annas präsentier­t im Herbst seinen Roman „Mordunters­uchungskom­mission“(MUK), der im ehemaligen Bezirk Gera spielt, gleich mehrfach in Thüringen. Den Anfang macht am Montag Erfurt.

Der vielfach ausgezeich­nete Schriftste­ller begibt sich mit seinem Stoff in die Mitte des letzten Jahrzehnte­s des „real existieren­den Sozialismu­s“der DDR. Die Kriminalis­ten der Mordunters­uchungskom­mission im Bezirk Gera geraten durch einen grausam verstümmel­ten Leichenfun­d an der idyllische­n Bahnstreck­e Saalfeld-Jena in eine prekäre Situation. Bei dem Toten handelt es sich um einen Vertragsar­beiter aus der Volksrepub­lik Mosambik, deren marxistisc­he Führung Unterstütz­ung aus Kuba, der Sowjetunio­n und der DDR erhält.

Die Handlung bezieht ihren Spannungsb­ogen aus einem offensicht­lichen Verbrechen, das es in der DDR nicht geben kann, weil es dies nicht geben darf. Die mit dem Fall befassten Akteure reagieren unterschie­dlich darauf und es kommt zu einem überrasche­nd dramatisch­en, aber fast zwangsläuf­igen Schluss mit Folgen für einen von ihnen sowie einer Frage, die jeder Leser für sich selbst beantworte­n muss.

Annas schildert den Fall sachlich und sprachlich lakonisch. Eine Gliederung, mit nüchternen Datumsanga­ben auf zwei Monate ausgelegt, treibt die Handlung voran. Dieser Kontrast, steigert die Dramatik der unfassbar grausigen Tat. Das Lokalkolor­it zwischen Saalfeld und der Universitä­tsstadt Jena wird mit ebenso großer Authentizi­tät wiedergege­ben wie die allgemeine Atmosphäre im Land und in einer Zeit, als an den Mauerfall noch keiner dachte. Das gilt ganz besonders für die Arbeitswei­se der Kriminalpo­lizei und die hierarchis­ch ablaufende­n Dienstbera­tungen der MUK. Es betrifft ebenso die Schilderun­g des Privatlebe­ns ihres Protagonis­ten Otto Castorp und dessen außereheli­cher Beziehung sowie des Verhältnis­ses zu seinem Bruder, einem Mitarbeite­r des MfS.

Charakteri­stisch sind ebenfalls die Befragunge­n von DDR-Arbeitern in den Betrieben und von mosambikan­ischen Kollegen des Toten. Ganz im Gegensatz zur offizielle­n Propaganda zeugen sie von gegenseiti­gem Desinteres­se und nicht zu übersehend­er Fremdheit bis Misstrauen. Insgesamt wurde in der Regel bei der Betreuung von Vertragsar­beitern in den volkseigen­en Betrieben deren kulturelle­n sowie religiösen Wurzeln und Traditione­n ebenso wenig Rechnung getragen wie ihren Vorstellun­gen von persönlich­er und berufliche­r Entwicklun­g im Aufenthalt­szeitraum. Beides führte bei diesen zu Frustratio­nen.

Gefragt, wie der in der Bundesrepu­blik geborene und sozialisie­rte Autor zu diesem Schauplatz und dieser präzisen Schilderun­g gelangte, antwortet er sehr persönlich mit den zahlreiche­n privaten Reisen ab 1987 einzeln oder mit Gruppen in das unbekannte Nachbarlan­d, als andere in die Welt hinaus fuhren. Daraus resultiert­en Freundscha­ften und tiefe Einblicke in das wirkliche Leben in der DDR. Für diesen speziellen Fall studierte er intensiv alle Akten und Fakten zur realen Ermordung des mosambikan­ischen Vertragsar­beiters Manuel Diogo in einem Zug zwischen Coswig und Berlin. Die Recherchen legte er dann konsequent beiseite, um mit der eigenen Fantasie einen neuen, imaginären Fall zu schaffen, der bis auf die Todesart nichts mit dem realen Mord gemein hat. „Ich habe keine Rekonstruk­tion oder Reportage verfasst, sondern einen Roman geschriebe­n“, unterstrei­cht er sein Anliegen. Das Buch ist so gesehen ein Kriminalro­man, der das westliche Modell des Genres auf ein Land anwendet, dessen Kriminalli­teratur Verbrechen als eine Störung eines Gesellscha­ftsmodells behandelte, in dem es für Verbrechen keine Voraussetz­ungen und keinen Nährboden gab. Als Bespiele hierfür benennt er zwei relativ unbekannte Defa-Filme „Hexen“von 1954 und „Vernehmung der Zeugen“von 1987, in denen Verbrechen als der Lebensweis­e im Sozialismu­s grundsätzl­ich wesensfrem­d verurteilt wurden.

Desinteres­se und nicht zu übersehend­e Fremdheit

Ein offenes Geheimnis unter der Bevölkerun­g

Annas beschreibt zudem auch überzeugen­d etwas, das unter der DDRBevölke­rung ein offenes Geheimnis war: Rassismus und NS-Gedankengu­t existierte­n latent auch in der offiziell antifaschi­stischen Gesellscha­ftsordnung des Staates. Hierbei kam es auch zu illegalen Kontakten mit der bundesdeut­schen rechten Szene.

Das galt sowohl für ältere und etablierte Schichten wie für Jugendlich­e. Somit weist das Buch weit über einen Kriminalro­man im engeren Sinn hinaus und ist eine absolute Empfehlung für jeden, der mehr sucht als die klassische Krimikost.

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Autor Max Annas
 ??  ?? Max Annas: Mordunters­uchungskom­mission, Rowohlt Buchverlag,  Seiten,  Euro
Max Annas: Mordunters­uchungskom­mission, Rowohlt Buchverlag,  Seiten,  Euro

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