Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Grausiger Leichenfund an idyllischer Bahnstrecke
Preisgekrönter Autor Max Annas lässt in neuem Buch DDR-Kriminalfall im Bezirk Gera spielen
Gera.
Krimiautor Max Annas präsentiert im Herbst seinen Roman „Morduntersuchungskommission“(MUK), der im ehemaligen Bezirk Gera spielt, gleich mehrfach in Thüringen. Den Anfang macht am Montag Erfurt.
Der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller begibt sich mit seinem Stoff in die Mitte des letzten Jahrzehntes des „real existierenden Sozialismus“der DDR. Die Kriminalisten der Morduntersuchungskommission im Bezirk Gera geraten durch einen grausam verstümmelten Leichenfund an der idyllischen Bahnstrecke Saalfeld-Jena in eine prekäre Situation. Bei dem Toten handelt es sich um einen Vertragsarbeiter aus der Volksrepublik Mosambik, deren marxistische Führung Unterstützung aus Kuba, der Sowjetunion und der DDR erhält.
Die Handlung bezieht ihren Spannungsbogen aus einem offensichtlichen Verbrechen, das es in der DDR nicht geben kann, weil es dies nicht geben darf. Die mit dem Fall befassten Akteure reagieren unterschiedlich darauf und es kommt zu einem überraschend dramatischen, aber fast zwangsläufigen Schluss mit Folgen für einen von ihnen sowie einer Frage, die jeder Leser für sich selbst beantworten muss.
Annas schildert den Fall sachlich und sprachlich lakonisch. Eine Gliederung, mit nüchternen Datumsangaben auf zwei Monate ausgelegt, treibt die Handlung voran. Dieser Kontrast, steigert die Dramatik der unfassbar grausigen Tat. Das Lokalkolorit zwischen Saalfeld und der Universitätsstadt Jena wird mit ebenso großer Authentizität wiedergegeben wie die allgemeine Atmosphäre im Land und in einer Zeit, als an den Mauerfall noch keiner dachte. Das gilt ganz besonders für die Arbeitsweise der Kriminalpolizei und die hierarchisch ablaufenden Dienstberatungen der MUK. Es betrifft ebenso die Schilderung des Privatlebens ihres Protagonisten Otto Castorp und dessen außerehelicher Beziehung sowie des Verhältnisses zu seinem Bruder, einem Mitarbeiter des MfS.
Charakteristisch sind ebenfalls die Befragungen von DDR-Arbeitern in den Betrieben und von mosambikanischen Kollegen des Toten. Ganz im Gegensatz zur offiziellen Propaganda zeugen sie von gegenseitigem Desinteresse und nicht zu übersehender Fremdheit bis Misstrauen. Insgesamt wurde in der Regel bei der Betreuung von Vertragsarbeitern in den volkseigenen Betrieben deren kulturellen sowie religiösen Wurzeln und Traditionen ebenso wenig Rechnung getragen wie ihren Vorstellungen von persönlicher und beruflicher Entwicklung im Aufenthaltszeitraum. Beides führte bei diesen zu Frustrationen.
Gefragt, wie der in der Bundesrepublik geborene und sozialisierte Autor zu diesem Schauplatz und dieser präzisen Schilderung gelangte, antwortet er sehr persönlich mit den zahlreichen privaten Reisen ab 1987 einzeln oder mit Gruppen in das unbekannte Nachbarland, als andere in die Welt hinaus fuhren. Daraus resultierten Freundschaften und tiefe Einblicke in das wirkliche Leben in der DDR. Für diesen speziellen Fall studierte er intensiv alle Akten und Fakten zur realen Ermordung des mosambikanischen Vertragsarbeiters Manuel Diogo in einem Zug zwischen Coswig und Berlin. Die Recherchen legte er dann konsequent beiseite, um mit der eigenen Fantasie einen neuen, imaginären Fall zu schaffen, der bis auf die Todesart nichts mit dem realen Mord gemein hat. „Ich habe keine Rekonstruktion oder Reportage verfasst, sondern einen Roman geschrieben“, unterstreicht er sein Anliegen. Das Buch ist so gesehen ein Kriminalroman, der das westliche Modell des Genres auf ein Land anwendet, dessen Kriminalliteratur Verbrechen als eine Störung eines Gesellschaftsmodells behandelte, in dem es für Verbrechen keine Voraussetzungen und keinen Nährboden gab. Als Bespiele hierfür benennt er zwei relativ unbekannte Defa-Filme „Hexen“von 1954 und „Vernehmung der Zeugen“von 1987, in denen Verbrechen als der Lebensweise im Sozialismus grundsätzlich wesensfremd verurteilt wurden.
Desinteresse und nicht zu übersehende Fremdheit
Ein offenes Geheimnis unter der Bevölkerung
Annas beschreibt zudem auch überzeugend etwas, das unter der DDRBevölkerung ein offenes Geheimnis war: Rassismus und NS-Gedankengut existierten latent auch in der offiziell antifaschistischen Gesellschaftsordnung des Staates. Hierbei kam es auch zu illegalen Kontakten mit der bundesdeutschen rechten Szene.
Das galt sowohl für ältere und etablierte Schichten wie für Jugendliche. Somit weist das Buch weit über einen Kriminalroman im engeren Sinn hinaus und ist eine absolute Empfehlung für jeden, der mehr sucht als die klassische Krimikost.