Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Der Erste
D ß (T 3) Bodo Ramelow will als bislang einziger Ministerpräsident der Linken sein Amt verteidigen
Erfurt. Die Frage missfällt dem Ministerpräsidenten. Sie lautet: „Wie lange will die Linkspartei noch behaupten, der Aufbau Ost sei gescheitert?“
Für einen kurzen Moment scheint es so, als würde Bodo Ramelow das tun, was er zuweilen tut, wenn ihm etwas so gar nicht passt. Das Gesicht wird rot, die Stimme laut. „Das hat die Linkspartei nie gesagt!“, ruft er.
Nachfrage: Was sei dann mit dem Linken-Vorsitzenden Bernd Riexinger, der genau dies in einem Interview mit dieser Zeitung erst im Juli erklärte?
Plötzlich ist Ramelow wieder ruhig. Die Beschreibung sei ja auch völlig zutreffend, antwortet er, der Satz müsse nur vollständig heißen: „Der Aufbau Ost als Nachbau West ist gescheitert.“Er jedenfalls halte diese Präzisierung für notwendig. Und bevor sich der Zuhörer in dieser Dialektik verheddern kann, schiebt er nach: „Wenn für die gleiche Arbeit weniger Lohn gezahlt wird als im Westen, wenn eine längere Arbeitszeit verlangt wird, dann führt das zu großer Unzufriedenheit. Das können wir nicht hinnehmen.“
Es ist der Donnerstag dieser Woche in dem Büro, das dem Ministerpräsidenten im Landtagshochhaus vorbehalten ist. Während im Plenarsaal das Parlament die Reste der rot-rot-grünen Wahlperiode abarbeitet und so mancher Abgeordnete seine Abschiedsrede hält, empfängt Ramelow die Journalisten im Akkord. Sie alle wollen von ihm wissen, wie der einzige linke Regierungschef die Landtagswahl am 27. Oktober gegen eine erstarkende AfD gewinnen will.
Ramelow, 63, ist gerade erkältet, doch für die Kampagne hat er die nötige Betriebstemperatur längst erreicht. Seit Monaten zieht er durchs Land, wandert, debattiert, streitet. Seine Partei hat überall Plakate aufgehängt, die den Ministerpräsidenten in weiser Denkerpose zeigen, wobei oft das Parteilogo fehlt.
Warum das? „So funktioniert Werbung“, antwortet Ramelow. Die Menschen würden sich unbewusst das Logo dazu denken, das hätten Tests gezeigt. „Der Effekt ist so viel nachhaltiger.“
Mag sein. Sicher ist: Der Regierungschef bemühte sich in seiner Amtszeit stets um eine öffentlichkeitswirksame Distanz zu seiner Linken, die er im Bundesrat bei Abstimmungen mehrfach düpierte. Auch davor, in der Opposition, hielt er Abstand zu der Partei, in die er erst im Alter von 43 Jahren eingetreten war. Nie kandidierte er als Landesvorsitzender, selten ging er in Gremien. Als er sich einmal, bei der Fusion von PDS und WASG, unter die Großfunktionäre wagte, war das für alle Beteiligten ein Erlebnis, von dem sie noch heute wie von einem Erdbeben berichten.
In seinem Kern ist Ramelow ein gewerkschaftlich geprägter, linker Sozialdemokrat, der, wenn er will, genauso gut mit Hausbesetzern kann wie mit Unternehmern. Das macht ihn gleichermaßen für die Antifa wählbar wie für Bürgerliche.
Bei einer Direktwahl würde fast jeder Linke, wenn er es denn könnte, für den Ministerpräsidenten stimmen – aber eben auch fast jeder vierte CDU-Wähler. Überhaupt liegt Ramelow mit seinen persönlichen Umfragewerten deutlich vor allen anderen Spitzenkandidaten. Natürlich verweist die Konkurrenz mit einigem Recht darauf, dass sich dieser Vorsprung vor allem mit den üblichen politischen Gesetzmäßigkeiten erklären lässt.
Der Linke profitiert von seinem Amtsbonus – und von der Polarisierungsdynamik zwischen der AfD und der Partei, die den Ministerpräsidenten stellt. So war es schon in Sachsen und Brandenburg zu beobachten.
Aber selbst seine Kritiker räumen insgeheim ein, dass Ramelow in sein Amt hineingewachsen ist. Er füllt inzwischen die Rolle des Landesvaters aus, auch körperlich. In den Ministerpräsidentenrunden wird er akzeptiert, duzt sich mit etlichen Unions- und SPD-Kollegen. Im Ausland ist er diplomatisch eingeführt, in Israel, Polen, Vietnam, den USA oder selbst beim Papst in Rom.
So oder so: Die Linke, die überall anderswo in der Republik darniederliegt, ist im Land komplett von ihrem Ministerpräsidenten abhängig. Während die Partei in Sachsen und Brandenburg um jeweils rund acht Prozentpunkte auf etwa 10 Prozent abstürzte, liegt sie in den Thüringer Umfragen sogar über ihrem 2014er-Rekordergebnis von 28,2 Prozent.
Dabei ist der Ministerpräsident ganz bestimmt kein Mensch, der es anderen Menschen einfach macht. Immer hat er gegen etwas gekämpft, in Niedersachsen als Schüler gegen die Legasthenie, in Hessen als Gewerkschafter gegen den Kapitalismus, in Thüringen als Parteipolitiker gegen die CDU. Und immer kämpfte er um etwas: Anerkennung.
Doch seit seiner Wahl zum ersten linken Ministerpräsidenten am 5. Dezember 2014 wirkt er zunehmend so, als sei er angekommen. Dies gilt für sein Amt, in dem er es schaffte, die Koalition zu moderieren und den immer wieder aufkommenden Streit nicht eskalieren zu lassen. Und dies gilt für sein Privatleben mit seiner dritten Frau Germana Alberti, dem Terrier Attila, dem Eigenheim in Erfurt und der Blockhütte an der Bleiloch-Talsperre, zu der auch ein Viertelhektar Wald gehört.
Dabei bleibt Ramelows Regierungsbilanz durchmischt. Fast alle bekamen mehr Geld, Kindergärten, Krankenhäuser, Kommunen, was jedoch vor allem damit zu tun hatte, dass das Land so viel einnahm wie noch nie. Rot-Rot-Grün konnte die Ausgaben um 20 Prozent steigern und trotzdem mehr als eine Milliarde Euro an Schulden tilgen.
Trotzdem wurde zum Beispiel der Notstand an den Schulen, den frühere Regierungen verursacht hatten, zu spät erkannt. Dies lag auch an dem Fehler, den Ramelow gleich zu Anfang beging. Dass er die Abgeordnete Birgit Klaubert zur Kultusministerin beförderte, hatte zwar damit zu tun, dass sich seine Favoritin Susanne Hennig-Wellsow verweigerte und er trotzdem die Fraktion berücksichtigen musste. Dennoch konnte jeder sehen, der es sehen mochte, dass Klaubert für dieses schwierige Amt ungeeignet war. In der Mitte der Wahlperiode musste Ramelow sie austauschen.
Sein größtes politisches Versagen ist jedoch die verunglückte Kreisreform. Als Fraktionschef hatte Ramelow das Vorhaben lange als zentrale Forderung vor sich hergetragen. Als Ministerpräsident ließ er es zu, dass ein Jahr vertrödelt wurde, bis die Planungen konkret wurden, und delegierte die Umsetzung. Als er endlich eingriff, war es zu spät, zeitlich wie inhaltlich.
Auch in der sogenannten Flüchtlingskrise nahm Ramelow zwar die ersten Ankommenden aus Syrien persönlich in Empfang. Doch in das operative Integrationsgeschäft mischte er sich zumeist erst dann ein, wenn sein Migrationsminister wieder mal alle gegen sich aufgebracht hatte.
Ramelow arbeitete viel, im Kabinett, im Bundesrat, auf Reisen; ab und an, etwa beim Thema Kali, zog er die Dinge mit Erfolg an sich. Trotzdem tat er immer öfter das, was auch alle seine Vorgänger bevorzugt getan hatten: Er repräsentierte, besuchte jedes Fest, jede Kirmes, jedes Konzert, von Nordhausen bis Sonneberg, von Bad Salzungen bis Altenburg.
Hier allerdings zeigte sich Ramelow wiederum so nahbar wie fast kein anderer Spitzenpolitiker vor ihm. Einer, der über alles offen reden kann und vielleicht auch muss, über seine Legasthenie, den evangelischen Glauben, den frühen Tod des Vaters, die Schläge der Mutter und die Krebserkrankung seines Sohnes.
Aber Nähe bedeutet auch, dass jemand, der ihn auf Twitter anschreibt, im Zweifel angemotzt wird. Und wenn dem Ministerpräsidenten irgendwelche Menschen Protesttransparente entgegenhalten, dann werden sie auch mal angebrüllt.
„Der Bodo ist halt so“, sagen sie in seiner Partei, außerdem wirke er ja dadurch nur noch authentischer, als er es eh schon sei. Trotzdem hat Ramelow selbst schon vor langer Zeit verstanden, dass ihm seine Art potenziell auch schaden kann.
Und so versucht er sich jetzt, da sich der Wahltag nähert, stärker zu disziplinieren, im Parlament, auf Kundgebungen oder eben in einem Interview. Er ist der erste linke Ministerpräsident Deutschlands, und er hat, wenn man den Umfragen glaubt, die knappe Chance, es auch zu bleiben. Allein das zählt.