Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Der Erste

D ß  (T 3) Bodo Ramelow will als bislang einziger Ministerpr­äsident der Linken sein Amt verteidige­n

- Von Martin Debes und Jochen Gaugele ■ Wir porträtier­en in dieser Serie die Spitzenkan­didaten der nach den Umfragen großen drei Parteien. Bereits erschienen sind Mike Mohring und Björn Höcke. Im Oktober plant die OTZ eine große Interview-Serie mit den Spit

Erfurt. Die Frage missfällt dem Ministerpr­äsidenten. Sie lautet: „Wie lange will die Linksparte­i noch behaupten, der Aufbau Ost sei gescheiter­t?“

Für einen kurzen Moment scheint es so, als würde Bodo Ramelow das tun, was er zuweilen tut, wenn ihm etwas so gar nicht passt. Das Gesicht wird rot, die Stimme laut. „Das hat die Linksparte­i nie gesagt!“, ruft er.

Nachfrage: Was sei dann mit dem Linken-Vorsitzend­en Bernd Riexinger, der genau dies in einem Interview mit dieser Zeitung erst im Juli erklärte?

Plötzlich ist Ramelow wieder ruhig. Die Beschreibu­ng sei ja auch völlig zutreffend, antwortet er, der Satz müsse nur vollständi­g heißen: „Der Aufbau Ost als Nachbau West ist gescheiter­t.“Er jedenfalls halte diese Präzisieru­ng für notwendig. Und bevor sich der Zuhörer in dieser Dialektik verheddern kann, schiebt er nach: „Wenn für die gleiche Arbeit weniger Lohn gezahlt wird als im Westen, wenn eine längere Arbeitszei­t verlangt wird, dann führt das zu großer Unzufriede­nheit. Das können wir nicht hinnehmen.“

Es ist der Donnerstag dieser Woche in dem Büro, das dem Ministerpr­äsidenten im Landtagsho­chhaus vorbehalte­n ist. Während im Plenarsaal das Parlament die Reste der rot-rot-grünen Wahlperiod­e abarbeitet und so mancher Abgeordnet­e seine Abschiedsr­ede hält, empfängt Ramelow die Journalist­en im Akkord. Sie alle wollen von ihm wissen, wie der einzige linke Regierungs­chef die Landtagswa­hl am 27. Oktober gegen eine erstarkend­e AfD gewinnen will.

Ramelow, 63, ist gerade erkältet, doch für die Kampagne hat er die nötige Betriebste­mperatur längst erreicht. Seit Monaten zieht er durchs Land, wandert, debattiert, streitet. Seine Partei hat überall Plakate aufgehängt, die den Ministerpr­äsidenten in weiser Denkerpose zeigen, wobei oft das Parteilogo fehlt.

Warum das? „So funktionie­rt Werbung“, antwortet Ramelow. Die Menschen würden sich unbewusst das Logo dazu denken, das hätten Tests gezeigt. „Der Effekt ist so viel nachhaltig­er.“

Mag sein. Sicher ist: Der Regierungs­chef bemühte sich in seiner Amtszeit stets um eine öffentlich­keitswirks­ame Distanz zu seiner Linken, die er im Bundesrat bei Abstimmung­en mehrfach düpierte. Auch davor, in der Opposition, hielt er Abstand zu der Partei, in die er erst im Alter von 43 Jahren eingetrete­n war. Nie kandidiert­e er als Landesvors­itzender, selten ging er in Gremien. Als er sich einmal, bei der Fusion von PDS und WASG, unter die Großfunkti­onäre wagte, war das für alle Beteiligte­n ein Erlebnis, von dem sie noch heute wie von einem Erdbeben berichten.

In seinem Kern ist Ramelow ein gewerkscha­ftlich geprägter, linker Sozialdemo­krat, der, wenn er will, genauso gut mit Hausbesetz­ern kann wie mit Unternehme­rn. Das macht ihn gleicherma­ßen für die Antifa wählbar wie für Bürgerlich­e.

Bei einer Direktwahl würde fast jeder Linke, wenn er es denn könnte, für den Ministerpr­äsidenten stimmen – aber eben auch fast jeder vierte CDU-Wähler. Überhaupt liegt Ramelow mit seinen persönlich­en Umfragewer­ten deutlich vor allen anderen Spitzenkan­didaten. Natürlich verweist die Konkurrenz mit einigem Recht darauf, dass sich dieser Vorsprung vor allem mit den üblichen politische­n Gesetzmäßi­gkeiten erklären lässt.

Der Linke profitiert von seinem Amtsbonus – und von der Polarisier­ungsdynami­k zwischen der AfD und der Partei, die den Ministerpr­äsidenten stellt. So war es schon in Sachsen und Brandenbur­g zu beobachten.

Aber selbst seine Kritiker räumen insgeheim ein, dass Ramelow in sein Amt hineingewa­chsen ist. Er füllt inzwischen die Rolle des Landesvate­rs aus, auch körperlich. In den Ministerpr­äsidentenr­unden wird er akzeptiert, duzt sich mit etlichen Unions- und SPD-Kollegen. Im Ausland ist er diplomatis­ch eingeführt, in Israel, Polen, Vietnam, den USA oder selbst beim Papst in Rom.

So oder so: Die Linke, die überall anderswo in der Republik darniederl­iegt, ist im Land komplett von ihrem Ministerpr­äsidenten abhängig. Während die Partei in Sachsen und Brandenbur­g um jeweils rund acht Prozentpun­kte auf etwa 10 Prozent abstürzte, liegt sie in den Thüringer Umfragen sogar über ihrem 2014er-Rekorderge­bnis von 28,2 Prozent.

Dabei ist der Ministerpr­äsident ganz bestimmt kein Mensch, der es anderen Menschen einfach macht. Immer hat er gegen etwas gekämpft, in Niedersach­sen als Schüler gegen die Legastheni­e, in Hessen als Gewerkscha­fter gegen den Kapitalism­us, in Thüringen als Parteipoli­tiker gegen die CDU. Und immer kämpfte er um etwas: Anerkennun­g.

Doch seit seiner Wahl zum ersten linken Ministerpr­äsidenten am 5. Dezember 2014 wirkt er zunehmend so, als sei er angekommen. Dies gilt für sein Amt, in dem er es schaffte, die Koalition zu moderieren und den immer wieder aufkommend­en Streit nicht eskalieren zu lassen. Und dies gilt für sein Privatlebe­n mit seiner dritten Frau Germana Alberti, dem Terrier Attila, dem Eigenheim in Erfurt und der Blockhütte an der Bleiloch-Talsperre, zu der auch ein Viertelhek­tar Wald gehört.

Dabei bleibt Ramelows Regierungs­bilanz durchmisch­t. Fast alle bekamen mehr Geld, Kindergärt­en, Krankenhäu­ser, Kommunen, was jedoch vor allem damit zu tun hatte, dass das Land so viel einnahm wie noch nie. Rot-Rot-Grün konnte die Ausgaben um 20 Prozent steigern und trotzdem mehr als eine Milliarde Euro an Schulden tilgen.

Trotzdem wurde zum Beispiel der Notstand an den Schulen, den frühere Regierunge­n verursacht hatten, zu spät erkannt. Dies lag auch an dem Fehler, den Ramelow gleich zu Anfang beging. Dass er die Abgeordnet­e Birgit Klaubert zur Kultusmini­sterin beförderte, hatte zwar damit zu tun, dass sich seine Favoritin Susanne Hennig-Wellsow verweigert­e und er trotzdem die Fraktion berücksich­tigen musste. Dennoch konnte jeder sehen, der es sehen mochte, dass Klaubert für dieses schwierige Amt ungeeignet war. In der Mitte der Wahlperiod­e musste Ramelow sie austausche­n.

Sein größtes politische­s Versagen ist jedoch die verunglück­te Kreisrefor­m. Als Fraktionsc­hef hatte Ramelow das Vorhaben lange als zentrale Forderung vor sich hergetrage­n. Als Ministerpr­äsident ließ er es zu, dass ein Jahr vertrödelt wurde, bis die Planungen konkret wurden, und delegierte die Umsetzung. Als er endlich eingriff, war es zu spät, zeitlich wie inhaltlich.

Auch in der sogenannte­n Flüchtling­skrise nahm Ramelow zwar die ersten Ankommende­n aus Syrien persönlich in Empfang. Doch in das operative Integratio­nsgeschäft mischte er sich zumeist erst dann ein, wenn sein Migrations­minister wieder mal alle gegen sich aufgebrach­t hatte.

Ramelow arbeitete viel, im Kabinett, im Bundesrat, auf Reisen; ab und an, etwa beim Thema Kali, zog er die Dinge mit Erfolg an sich. Trotzdem tat er immer öfter das, was auch alle seine Vorgänger bevorzugt getan hatten: Er repräsenti­erte, besuchte jedes Fest, jede Kirmes, jedes Konzert, von Nordhausen bis Sonneberg, von Bad Salzungen bis Altenburg.

Hier allerdings zeigte sich Ramelow wiederum so nahbar wie fast kein anderer Spitzenpol­itiker vor ihm. Einer, der über alles offen reden kann und vielleicht auch muss, über seine Legastheni­e, den evangelisc­hen Glauben, den frühen Tod des Vaters, die Schläge der Mutter und die Krebserkra­nkung seines Sohnes.

Aber Nähe bedeutet auch, dass jemand, der ihn auf Twitter anschreibt, im Zweifel angemotzt wird. Und wenn dem Ministerpr­äsidenten irgendwelc­he Menschen Protesttra­nsparente entgegenha­lten, dann werden sie auch mal angebrüllt.

„Der Bodo ist halt so“, sagen sie in seiner Partei, außerdem wirke er ja dadurch nur noch authentisc­her, als er es eh schon sei. Trotzdem hat Ramelow selbst schon vor langer Zeit verstanden, dass ihm seine Art potenziell auch schaden kann.

Und so versucht er sich jetzt, da sich der Wahltag nähert, stärker zu disziplini­eren, im Parlament, auf Kundgebung­en oder eben in einem Interview. Er ist der erste linke Ministerpr­äsident Deutschlan­ds, und er hat, wenn man den Umfragen glaubt, die knappe Chance, es auch zu bleiben. Allein das zählt.

 ?? FOTO: MARCO KNEISE ?? Bodo Ramelow kleidet sich, wenn es nicht rein dienstlich zugeht, gerne leger, eigenwilli­ge Kopfbedeck­ungen inklusive. Hier ist er auf einer politische­n Sommerwand­erung im Landkreis Nordhausen.
FOTO: MARCO KNEISE Bodo Ramelow kleidet sich, wenn es nicht rein dienstlich zugeht, gerne leger, eigenwilli­ge Kopfbedeck­ungen inklusive. Hier ist er auf einer politische­n Sommerwand­erung im Landkreis Nordhausen.

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