Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Merkel: „Seien Sie laut!“
Die Bundeskanzlerin hält zum CDU-Empfang im Landtag eine unaufgeregte Rede zum Stand der Einheit – und fordert Selbstbewusstsein
Erfurt. Im Plenarsaal des Landtags wird am Freitagabend viel geklatscht, lange, laut und rhythmisch. Eben hatten sich hier noch die Abgeordneten zu ihrer letzten regulären Sitzung der Wahlperiode versammelt. Nun sitzt mitten im Rund die Bundeskanzlerin, eigens angereist zum Empfang der Landtagsfraktion ihrer CDU. Gleich soll Angela Merkel etwas vorfristig zum Tag der Einheit reden. Sie wird sagen, was sie oft sagt, nämlich dass die Ostdeutschen bei allen Schattenseiten die Erfolge nicht übersehen sollten.
Doch erst einmal singt der Kinderchor der örtlichen evangelischen Grundschule christliche Lieder und konkurriert ein wenig mit den Sprechchören der Demonstranten von Fridays for Future, die von draußen herein schallen. Danach tritt Lilly Krahner auf, Jahrgang 1995, aus Tröbnitz bei Jena. Sie stehe hier für die Nachwendegeneration, sagt sie. Sie finde, dass selbst heute, 30 Jahre danach, immer noch etwas fehle: „Eine Debatte von Augenhöhe zwischen Ost und West.“Die Ostdeutschen, sagt sie, müssten „einfach mal laut sein und die Demokratie in ihrem eigentlichen Sinne nutzen“. Ähnlich formuliert es Mike Mohring, der CDU-Landesund Fraktionsvorsitzende. Die Ostdeutschen müssen viel selbstbewusster interpretieren, was ihr Leben ausmache, sagt er.
Dann redet Merkel. Sie nimmt die Worte von Lilly Krahner auf. „Ja, seien Sie auch laut!“, sagt sie. Die Ostdeutschen hätten in der DDR vor allem gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen, aber nicht, sich klar und verständlich auszudrücken.
Die Kanzlerin redet viel über das Land Thüringen, das, wie sie sagt, immer schon eine starke regionale Identität gehabt habe. Diese Identität sei zuletzt auch bewahrt worden, weil die aktuelle Landesregierung eine Kreisgebietsreform nicht gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen konnte. „Das“, behauptet Merkel, „ist ein Werk der CDU.“
Noch mehrfach wird sie die christlich-demokratischen Verdienste hervorheben, obwohl es sich ja offiziell nicht um einen Wahlkampfauftritt handelt, sondern eine Fraktionsveranstaltung. Die Parteitermine muss schon seit einer Weile die aktuelle CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer übernehmen – so etwa am 3. Oktober beim offiziellen Wahlkampfauftakt im Grenzdorf Mödlareuth.
Doch natürlich lässt sich Merkels Rede schwerlich davon trennen, was am 27. Oktober ansteht. Die Veranstaltung in Erfurt dient daher auch als Machtdemonstration der von Mohring geführten Landespartei, die in den Umfragen auf Platz 3 hinter der regierenden Linken und der AfD liegt. Als Zeuge alter Größe sitzt Altministerpräsident Bernhard Vogel dabei, den Merkel als „Ausnahmepolitiker“belobigt.
Auch dafür gibt es Applaus. In einem Monat wird gewählt.