Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Ahnenforschung per Speichelprobe
Immer mehr Menschen lassen ihr Erbgut analysieren, um ihrer Abstammung nachzugehen. Doch funktioniert das wirklich?
Stammbaum anlegen und Datenbank durchsuchen
München.
34,8 Prozent Engländer, 32,3 Prozent Nord-/Westeuropäer, 19,6 Prozent Skandinavier, 10,6 Prozent Osteuropäer und 2,7 Prozent Balkanbewohner. Das ist das Ergebnis eines Tests dazu, aus welchen Regionen die Ahnen stammten. Nötig war nur eine DNA-Probe, selbst gemacht.
Im Internet kann man Proben-Sets bestellen, die per Post kommen. Stäbchen in den Mund, Speichel abstreichen und in Röhrchen verpacken. Wie steril das Ganze abläuft, ist jedem selbst überlassen. Abschicken und auf die Ergebnisse der GenAnalyse warten. Dann kann die DNA-Ahnenforschung losgehen.
Immer mehr Menschen nutzen die Angebote von Firmen wie Ancestry, MyHeritage, 23andMe oder iGenea. Ancestry mit Sitz in München teilt mit, weltweit hätten mehr als 15 Millionen Menschen dort den DNA-Test gemacht. Drei Millionen zahlende Mitglieder nutzten die Plattform für Ahnenforschung. MyHeritage aus Israel zählt über 100 Millionen registrierte Nutzer weltweit, etwa vier Millionen aus Deutschland. „Das Interesse an der Ahnenforben schung steigt, wir zählen Tausende neue Nutzer täglich.“
Die Tests analysieren ausgewählte DNA-Segmente und gleichen sie mit Referenzdaten ab. Sie sind ab rund 60 Euro zu bekommen. Manchmal gibt es Rabattaktionen. Wer seine DNA mit allen Verwandten und Urvölkern abgleichen will, zahlt weit über 1000 Euro.
Es stellt sich die Frage, was man mit Ergebnissen wie „17 Prozent Schweden“anfangen soll und wie seriös so etwas ist. „Das hat schon Hand und Fuß“, sagt Stephan Schiffels aus der Abteilung Archäogenetik am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. Wichtig sei, die Zahlen zu interpretieren: „Für enge Verwandtschaftsverhältnisse funktioniert so ein Test sehr robust. Das reicht bis zur Cousine vierten Grades.“ Schwieriger werde es, wenn man kleinteiliger werden wolle. Innerhalb Europas unterscheiden sich die Herkunftslinien dem Physiker zufolge sehr wenig. „Bei nahe liegenden Ländern gab es viel Genfluss, die hasich angenähert.“Dann könne man größere Gruppen wie skandinavisch und mediterran unterscheiden. „Je kleinteiliger Sie das aber aufschlüsseln, desto fragwürdiger wird es“, erklärt Schiffels. „Wenn ich wissen will, wie viele meiner Vorfahren aus Preußen, Bayern, Schwaben und Friesland sind, kann ich das vergessen.“
Die Anbieter erklären auf ihren Internetseiten, wie sie arbeiten und welche Ergebnisse sie liefern. „Dadurch vermeiden wir eine falsche Erwartungshaltung“, sagt ein iGenea-Sprecher.
Kritik gebe es kaum.
Viele bieten Zusatzoptionen an: Kunden können Stammbäume anlegen und Datenbanken durchsuchen. Und es werden Geschichten präsentiert über Familienzusammenführungen dank DNA-Analyse.
Eine Ancestry-Sprecherin erklärt: „Wir können die genetische Herkunft in weltweit über 500 Regionen zurückverfolgen. Neben ganzen Ländern stehen in der Liste auch Kombinationen von Gebieten wie „Nördliches Chihuahua und SüdwestNew-Mexico“, „Elsass-Lothringen und North Dakota“oder „Sachsen, Iowa und Illinois“. In Deutschland jedoch sei es so, „dass wir eine sehr bewegte Geschichte mit vielen Ein- und Auswanderungswellen hatten“, erläutert sie weiter. „Diese Vielfalt zeigt sich auch in der vielschichtigen Zusammensetzung unseres Genpools.“
Isabelle Bartram vom Verein Gen-ethisches Netzwerk verweist auf Berichte, in denen Tests von verschiedenen Firmen unterschiedliche Ergebnisse bei derselben Person ergaben. „Da es keine Standards oder Überprüfungen von Abstammungstests gibt, ist dies nicht verwunderlich“, sagt die Molekularbiologin. Zudem könne keine Referenzpopulation vollständig repräsentativ für Menschen in einer bestimmten Region sein.
Besonders kritisch hinterfragt Bartram den Datenschutz. „Wer seine Speichelprobe an ein Gentestunternehmen schickt, gibt ganz besondere Informationen über sich heraus“, warnt sie. DNA-Daten würden als besonders sensibel betrachtet, seien unveränderbar und identifizierten Menschen eindeutig. Manche Nutzungsbedingungen enthielten Angaben zur Weitergabe der Daten zu Forschungszwecken.
Der Präsident des Bayerischen Landesamts für Datenschutzaufsicht, Thomas Kranig, sagt, DNA-Ahnenforschung sei datenschutzrechtlich ein sehr sensibles Gebiet. Der Schutz müsse sicher deutlich besser sein als für „einfache Kundendaten“. Selbst aus der DNA gestorbener Personen, bei denen der Datenschutz nicht mehr greift, könne auf andere, noch lebende Personen geschlossen werden, macht er deutlich.
Ancestry hat sogar den Negativpreis Big Brother Award 2019 bekommen. In der Laudatio des ehemaligen Datenschutzbeauftragten des Landes SchleswigHolstein, Thilo Weichert, heißt es, Ancestry erteile deutschen Kunden vor der DNA-Analyse keine humangenetische Beratung, „obwohl diese verpflichtend im deutschen Gendiagnostikgesetz vorgesehen ist“. Auch könnte ein Vater DNA von sich und Kindern einsenden, um auf diesem Weg de facto einen Vaterschaftstest machen zu lassen. Damit würde er sich nach deutschem Recht strafbar machen.
Probengeber sollten sich klarmachen, was sie tun. „Anbieter wie Ancestry missbrauchen das Interesse an Familienforschung, um einen Genom-Schatz für die kommerzielle Forschung anzuhäufen, denn das ist ihr eigentliches Geschäftsmodell“, resümiert Weichert. „Wir sehen hier einen Trend: Nach der Ausbeutung von Internetdaten wird die Ausbeutung von Gendaten das nächste ganz große
Ding.“(dpa)