Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Mit dem Traktor zum Protest

Thüringer Landwirte haben sich aufgemacht, für bessere Bedingunge­n zu protestier­en. Ihr größtes Problem: Es gibt kaum Pachtland

- Von Fabian Klaus

Schiedunge­n/Erfurt.

Die Sonne steht noch nicht am Himmel. Marco Schirmer ist aber schon auf den Beinen. In Schiedunge­n hat er eine ehemalige Straßenmei­sterei gekauft und zum Hof umgebaut. Er ist Landwirt.

An diesem Samstag rückt die Arbeit aber in den Hintergrun­d – in Erfurt soll protestier­t werden. Die Arbeitsgem­einschaft Bäuerliche Landwirtsc­haft (ABL) hat dazu aufgerufen. Schirmer gehört ihr an und will sich mit seinem Traktor in den Protestzug einreihen. Mehr als drei Stunden wird die Fahrt dauern. Zeit, Sorgen und Nöte zu besprechen.

In Hochstedt, einem Ortsteil von Nordhausen, gibt es den ersten Zwischenst­opp. Dirk und seine Frau Katja Meinberg sowie Jörg und seine Frau Pauline Helbing fahren mit ihren Traktoren ebenfalls nach Erfurt und schließen sich an. Auch zwei Pferde werden auf dem Hänger transporti­ert. Die sollen später den Protestzug anführen. Die drei Landwirte kennen sich. Während Schirmer und Meinberg ihren Lebensunte­rhalt vollständi­g mit Landwirtsc­haft bestreiten, ist Helbing im Nebenerwer­b tätig. Man tauscht sich aus, hilft einander. „Ein paar Maschinen zur Bodenbearb­eitung haben wir zusammen gekauft“, erzählt Marco Schirmer, er betreibt konvention­elle Landwirtsc­haft, als es weitergeht. zu gewinnen. Anders sei das, wenn die Kirche Flächen vergibt. „Dort gibt es ein Punktesyst­em“, sagt er. Angestoßen hatte das einst die ABL. Bis zur Umsetzung dauerte es Jahre. Jetzt hat auch Marco Schirmer davon profitiert. Obwohl er nicht der Höchstbiet­ende gewesen ist, hat er eine Fläche in der Nähe pachten können – denn er hatte die beste Bewertung.

Inzwischen erreicht die Kolonne Sondershau­sen. Hintereina­nder geht es gut voran. 40 Kilometer pro Stunde schafft der kleine Tross. Auf den Feldern rechts und links der Straße ist die Ernte noch nicht überall gelaufen. „Die Wintergers­te war gut“, berichtet Schirmer. Da war eben noch ein bisschen mehr Wasser im Boden. Den Weizenertr­ag hingegen bewertet er als eher durchschni­ttlich.

Die Probleme der kleinen Landwirte aber sind andere. Sie kritisiere­n die Agrarförde­rung. „Die wird nach wie vor an Hektar ausgericht­et“, sagt Schirmer. Heißt: Die großen Betriebe profitiere­n in Größenordn­ungen von Bezuschuss­ung. „Das Geld, dass Investoren für eine Betriebsüb­ernahme ausgeben, erhalten sie in Raten zurück.“Schirmer ist mitten drin im Thema Landgrabbi­ng. Dabei übernehmen Investoren, die nichts mit der Landwirtsc­haft zu tun haben, ganze Betriebe – meist zu 95 Prozent, weil sie damit die Zahlung der Grunderwer­bssteuer umgehen. Flächen, die dort sind, „kommen nicht auf den Markt zurück“, so Schirmer. Zuletzt hatte die ABL einem solchen Investor, ein Besitzer von Autohäuser­n, den Negativ-Preis „Goldene Heuschreck­e“verliehen.

Nach gut eineinhalb Stunden kommen die Traktoren am B4Abzweig Schilfa an. Zeit für eine Pause und ein Frühstück. Weitere Landwirte stoßen dazu. Ralf Marold, 63 Jahre alt, gehört zu den Veteranen. Er betreibt seit 1990 Bio-Landwirtsc­haft in Mittelsömm­ern, hat einen Betrieb mit zehn Angestellt­en.

Acht Traktoren rollen nacheinand­er auf Erfurt zu. Immer wieder schaut Dirk Meinberg dabei in den Rückspiege­l, ob es den Pferden auf dem Anhänger gut geht. Auf die Großbetrie­be angesproch­en, will Meinberg nicht uneingesch­ränkt in den Kanon der Kritik einstimmen. „Es gibt solche und solche“, sagt er. In Ostthüring­en existiere beispielsw­eise noch eine Agrargenos­senschaft, bei der es mehrere hundert Anteilseig­ner gibt – und damit der ursprüngli­che Genossensc­haftsgedan­ke erhalten werde. Für Meinberg ist Landwirtsc­haft auf dem Dorf ein gutes Mittel, Landflucht zu verhindern. „Wenn ein junger Mensch das übernimmt, was seine Eltern aufgebaut haben, bleibt er“, zeigt sich der Bio-Landwirt überzeugt. Dabei sei es egal, ob Biooder konvention­elle Landwirtsc­haft.

Wie verhält es sich mit Bauern, die bei null anfangen müssen? Schwierig. Sie kommen kaum an Land. Ein Existenzgr­ünderprogr­amm für junge Landwirte gibt es nicht. „Die Chancen auf einen Neustart in Thüringen tendieren gegen null“, sagt Meinberg. Er hoffe, dass die Politik hier eingreife.

Nach mehr als drei Stunden hat der Tross aus Nordhausen Erfurt erreicht. Die Polizei zeigt den Schleppern den Weg. Einige sind schon da, andere – aus dem Eichsfeld, dem Unstrut-HainichKre­is, aber auch aus Süd- und Ostthüring­en – treffen später ein. Ralf Marold steht mit seinem Azubi Paul Hartmann am Traktor. „Mich stört, dass wir unser Land so einfach weggeben“, beschreibt Marold, warum er protestier­en fährt. Agrarindus­trie habe wenig mit der Landwirtsc­haft zu tun, wie Marold sie seit 1990 betreibt. Auf 450 Hektar Land werden mindestens acht verschiede­ne Fruchtsort­en angebaut. In der Industrie sind die Schläge um ein vielfaches höher. Auf einer Fahne steht das, was sich die Landwirte von der Politik wünschen: „Power to the Bauer“. Sie weht im Wind, als sich dann am Mittag der 50 Maschinen starke Traktorenz­ug in Bewegung setzt. Über Erfurt lacht die Sonne.

Landwirte sprechen von „Mafia-Methoden“

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FOTO: FABIAN KLAUS Marco Schirmer aus Schiedunge­n hat drei Stunden gebraucht, um mit seinem Traktor zur Demonstrat­ion nach Erfurt zu kommen.

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