Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Mit dem Traktor zum Protest
Thüringer Landwirte haben sich aufgemacht, für bessere Bedingungen zu protestieren. Ihr größtes Problem: Es gibt kaum Pachtland
Schiedungen/Erfurt.
Die Sonne steht noch nicht am Himmel. Marco Schirmer ist aber schon auf den Beinen. In Schiedungen hat er eine ehemalige Straßenmeisterei gekauft und zum Hof umgebaut. Er ist Landwirt.
An diesem Samstag rückt die Arbeit aber in den Hintergrund – in Erfurt soll protestiert werden. Die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (ABL) hat dazu aufgerufen. Schirmer gehört ihr an und will sich mit seinem Traktor in den Protestzug einreihen. Mehr als drei Stunden wird die Fahrt dauern. Zeit, Sorgen und Nöte zu besprechen.
In Hochstedt, einem Ortsteil von Nordhausen, gibt es den ersten Zwischenstopp. Dirk und seine Frau Katja Meinberg sowie Jörg und seine Frau Pauline Helbing fahren mit ihren Traktoren ebenfalls nach Erfurt und schließen sich an. Auch zwei Pferde werden auf dem Hänger transportiert. Die sollen später den Protestzug anführen. Die drei Landwirte kennen sich. Während Schirmer und Meinberg ihren Lebensunterhalt vollständig mit Landwirtschaft bestreiten, ist Helbing im Nebenerwerb tätig. Man tauscht sich aus, hilft einander. „Ein paar Maschinen zur Bodenbearbeitung haben wir zusammen gekauft“, erzählt Marco Schirmer, er betreibt konventionelle Landwirtschaft, als es weitergeht. zu gewinnen. Anders sei das, wenn die Kirche Flächen vergibt. „Dort gibt es ein Punktesystem“, sagt er. Angestoßen hatte das einst die ABL. Bis zur Umsetzung dauerte es Jahre. Jetzt hat auch Marco Schirmer davon profitiert. Obwohl er nicht der Höchstbietende gewesen ist, hat er eine Fläche in der Nähe pachten können – denn er hatte die beste Bewertung.
Inzwischen erreicht die Kolonne Sondershausen. Hintereinander geht es gut voran. 40 Kilometer pro Stunde schafft der kleine Tross. Auf den Feldern rechts und links der Straße ist die Ernte noch nicht überall gelaufen. „Die Wintergerste war gut“, berichtet Schirmer. Da war eben noch ein bisschen mehr Wasser im Boden. Den Weizenertrag hingegen bewertet er als eher durchschnittlich.
Die Probleme der kleinen Landwirte aber sind andere. Sie kritisieren die Agrarförderung. „Die wird nach wie vor an Hektar ausgerichtet“, sagt Schirmer. Heißt: Die großen Betriebe profitieren in Größenordnungen von Bezuschussung. „Das Geld, dass Investoren für eine Betriebsübernahme ausgeben, erhalten sie in Raten zurück.“Schirmer ist mitten drin im Thema Landgrabbing. Dabei übernehmen Investoren, die nichts mit der Landwirtschaft zu tun haben, ganze Betriebe – meist zu 95 Prozent, weil sie damit die Zahlung der Grunderwerbssteuer umgehen. Flächen, die dort sind, „kommen nicht auf den Markt zurück“, so Schirmer. Zuletzt hatte die ABL einem solchen Investor, ein Besitzer von Autohäusern, den Negativ-Preis „Goldene Heuschrecke“verliehen.
Nach gut eineinhalb Stunden kommen die Traktoren am B4Abzweig Schilfa an. Zeit für eine Pause und ein Frühstück. Weitere Landwirte stoßen dazu. Ralf Marold, 63 Jahre alt, gehört zu den Veteranen. Er betreibt seit 1990 Bio-Landwirtschaft in Mittelsömmern, hat einen Betrieb mit zehn Angestellten.
Acht Traktoren rollen nacheinander auf Erfurt zu. Immer wieder schaut Dirk Meinberg dabei in den Rückspiegel, ob es den Pferden auf dem Anhänger gut geht. Auf die Großbetriebe angesprochen, will Meinberg nicht uneingeschränkt in den Kanon der Kritik einstimmen. „Es gibt solche und solche“, sagt er. In Ostthüringen existiere beispielsweise noch eine Agrargenossenschaft, bei der es mehrere hundert Anteilseigner gibt – und damit der ursprüngliche Genossenschaftsgedanke erhalten werde. Für Meinberg ist Landwirtschaft auf dem Dorf ein gutes Mittel, Landflucht zu verhindern. „Wenn ein junger Mensch das übernimmt, was seine Eltern aufgebaut haben, bleibt er“, zeigt sich der Bio-Landwirt überzeugt. Dabei sei es egal, ob Biooder konventionelle Landwirtschaft.
Wie verhält es sich mit Bauern, die bei null anfangen müssen? Schwierig. Sie kommen kaum an Land. Ein Existenzgründerprogramm für junge Landwirte gibt es nicht. „Die Chancen auf einen Neustart in Thüringen tendieren gegen null“, sagt Meinberg. Er hoffe, dass die Politik hier eingreife.
Nach mehr als drei Stunden hat der Tross aus Nordhausen Erfurt erreicht. Die Polizei zeigt den Schleppern den Weg. Einige sind schon da, andere – aus dem Eichsfeld, dem Unstrut-HainichKreis, aber auch aus Süd- und Ostthüringen – treffen später ein. Ralf Marold steht mit seinem Azubi Paul Hartmann am Traktor. „Mich stört, dass wir unser Land so einfach weggeben“, beschreibt Marold, warum er protestieren fährt. Agrarindustrie habe wenig mit der Landwirtschaft zu tun, wie Marold sie seit 1990 betreibt. Auf 450 Hektar Land werden mindestens acht verschiedene Fruchtsorten angebaut. In der Industrie sind die Schläge um ein vielfaches höher. Auf einer Fahne steht das, was sich die Landwirte von der Politik wünschen: „Power to the Bauer“. Sie weht im Wind, als sich dann am Mittag der 50 Maschinen starke Traktorenzug in Bewegung setzt. Über Erfurt lacht die Sonne.
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