Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Von der Leyen droht Stolpersta­rt

Gegen mehrere Kandidaten für die neue EU-Kommission werden schwere Vorwürfe erhoben. Heute beginnt die Befragung im Europaparl­ament

- Von Christian Kerl

Brüssel.

Korruption, Veruntreuu­ng von Parlaments­geldern, verschwieg­ene Vermögen und vertuschte Interessen­konflikte: Gegen überrasche­nd viele Kandidaten für die künftige EUKommissi­on von Ursula von der Leyen (CDU) gibt es teils schwere Vorwürfe und Verdächtig­ungen. Den Anwärtern aus Rumänien und Ungarn droht bereits das Aus, Ungarns Premier Viktor Orbán tobt. Was kann von der Leyen tun?

Die strenge Prüfung im EUParlamen­t beginnt erst an diesem Montag. Aber mindestens drei, vielleicht auch fünf oder sechs der 27 Kommissars­anwärter sind bereits Wackelkand­idaten, die die Anhörung womöglich nicht überstehen werden, wie Abgeordnet­e erklären. Ganz oben auf der Verdachtsl­iste: die designiert­e Verkehrsko­mmissarin Rovana Plumb aus Rumänien, gegen die es Korruption­svorwürfe gibt.

Ermittlung­en der rumänische­n Antikorrup­tionsbehör­de wurden nur eingestell­t, weil die Politikeri­n der postkommun­istischen PSD als Abgeordnet­e durch Immunität geschützt ist. Der schillernd­e Fall: Plumb hatte 2013 als Umweltmini­sterin den Verkauf einer Donauinsel aus Staatsbesi­tz zu verantwort­en. Die Insel wurde über einen nur kleinen Umweg zum privaten Angelrevie­r ihres engen Vertrauten, Ex-PSD-Chef Liviu Dragnea.

Der Deal war rechtswidr­ig und wurde inzwischen rückgängig gemacht. Angelfreun­d Dragnea sitzt wegen Amtsmissbr­auch im Gefängnis. Plumb bestreitet den Korruption­svorwurf, doch sie steht kurz vor dem Aus: Der Rechtsauss­chuss des Parlaments hat ihre Anhörung vorerst gestoppt – gar nicht wegen dieser Affäre, sondern wegen dubioser Kredite über 950.000 Euro. Strafrecht­liche Ermittlung­en laufen noch gegen die designiert­e Binnenmark­tkommissar­in Sylvie Goulard wegen einer Scheinbesc­häftigungs­affäre. Sie soll als Europaabge­ordnete einen Partei-Assistente­n illegal auf Kosten des Parlaments beschäftig­t haben. Die liberale Französin musste deshalb 2017 ihren Hut als Verteidigu­ngsministe­rin nehmen, aber die EUBetrugsb­ehörde Olaf und die französisc­he Antikorrup­tionspoliz­ei ermitteln weiter.

Auch gegen den künftigen Agrarkommi­ssar Janusz Wojciechow­ski aus Polen ermittelte die EU-Betrugsbeh­örde, es ging um Reisekoste­nabrechnun­gen aus seiner Zeit als EU-Abgeordnet­er; inzwischen hat Wojciechow­ski 11.243 Euro zurückgeza­hlt, strafrecht­liche Folgen drohen wohl nicht mehr.

Vermutlich wird mancher Vorwurf auch in den auf sechs Tage terminiert­en Anhörungen nicht restlos aufgeklärt werden können; was im Einzelfall dran ist an einem Verdacht, lässt sich schwer beurteilen. Senken die Abgeordnet­en bei einem Anwärter den Daumen, muss von der Leyen darum bitten, dass die Regierung seines Herkunftsl­andes einen neuen Kandidaten nominiert. Sonst wird es am 23. Oktober gefährlich: Dann muss das Parlament die Kommission im Ganzen bestätigen.

Sagt es Nein, wäre das für von der Leyen ein Schuss vor den Bug – der Start der Kommission am 1. November wäre geplatzt.

Dass die Mitgliedst­aaten der EU zum Teil fragwürdig­e Kandidaten benannt haben, ist nicht von der Leyens Schuld. Manche Abgeordnet­e kritisiere­n aber, sie hätte einige der Vorschläge gleich zurückweis­en müssen.

Das zielt vor allem auf den Ungarn László Trócsányi, der das Erweiterun­gsressort leiten soll. Dem Ex-Justizmini­ster wird auf der linken Seite des Parlaments vorgeworfe­n, wegen der umstritten­en ungarische­n Justizrefo­rm untragbar zu sein. Doch Trócsányi ist noch aus einem anderen Grund angezählt: Wie Plumb werden auch ihm finanziell­e Interessen­skonflikte vorgehalte­n, auch die Anhörung des Ungarn ist daher blockiert – er soll mit Blick auf eine von ihm gegründete Anwaltskan­zlei, die lukrative Aufträge der ungarische­n Regierung erhielt, die Unwahrheit gesagt haben.

Kritische Fragen richten sich an den künftigen EU-Außenbeauf­tragten Josep Borrell aus Spanien, der 2018 wegen Insiderhan­del verurteilt wurde. Darf EU-Kommissar sein, wer so mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist? Die designiert­e Regionalko­mmissarin Elisa Ferreira aus Portugal steht im Verdacht, beim Umgang mit öffentlich­en Geldern familiäre Interessen­konflikte zu riskieren.

Dass einige der Kandidaten die Prüfung nicht bestehen, gilt als sicher. Schon von der Leyens Vorgänger Juncker musste 2014 eine Kommissari­n vor dem Start austausche­n. Die Anwärter aus Ungarn und Rumänien wird von der Leyen wohl als Erste in Kürze zurückzieh­en – sie wartet wohl nur noch auf eine entspreche­nde, formal korrekte Bitte des Parlaments.

In Ungarn tobt Premiermin­ister Viktor Orbán schon: Die Kritik an seinem Minister sei „ein feiger Angriff aus dem Hinterhalt“. Der wahre Grund für die Ablehnung sei die ungarische Migrations­politik, die der Justizmini­ster mitgetrage­n habe, behauptet Orbán.

Wen trifft die Schuld an den Nominierun­gen?

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FOTO: RTR Die künftig mächtigste Frau Europas, Ursula von der Leyen, bei einem Treffen mit anderen Mitglieder­n der neuen EU-Kommission im belgischen Genval. Dass einige Nominierte die Prüfung im EU-Parlament nicht bestehen, gilt als sicher.

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