Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Keine weitere x-beliebige Schule
Mit Interesse und Skepsis zugleich reagieren Intendanten auf den Vorstoß der Grünen, eine Theaterakademie in Thüringen einzurichten
Gera/Jena.
Goethes geschwätziges Lieschen kommt aus Afghanistan: Tahera Hashemi, die in Kabul Schauspiel und Regie studierte und bis zum Sommer dem Exil-Ensemble am Berliner Gorki-Theater angehörte, hat am Nationaltheater Weimar ein neues künstlerisches Zuhause gefunden. Am kommenden Freitag feiert sie dort auch in Auerbachs Keller und als Böser Geist „Urfaust“-Premiere. Seit Jahren schon arbeitet das Haus mit afghanischen Kollegen des Azdar-Theaters zusammen, etwa in der transnationalen „Kula-Compagnie“, zu der auch Franzosen gehören.
Das Theater Altenburg-Gera beschäftigte fünf Jahre lang Schauspieler aus Griechenland, der Türkei und Burkina Faso. Zuletzt brachte das Haus nun mit rumänischen Kollegen das nonverbale Stück „Clowns – Eine physische Grenzerfahrung“in Altenburg und Craiova heraus, das im Juni 2020 nach Gera umzieht.
Derweil übernahm das „Wunderbaum“-Kollektiv aus Rotterdam und Mailand das Theaterhaus Jena und eröffnete dort jüngst die Kulturarena mit einem Spektakel in gleich vier Sprachen: Deutsch, Englisch, Holländisch, Arabisch. Zuvor kamen beim Festival „Voice of Europe“auch Französisch oder Spanisch auf die Jenaer Bühne. Und nicht nur am Meininger Staatstheater hat man überdies, so Intendant Ansgar Haag, „seit Jahren versucht, mit Asylanten, die in ihrer Heimat künstlerische Berufe hatten, zusammenzuarbeiten“.
Alles in allem ist Thüringens Bühnenboden also längst bereitet, „sich flexibel und offen gegenüber den Erfordernissen der globalisierten Welt, ihren künstlerischen Entwicklungen und sozialen Verhältnissen (zu) zeigen“, wie es im Wahlprogramm der Grünen heißt. Sie regen derart allerdings eine „International Academy of Performing Arts“an (wir berichteten). Sie solle eng mit den Thüringer Theatern zusammenarbeiten.
Deren Intendanten und Schauspielchefs kennen diese Idee einer Sprach- und Spartengrenzen überwindenden Theaterschule bislang nur aus unserer Zeitung. Einzig Ansgar Haag erklärt: „Wir hatten mit verschiedenen Intendanten über so eine Initiative gesprochen, insbesondere was die Parallele zu den Projekten der neuen Intendanz in Jena betrifft.“
Keinesfalls uninteressiert, aber doch mit einiger Skepsis reagieren Theaterleitungen auf den Vorstoß, für den ursprünglich Bernhard Stengele sorgte: ehemaliger Schauspielchef in Altenburg-Gera und jetzt bündnisgrüner Landtagskandidat.
Die Skepsis entsteht, so ergaben unsere Nachfragen, mit Blick auf den bestehenden Markt. DNT-Chef Hasko Weber etwa findet, „dass es sehr viele Ausbildungsmöglichkeiten in Deutschland gibt, staatliche wie private, die sich um eine hohe Qualität und auch Internationalität bemühen. Eine Neugründung bedürfte deshalb einer sehr speziellen Ausrichtung, um erfolgreich zu werden.“Ansgar Haag glaubt, „dass derzeit nicht genug Stellen im Land Thüringen für Hasko Weber, DNT: „Eine Neugründung bedürfte einer sehr speziellen Ausrichtung.“ Manuel Kressin, Altenburg-Gera, arbeitet häufiger jenseits traditionellen Sprechtheaters.
Schauspieler zu vergeben sind, sodass sich eine zusätzliche Schauspielschule lohnen würde“.
Und auch Rudolstadts Intendant Steffen Mensching erinnert daran, dass die Schulen im Land mehr Schauspieler ausbilden als es Vakanzen an den Häusern gibt. „Mit einer weiteren x-beliebigen Schule wäre niemandem gedient.“Dennoch stünde Mensching für konzeptionelle Gespräche zur Verfügung. Dass bei der Profildiskussion vor allem Praktiker gehört werden müssten, wie er anmahnt, sehen ja auch die Grünen so. Und der Weg ist nicht weit: Deren Für Ansgar Haag, Meiningen, lohnt sich eine zusätzliche Schauspielschule eher nicht. Walter Bart, Jena, mag es, „wenn unterschiedliche Sprachen auf einer Bühne stehen“.
Landesvorsitzende Stephanie Erben ist in Rudolstadt zu Hause. Und gerade dort würde Bernhard Stengele eine dezentrale, gleichsam wandernde Theaterakademie, ebenso verorten wie in Jena oder Altenburg.
Meiningen, wo vor 100 Jahren eine Schauspielschule eröffnet wurde (und nach sieben Jahren aufgelöst), kam in der Liste noch nicht vor. Der dortige Schauspieldirektor Tobias Rott findet die Idee aber „interessant und diskutierbar“. Wechselseitige Kooperationen mit hiesigen Bühnen seien fundamental dafür. Er bringt einen „Aufbau- oder Masterstudiengang für Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen“ins Spiel.
Zu seinen schönsten Theatererlebnissen zählt Rott Sebastian Nüblings Inszenierung „Three Kingdoms“, mit estnischen, englischen und deutschen Schauspielern, 2011 in München. Doch nicht nur Rott hält Sprache, womit er wohl im hiesigen Kontext die deutsche meint, „für ein essenzielles, grundlegendes Mittel des Schauspiels“. Sein Intendant Haag will im Sprechtheater sogar dezidiert dem entgegenwirken, dass „der Gebrauch der deutschen Sprache vernachlässigt wird“. Dass Sprache als Ausdrucksmittel in allen Sparten „immer eine zentrale Bedeutung behalten wird“, glaubt Hasko Weber.
Ohnehin sei „Mehrsprachigkeit im ländlichen Raum eher selten anzutreffen“, so Steffen Menschen in Rudolstadt. „Aber auch hier wird die Zukunft Veränderung bringen, auf die man sich in der Spielplangestaltung einstellen muss“, ergänzt er.
„Ich mag es gerne, wenn unterschiedliche Sprachen auf einer Bühne stehen“, sagt Walter Bart vom Theaterhaus Jena. Eine solche Akademie ausgerechnet in Thüringen könne fürs Theater „eine neue Sprache entwickeln“, jenseits der nationalen Goethe-Schiller-Perspektive. Für Bart ist der Vorschlag „ein positiver Gegenentwurf“zu Ängsten, das unsere Kultur von außen bedroht sei.
Jena arbeitet vor allem mit Stückentwicklungen. Rudolstadt bringt „durch die einmalige Koexistenz eines Schauspielensembles und eines Sinfonieorchesters“, so Mensching, häufig „Genres zum Fließen“. Gera-Altenburg vermischt, so Schauspieldirektor Manuel Kressin, „seit zwei Jahren immer stärker die Sparten“, was ein „gegenseitig befruchtender künstlerischer Gewinn“sei. Weimars Schauspiel arbeitet wiederholt mit Eisenachs Ballett zusammen, wovon auch Meiningen profitiert. Es ist also auch in der Formensprache längst sehr viel in Bewegung.
Eine internationale Theaterakademie müsste den Regionen indes „kulturellen Mehrwert“bringen, so Mensching. „Avantgardistische Ufos in der Peripherie erzeugen dort zunächst Aufregung, dann eher Unmut und Verwirrung.“Nicht zufällig hat gerade Rudolstadts Intendant aber eine Bedingung, bevor Blütenträume reifen: „Solange an Thüringer Theatern Haustarifverträge existieren, würde ich eine Hochschulgründung nicht unterstützen.“Diese Unterfinanzierung zu beenden, versprechen aktuell indes nicht nur die Grünen.