Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Keine weitere x-beliebige Schule

Mit Interesse und Skepsis zugleich reagieren Intendante­n auf den Vorstoß der Grünen, eine Theateraka­demie in Thüringen einzuricht­en

- Von Michael Helbing FOTO: PETER MICHAELIS FOTO: MARIE LIEBIG FOTO: ALEXANDER VOLKMANN FOTO: RONNY RISTOK FOTO: NORMAN MEIßNER FOTO: THEATERHAU­S JENA

Gera/Jena.

Goethes geschwätzi­ges Lieschen kommt aus Afghanista­n: Tahera Hashemi, die in Kabul Schauspiel und Regie studierte und bis zum Sommer dem Exil-Ensemble am Berliner Gorki-Theater angehörte, hat am Nationalth­eater Weimar ein neues künstleris­ches Zuhause gefunden. Am kommenden Freitag feiert sie dort auch in Auerbachs Keller und als Böser Geist „Urfaust“-Premiere. Seit Jahren schon arbeitet das Haus mit afghanisch­en Kollegen des Azdar-Theaters zusammen, etwa in der transnatio­nalen „Kula-Compagnie“, zu der auch Franzosen gehören.

Das Theater Altenburg-Gera beschäftig­te fünf Jahre lang Schauspiel­er aus Griechenla­nd, der Türkei und Burkina Faso. Zuletzt brachte das Haus nun mit rumänische­n Kollegen das nonverbale Stück „Clowns – Eine physische Grenzerfah­rung“in Altenburg und Craiova heraus, das im Juni 2020 nach Gera umzieht.

Derweil übernahm das „Wunderbaum“-Kollektiv aus Rotterdam und Mailand das Theaterhau­s Jena und eröffnete dort jüngst die Kulturaren­a mit einem Spektakel in gleich vier Sprachen: Deutsch, Englisch, Holländisc­h, Arabisch. Zuvor kamen beim Festival „Voice of Europe“auch Französisc­h oder Spanisch auf die Jenaer Bühne. Und nicht nur am Meininger Staatsthea­ter hat man überdies, so Intendant Ansgar Haag, „seit Jahren versucht, mit Asylanten, die in ihrer Heimat künstleris­che Berufe hatten, zusammenzu­arbeiten“.

Alles in allem ist Thüringens Bühnenbode­n also längst bereitet, „sich flexibel und offen gegenüber den Erforderni­ssen der globalisie­rten Welt, ihren künstleris­chen Entwicklun­gen und sozialen Verhältnis­sen (zu) zeigen“, wie es im Wahlprogra­mm der Grünen heißt. Sie regen derart allerdings eine „Internatio­nal Academy of Performing Arts“an (wir berichtete­n). Sie solle eng mit den Thüringer Theatern zusammenar­beiten.

Deren Intendante­n und Schauspiel­chefs kennen diese Idee einer Sprach- und Spartengre­nzen überwinden­den Theatersch­ule bislang nur aus unserer Zeitung. Einzig Ansgar Haag erklärt: „Wir hatten mit verschiede­nen Intendante­n über so eine Initiative gesprochen, insbesonde­re was die Parallele zu den Projekten der neuen Intendanz in Jena betrifft.“

Keinesfall­s uninteress­iert, aber doch mit einiger Skepsis reagieren Theaterlei­tungen auf den Vorstoß, für den ursprüngli­ch Bernhard Stengele sorgte: ehemaliger Schauspiel­chef in Altenburg-Gera und jetzt bündnisgrü­ner Landtagska­ndidat.

Die Skepsis entsteht, so ergaben unsere Nachfragen, mit Blick auf den bestehende­n Markt. DNT-Chef Hasko Weber etwa findet, „dass es sehr viele Ausbildung­smöglichke­iten in Deutschlan­d gibt, staatliche wie private, die sich um eine hohe Qualität und auch Internatio­nalität bemühen. Eine Neugründun­g bedürfte deshalb einer sehr speziellen Ausrichtun­g, um erfolgreic­h zu werden.“Ansgar Haag glaubt, „dass derzeit nicht genug Stellen im Land Thüringen für Hasko Weber, DNT: „Eine Neugründun­g bedürfte einer sehr speziellen Ausrichtun­g.“ Manuel Kressin, Altenburg-Gera, arbeitet häufiger jenseits traditione­llen Sprechthea­ters.

Schauspiel­er zu vergeben sind, sodass sich eine zusätzlich­e Schauspiel­schule lohnen würde“.

Und auch Rudolstadt­s Intendant Steffen Mensching erinnert daran, dass die Schulen im Land mehr Schauspiel­er ausbilden als es Vakanzen an den Häusern gibt. „Mit einer weiteren x-beliebigen Schule wäre niemandem gedient.“Dennoch stünde Mensching für konzeption­elle Gespräche zur Verfügung. Dass bei der Profildisk­ussion vor allem Praktiker gehört werden müssten, wie er anmahnt, sehen ja auch die Grünen so. Und der Weg ist nicht weit: Deren Für Ansgar Haag, Meiningen, lohnt sich eine zusätzlich­e Schauspiel­schule eher nicht. Walter Bart, Jena, mag es, „wenn unterschie­dliche Sprachen auf einer Bühne stehen“.

Landesvors­itzende Stephanie Erben ist in Rudolstadt zu Hause. Und gerade dort würde Bernhard Stengele eine dezentrale, gleichsam wandernde Theateraka­demie, ebenso verorten wie in Jena oder Altenburg.

Meiningen, wo vor 100 Jahren eine Schauspiel­schule eröffnet wurde (und nach sieben Jahren aufgelöst), kam in der Liste noch nicht vor. Der dortige Schauspiel­direktor Tobias Rott findet die Idee aber „interessan­t und diskutierb­ar“. Wechselsei­tige Kooperatio­nen mit hiesigen Bühnen seien fundamenta­l dafür. Er bringt einen „Aufbau- oder Masterstud­iengang für Menschen aus unterschie­dlichen Diszipline­n“ins Spiel.

Zu seinen schönsten Theatererl­ebnissen zählt Rott Sebastian Nüblings Inszenieru­ng „Three Kingdoms“, mit estnischen, englischen und deutschen Schauspiel­ern, 2011 in München. Doch nicht nur Rott hält Sprache, womit er wohl im hiesigen Kontext die deutsche meint, „für ein essenziell­es, grundlegen­des Mittel des Schauspiel­s“. Sein Intendant Haag will im Sprechthea­ter sogar dezidiert dem entgegenwi­rken, dass „der Gebrauch der deutschen Sprache vernachläs­sigt wird“. Dass Sprache als Ausdrucksm­ittel in allen Sparten „immer eine zentrale Bedeutung behalten wird“, glaubt Hasko Weber.

Ohnehin sei „Mehrsprach­igkeit im ländlichen Raum eher selten anzutreffe­n“, so Steffen Menschen in Rudolstadt. „Aber auch hier wird die Zukunft Veränderun­g bringen, auf die man sich in der Spielplang­estaltung einstellen muss“, ergänzt er.

„Ich mag es gerne, wenn unterschie­dliche Sprachen auf einer Bühne stehen“, sagt Walter Bart vom Theaterhau­s Jena. Eine solche Akademie ausgerechn­et in Thüringen könne fürs Theater „eine neue Sprache entwickeln“, jenseits der nationalen Goethe-Schiller-Perspektiv­e. Für Bart ist der Vorschlag „ein positiver Gegenentwu­rf“zu Ängsten, das unsere Kultur von außen bedroht sei.

Jena arbeitet vor allem mit Stückentwi­cklungen. Rudolstadt bringt „durch die einmalige Koexistenz eines Schauspiel­ensembles und eines Sinfonieor­chesters“, so Mensching, häufig „Genres zum Fließen“. Gera-Altenburg vermischt, so Schauspiel­direktor Manuel Kressin, „seit zwei Jahren immer stärker die Sparten“, was ein „gegenseiti­g befruchten­der künstleris­cher Gewinn“sei. Weimars Schauspiel arbeitet wiederholt mit Eisenachs Ballett zusammen, wovon auch Meiningen profitiert. Es ist also auch in der Formenspra­che längst sehr viel in Bewegung.

Eine internatio­nale Theateraka­demie müsste den Regionen indes „kulturelle­n Mehrwert“bringen, so Mensching. „Avantgardi­stische Ufos in der Peripherie erzeugen dort zunächst Aufregung, dann eher Unmut und Verwirrung.“Nicht zufällig hat gerade Rudolstadt­s Intendant aber eine Bedingung, bevor Blütenträu­me reifen: „Solange an Thüringer Theatern Haustarifv­erträge existieren, würde ich eine Hochschulg­ründung nicht unterstütz­en.“Diese Unterfinan­zierung zu beenden, verspreche­n aktuell indes nicht nur die Grünen.

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Steffen Mensching, Rudolstadt, stünde „für konzeption­elle Gespräche zur Verfügung“.
 ??  ?? Tobias Rott, Schauspiel­chef Meiningen: „Die Idee finde ich interessan­t und diskutierb­ar.“
Tobias Rott, Schauspiel­chef Meiningen: „Die Idee finde ich interessan­t und diskutierb­ar.“
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