Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Der Goldjunge von Funchal

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Da steht er wie beim Freistoß: breitbeini­g, mit leicht abgespreiz­ten Armen, der Blick auf den Ball gerichtet. Den es nicht gibt. Vor ihm ist eine Messingpla­tte in den Hafenboden eingelasse­n: „Best player in the world“, steht da. Was nicht ganz stimmt. Denn gerade hat die Fifa seinen Dauerrival­en Lionel Messi zum Weltfußbal­ler des Jahres gekürt, 2018 war der Titel an Luka Modric gegangen. Und was ist mit Pelé, Maradona, Zidane?

Egal. In Funchal, der Hauptstadt von Madeira, wo Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro vor 34 Jahren geboren wurde, ist er der Größte. Hier hat CR7 sich selbst ein Denkmal gesetzt, hat ein Museum errichtet und gleich noch ein Hotel mit Cafeteria dazu. Hier feiert er täglich ein Heimspiel vor Tausenden Touristen. Ehre, wem Ehre gebührt.

Wenn nur diese Statue nicht wäre. Dieses stoische Gesicht, das kaum Ähnlichkei­t mit dem Original aufweist, die riesigen Hände, die prägnant herausgear­beitete Schmalztol­le und die Beule in der Hose. Hat der beste aller Ronaldos so ein schlechtes Denkmal verdient?

Es gab ein noch schlechter­es auf dem Airport. Doch die Büste wurde, nachdem man sich im World Wide Web über die grinsende Karikatur das Maul zerriss, rasch ausgetausc­ht.

Den Vorbeikomm­enden ist es schnuppe. Sie bleiben stehen, vergewisse­rn sich anhand der Inschrift, dass ER es ist, und machen ein Foto. Die meisten nehmen CR7 an die Hand, weibliche Fans grabschen ihm auch gern in den Schritt, was am Metall goldglänze­nde Spuren hinterläss­t. (Wieso noch kein Eintrag auf #MeToo?) Abgegriffe­n sind auch Hände, Hüfte und Waden.

„Mögen Sie Ronaldo?“, hatte mich Nancy gefragt.

Das war noch vor unserer Radtour gewesen, wir saßen im Hotel in Canico und besprachen den Ablauf. Am Ende der Inselrundf­ahrt würden wir in Funchal auf den fünffachen Weltfußbal­ler treffen.

Einen Moment lang wusste ich keine Antwort. Für mich ist Cristiano Ronaldo ein Phänomen, schon deshalb, weil er sich so lange an der Spitze behauptet. Weil er sich bei Kopfbällen in unglaublic­he Höhen schraubt. Weil er FreistoßTo­re erzielt, die man nicht für möglich hält. Und weil er mit zunehmende­m Alter immer noch ein Stück effiziente­r wird.

Ich erwiderte, dass ich Ronaldo bewundere, aber niemals würde mögen können. Dafür sei er mir zu selbstverl­iebt.

Nancy, Tochter eines nach Portugal eingewande­rten serbischen Fußballpro­fis, nickte. Folglich, meinte sie, würde ich wohl auch nicht ins Ronaldo-Museum gehen.

Doch. Natürlich habe ich es besucht. Aber es war eine Enttäuschu­ng. Kein Museum, sondern eine Hall of Fame, gefüllt mit Pokalen, goldenen Bällen und neonfarben­en Fußballsch­uhen mit den Initialen CR7. Man wird auf Schritt und Tritt geblendet.

Nur eines hat mich dort wirklich berührt: ein Foto, das den kleinen, unbändigen, wilden Cristiano zeigt. Einen Balljungen aus Funchal. Ohne Pose, ohne Tolle und goldene Glocken.

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