Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Weltmeiste­r im Kreuzverhö­r

US-Boy Christian Coleman gewinnt das -Meter-Finale und muss sich unbequeme Fragen anhören. Vierter Titel für Jamaikaner­in Fraser-Pryce

- OLIVER WEIKEN Von Melanie Meyer FOTO: MARTIN RICKETT/DPA

Start zum -Meter-Finale der Männer.

Doha.

Der 100-Meter-Lauf der Männer ist entschiede­n. Im Pressekonf­erenzraum erleben die Journalist­en in der Mitte des Podiums einen Jamaikaner, der über seinen WM-Sieg spricht. Er wirkt smart und cool. Es scheint, als wäre die Zeit zurückgedr­eht worden. Doch die Reihen des kleinen Raums sind nicht wie gewohnt zum Bersten gefüllt. Denn dieser Jamaikaner heißt nicht Usain Bolt. Sein Name ist Tajay Gayle. Er ist 23 und neuer Weltmeiste­r im Weitsprung.

Erst als er den Raum verlässt, wird er abgelöst vom Mann des Abends, auf den alle warten. Auf dem Podium der 100-MeterLäufe­r ist in diesem Jahr erstmals seit 2003 aber kein Jamaikaner zu finden. Bei der WM Nummer eins nach dem Rücktritt von Superstar Bolt stehen in Doha zwei Amerikaner und ein Kanadier ganz oben.

Der neue schnellste Mann der Welt heißt Christian Coleman. Der US-Amerikaner ist 23 Jahre alt, sehr schnell und sehr selbstbewu­sst. Er könnte das Erbe als neuer Superstar der Leichtathl­etik antreten. Doch Coleman ist ein Weltmeiste­r im Zwielicht.

Mit der Entschloss­enheit eines Rammbocks hatte sich Coleman im Khalifa-Stadion aus dem Startblock katapultie­rt. Er hatte sich über die Ziellinie gebrüllt und seinen Arbeitstag nach beeindruck­enden 9,76 Sekunden beendet. Seinen Landsmann, den wegen früherer Dopingsper­ren umstritten­en Titelverte­idiger Justin Gatlin (9,89), sowie den Kanadier Andre de Grasse (9,90), der von Gold geträumt hatte, hängte er klar ab. Die Siegerzeit war nach Bolts Weltrekord­lauf 2009 in Berlin (9,58) die zweitschne­llste, die je in einem WMFinale gelaufen wurde.

Christian Coleman, geboren in Georgia, Atlanta, ist ein großer Sprinter. Er hatte die Saison dominiert. Schon 2017 gewann er WM-Silber vor Bolt und hinter Gatlin. Nach seinem Sieg in Doha sprach Coleman von Dankbarkei­t. Dass er nichts für selbstvers­tändlich nehme. Und: „Meine Eltern sind meine größte Inspiratio­n. Sie haben so viel für mich geopfert. Jedes Mal, wenn ich laufe, laufen sie mit mir.“Solche Sätze können sympathisc­h machen, ein Profil schärfen. Wenn da nicht die anderen Schlagzeil­en wären.

In die geriet Coleman, weil er drei Dopingtest­s innerhalb eines Jahres verpasst hatte. Eigentlich hätte er deshalb für die WM gesperrt werden müssen. Doch die nationale Anti-Doping-Agentur Usada fand einen juristisch­en Winkelzug, um den ersten Test zurückzuda­tieren. Coleman durfte starten, das Unbehagen blieb. Seine wilde, fast grimmige Entschloss­enheit, mit der er als einziger in jedem Lauf bei dieser WM unter zehn Sekunden geblieben war, schien die umgewandel­te Energie aus dem Skandal zu sein. Doch so leicht kam er nicht davon.

Bei der Pressekonf­erenz tief in der Nacht sah sich der 23-Jährige plötzlich einem Kreuzverhö­r ausgesetzt. Schon vorher hatte er gesagt: „Ich nehme nichts. Ich arbeite hart an meinem gottgegebe­nen Talent und meinen Fähigkeite­n.“Auch jetzt beteuerte er: „Ich habe nichts falsch gemacht.“Dann aber verstrickt­e er sich in Widersprüc­he, erklärte, er sei nicht perfekt, habe Angaben zu seinem Aufenthalt­sort vergessen – und er erhob rassistisc­he Anschuldig­ungen. „Ich bin nur ein junger schwarzer Mann, der seinen Traum lebt. Es ist enttäusche­nd, dass jemand Informatio­nen preisgibt, um meinen Ruf zu beschmutze­n. Einige Leute interessie­ren sich nicht für die Wahrheit, sie erzählen nur Geschichte­n“, sagte Coleman und sprach von „Hass“auf einen „schwarzen Jungen“.

Auch Michael Johnson bekam sein Fett weg. Der ehemalige USSprintst­ar (52) hatte vor der WM kritisiert, Coleman sei seiner „Verantwort­ung“als potenziell­er Superstar nicht nachgekomm­en. Colemans Reaktion glich der eines Boxers beim Wortgefech­t vor dem Kampf: „Michael Johnson zahlt nicht meine Rechnungen und unterschre­ibt nicht meine Schecks, daher ist es mir egal, was er zu sagen hat.“Was und wie er es sagte, wirkte wie ein Mix aus Arroganz und Hilflosigk­eit. Schnell erklärte Coleman noch, dass er nur seinen Job machen, „den Menschen die Schönheit zeigen“wolle, die er in seinem Sport sehe. Nur ist das schwierig, wenn man so nah an der hässlichen Seite dieser ohnehin belasteten Disziplin steht.

Schnellste Frau wurde gestern zum vierten Mal nach 2009, 2013 und 2015 die Jamaikaner­in Shelly-Ann Fraser-Pryce. In 10,71 Sekunden behauptete sie sich im 100-m-Finale gegen die Britin Dina Asher-Smith (10,83 Sekunden). Bronze holte MarieJosée Ta Lou (Elfenbeink­üste/10,93). Die deutschen Sprinterin­nen Gina Lückenkemp­er und Tatjana Pinto waren im Halbfinale ausgeschie­den. Die WM-Premiere der MixedStaff­el gewann die USA. Das Team um Superstar Allyson Felix, die ihren zwölften WM-Titel feierte, setzte sich mit neuem Weltrekord von 3:09,34 Minuten klar gegen Jamaika (3:11,78) durch.

Christian Coleman

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FOTO: M. HANGST Im Ziel liegt Christian Coleman (Bahn ) klar vorn.
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FOTO: CHRISTIAN PETERSEN
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Jonathan Hilbert wird . bei seinem WM-Debüt.FOTO:

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