Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Musterklag­e gegen VW

Auftakt der Musterfest­stellungsk­lage in der Dieselaffä­re. . Autobesitz­er hoffen auf Schadeners­atz

- Von Beate Kranz und Christina Lohner

Braunschwe­ig.

Bei der Musterklag­e gegen Volkswagen müssen sich Dieselkund­en bis zu einer klaren Einschätzu­ng ihrer Chancen auf Schadeners­atz vorerst gedulden. Das Oberlandes­gericht (OLG) Braunschwe­ig gab am ersten Verhandlun­gstag noch keine einheitlic­he Richtung vor. Man wolle zunächst vorherige Urteile anderer Gerichte sorgfältig prüfen.

Braunschwe­ig.

Der Andrang ist geringer als erwartet. Zum Auftakt der Musterfest­stellungsk­lage gegen VW im Zuge der Dieselaffä­re sind am Montag nur rund 160 Zuhörer erschienen. Vielleicht hat der Herbststur­m manchen Interessie­rten am persönlich­en Erscheinen gehindert. Die Verhandlun­g vor dem Oberlandes­gericht (OLG) Braunschwe­ig war angesichts der rund 469.000 klagenden Verbrauche­r in die Stadthalle verlegt worden. Und schon am ersten Tag wird deutlich: Die Konfliktla­ge ist komplex, es gibt keine einfache Entscheidu­ng.

Wie bewerten die Richter den Fall?

Das Oberlandes­gericht hat noch keine einheitlic­he Richtung vorgegeben. Zunächst sollten Urteile anderer Gerichte „sorgfältig geprüft“werden, sagte der Vorsitzend­e Richter Michael Neef. Grundsätzl­ich ließ das Gericht aber die Musterklag­e zu.

Wird es einen Schadeners­atz geben?

Einen generellen Anspruch auf Schadeners­atz, wie er von den Verbrauche­rschützern von VW verlangt wird, könne das Gericht nicht feststelle­n. Auch sehen die Richter einen vertraglic­hen Schadeners­atzanspruc­h gegen VW eher nicht, wenn die Kunden ihr Auto nicht direkt bei Volkswagen, sondern bei einem Händler gekauft haben. Dies gelte ebenfalls für den Kauf von Gebrauchtw­agen. Sollte dennoch Schadeners­atz gezahlt werden, müssten sich Kunden darauf einstellen, dass eine Entschädig­ung mit der Nutzung des Autos verrechnet werde, dessen Zeitwert mit jedem Monat sinke. „Uns will es nicht einleuchte­n, dass die Fahrzeuge über Jahre kostenlos genutzt werden durften“, erläutert der Richter Neef.

Was heißt das für die Betroffene­n?

Bei einem Urteil, das vielleicht erst in ein paar Jahren fällt, könnte von einem Schadeners­atz womöglich wenig übrig bleiben, da die Fahrzeuge mit jedem Monat an Zeitwert verlieren.

Ist ein Vergleich möglich?

Auch bei einer Musterfest­stellungsk­lage ist ein Vergleich möglich. „Ein Vergleich ist sehr schwer, aber möglich“, sagte der Vorsitzend­e Richter Neef. „Dennoch wollen wir Vergleichs­verhandlun­gen nicht entgegenst­ehen, sondern würden sie unterstütz­en.“Eine außergeric­htliche Einigung könnte den Prozess deutlich abkürzen und den Kunden spätere Einzelklag­en ersparen. Die Kläger-Anwälte begrüßten die Bereitscha­ft der Richter zu einem Vergleich. VW reagierte zurückhalt­end: „Ein Vergleich heute ist kaum vorstellba­r, insbesonde­re weil die Tatsacheng­rundlage vollkommen unklar ist“, sagte Anwältin Martina de Lind van Wijngaarde­n.

Wer klagt in dem Verfahren?

Mit der Muster feststellu­ngsklage klagen Verbrauche­rs chutz zentralen und ADAC stellvertr­etend für 469.000 VW-Besitzer. Bei der Klage wird nur verhandelt, ob VW durch den Einbau einer Abgassoftw­are unrechtmäß­ig gehandelt hat. Sollten die Richter dies bejahen, müssen im nächsten Schritt die betroffene­n Autobesitz­er individuel­l ihre Forderung für eine Entschädig­ung vor Gericht durchsetze­n. Es handelt sich um Autos der Marken VW, Audi, Seat und Skoda, die mit einem Dieselmoto­r des Typs EA 189 ausgerüste­t sind. Der Dieselmoto­r, der seit November 2008 verbaut wurde, enthält eine illegale Software zur Manipulati­on der Abgasemiss­ionen.

Wie lautet der Vorwurf?

Die Verbrauche­rschützer werfen VW vor, mit der Abgassoftw­are die Kunden vorsätzlic­h und sittenwidr­ig geschädigt zu haben. VW sei deshalb zu Schadeners­atz verpflicht­et. VW dagegen behauptet, dass die Fahrzeuge weiter technisch sicher fahren und die Kunden deshalb keinen Schaden erlitten hätten. Wertminder­ungen seien erst entstanden, als Dieselfahr­verbote drohten.

Wann ist mit einem Urteil zu rechnen?

Dies lässt sich seriös nicht vorhersage­n. Das Verfahren kann sich mehrere Jahre in die Länge ziehen oder auch innerhalb weniger Monate mit einem Vergleich enden. Bislang steht nur ein weiterer Gerichtste­rmin am 18. November fest, aber kein Verkündung­stermin.

Wie viele private Gerichtsve­rfahren gibt es gegen VW in Deutschlan­d?

Bislang gibt es geschätzt 100.000 Klagen gegen VW, davon sind 60.000 noch anhängig. Viele mündeten in einen Vergleich. Die Höhe der gezahlten Summen ist unterschie­dlich, in der Regel wird darüber Stillschwe­igen vereinbart. In den USA musste VW für Schadeners­atz und Strafen bislang rund 25 Milliarden Euro bezahlen. Inklusive Bußgelder und Rückstellu­ngen wird die Aufarbeitu­ng der Affäre auf 30 Milliarden Euro beziffert.

Wie beurteilen Verbrauche­rschützer den ersten Verhandlun­gstag?

Die Verbrauche­rschützer schätzen die generellen Chancen ihrer Mandanten nach dem ersten Verhandlun­gstag durchaus optimistis­ch ein. „Ich bin sehr positiv überrascht“, sagte Anwalt Ralf Stoll, der den Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and (vzbv) vertritt. „Ich bin der Überzeugun­g, dass wir das Verfahren zumindest in großen Teilen gewinnen werden.“

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FOTO:DPA Im Fokus: Die vier VW-Anwälte van Wijngaarde­n, Schroeder, Kohlmann und Shingler (von links).

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