Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Musterklage gegen VW
Auftakt der Musterfeststellungsklage in der Dieselaffäre. . Autobesitzer hoffen auf Schadenersatz
Braunschweig.
Bei der Musterklage gegen Volkswagen müssen sich Dieselkunden bis zu einer klaren Einschätzung ihrer Chancen auf Schadenersatz vorerst gedulden. Das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig gab am ersten Verhandlungstag noch keine einheitliche Richtung vor. Man wolle zunächst vorherige Urteile anderer Gerichte sorgfältig prüfen.
Braunschweig.
Der Andrang ist geringer als erwartet. Zum Auftakt der Musterfeststellungsklage gegen VW im Zuge der Dieselaffäre sind am Montag nur rund 160 Zuhörer erschienen. Vielleicht hat der Herbststurm manchen Interessierten am persönlichen Erscheinen gehindert. Die Verhandlung vor dem Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig war angesichts der rund 469.000 klagenden Verbraucher in die Stadthalle verlegt worden. Und schon am ersten Tag wird deutlich: Die Konfliktlage ist komplex, es gibt keine einfache Entscheidung.
Wie bewerten die Richter den Fall?
Das Oberlandesgericht hat noch keine einheitliche Richtung vorgegeben. Zunächst sollten Urteile anderer Gerichte „sorgfältig geprüft“werden, sagte der Vorsitzende Richter Michael Neef. Grundsätzlich ließ das Gericht aber die Musterklage zu.
Wird es einen Schadenersatz geben?
Einen generellen Anspruch auf Schadenersatz, wie er von den Verbraucherschützern von VW verlangt wird, könne das Gericht nicht feststellen. Auch sehen die Richter einen vertraglichen Schadenersatzanspruch gegen VW eher nicht, wenn die Kunden ihr Auto nicht direkt bei Volkswagen, sondern bei einem Händler gekauft haben. Dies gelte ebenfalls für den Kauf von Gebrauchtwagen. Sollte dennoch Schadenersatz gezahlt werden, müssten sich Kunden darauf einstellen, dass eine Entschädigung mit der Nutzung des Autos verrechnet werde, dessen Zeitwert mit jedem Monat sinke. „Uns will es nicht einleuchten, dass die Fahrzeuge über Jahre kostenlos genutzt werden durften“, erläutert der Richter Neef.
Was heißt das für die Betroffenen?
Bei einem Urteil, das vielleicht erst in ein paar Jahren fällt, könnte von einem Schadenersatz womöglich wenig übrig bleiben, da die Fahrzeuge mit jedem Monat an Zeitwert verlieren.
Ist ein Vergleich möglich?
Auch bei einer Musterfeststellungsklage ist ein Vergleich möglich. „Ein Vergleich ist sehr schwer, aber möglich“, sagte der Vorsitzende Richter Neef. „Dennoch wollen wir Vergleichsverhandlungen nicht entgegenstehen, sondern würden sie unterstützen.“Eine außergerichtliche Einigung könnte den Prozess deutlich abkürzen und den Kunden spätere Einzelklagen ersparen. Die Kläger-Anwälte begrüßten die Bereitschaft der Richter zu einem Vergleich. VW reagierte zurückhaltend: „Ein Vergleich heute ist kaum vorstellbar, insbesondere weil die Tatsachengrundlage vollkommen unklar ist“, sagte Anwältin Martina de Lind van Wijngaarden.
Wer klagt in dem Verfahren?
Mit der Muster feststellungsklage klagen Verbrauchers chutz zentralen und ADAC stellvertretend für 469.000 VW-Besitzer. Bei der Klage wird nur verhandelt, ob VW durch den Einbau einer Abgassoftware unrechtmäßig gehandelt hat. Sollten die Richter dies bejahen, müssen im nächsten Schritt die betroffenen Autobesitzer individuell ihre Forderung für eine Entschädigung vor Gericht durchsetzen. Es handelt sich um Autos der Marken VW, Audi, Seat und Skoda, die mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgerüstet sind. Der Dieselmotor, der seit November 2008 verbaut wurde, enthält eine illegale Software zur Manipulation der Abgasemissionen.
Wie lautet der Vorwurf?
Die Verbraucherschützer werfen VW vor, mit der Abgassoftware die Kunden vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt zu haben. VW sei deshalb zu Schadenersatz verpflichtet. VW dagegen behauptet, dass die Fahrzeuge weiter technisch sicher fahren und die Kunden deshalb keinen Schaden erlitten hätten. Wertminderungen seien erst entstanden, als Dieselfahrverbote drohten.
Wann ist mit einem Urteil zu rechnen?
Dies lässt sich seriös nicht vorhersagen. Das Verfahren kann sich mehrere Jahre in die Länge ziehen oder auch innerhalb weniger Monate mit einem Vergleich enden. Bislang steht nur ein weiterer Gerichtstermin am 18. November fest, aber kein Verkündungstermin.
Wie viele private Gerichtsverfahren gibt es gegen VW in Deutschland?
Bislang gibt es geschätzt 100.000 Klagen gegen VW, davon sind 60.000 noch anhängig. Viele mündeten in einen Vergleich. Die Höhe der gezahlten Summen ist unterschiedlich, in der Regel wird darüber Stillschweigen vereinbart. In den USA musste VW für Schadenersatz und Strafen bislang rund 25 Milliarden Euro bezahlen. Inklusive Bußgelder und Rückstellungen wird die Aufarbeitung der Affäre auf 30 Milliarden Euro beziffert.
Wie beurteilen Verbraucherschützer den ersten Verhandlungstag?
Die Verbraucherschützer schätzen die generellen Chancen ihrer Mandanten nach dem ersten Verhandlungstag durchaus optimistisch ein. „Ich bin sehr positiv überrascht“, sagte Anwalt Ralf Stoll, der den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) vertritt. „Ich bin der Überzeugung, dass wir das Verfahren zumindest in großen Teilen gewinnen werden.“