Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Ohne Geld um die Welt
Große Reise mit ganz kleinem Budget – davon versprechen sich viele Aufregung. Doch der Widerstand wächst
Berlin.
Joey Kelly liebt die Herausforderung: Wettlauf zum Südpol, Marathon durch die kalifornische Wüstenhitze – all das kann der Musiker und Extremsportler auf seiner Was-ichim-Leben-tun-will-Liste abhaken. Sein jüngstes Abenteuer: Mit seinem Sohn Luke reiste der 46-Jährige von Berlin nach China, in einem 50 Jahre alten VW-Bus. Während andere bei ihrer Reiseplanung Schwierigkeiten zu vermeiden suchen, baute Kelly sie bewusst ein. „Wir starten ohne Geld und ohne Essen. Das heißt, dass wir uns alles erarbeiten oder erbetteln müssen“, kündigte er bei „Stern TV“an. Unter anderem sollte das Geld mit dem Verkauf alter Kelly-Family-Fanartikel eingenommen werden.
Wie groß der Bedarf in Transitländern wie Weißrussland oder Kasachstan an T-Shirts mit Aufdrucken der singenden Großfamilie war? Kelly kann noch nicht darüber sprechen – die Exklusivrechte an seiner „Challenge“liegen bei „Stern TV“, erklärt sein Manager. Sicher ist: Kelly bedient einen Trend. Wer es sich leisten kann, geht bewusst mit Minimalbudget auf Abenteuerreise durch ferne Länder.
Denn Reisen hat in Zeiten von Kreditkarten, Smartphone und Google Pay viel von seinem Nervenkitzel verloren. Selbst in entlegensten Winkeln lässt sich meist mit wenigen Klicks ein angenehmes Hotel buchen und ein Hamburgerlokal verorten. „Für viele ist die Minimal-Budget-Reise eine Art Kick, eine Rekordjagd“, erklärt der Tourismusforscher Jürgen Schmude – die perfekte Abgrenzung zu Wellness-Touristen und Kreuzfahrern. Aufmerksamkeit ist nach solchen Reisen sicher.
Christopher Schacht (25) hat ein Buch über seinen Trip mit leeren Taschen geschrieben, den Bestseller „Mit 50 Euro um die Welt“(Adeo-Verlag). Mit nichts ausgestattet als „Flexibilität, Charme und Arbeitswillen“lebte er seinen Erzählungen nach bei Ureinwohnern und Drogendealern und verdiente sich in Ländern wie Indien, den Philippinen, Pakistan und Guyana seinen Lebensunterhalt als Goldwäscher, Schleusenwart, Babysitter und Fotomodell. Der Reiz sei für ihn, dass das kleine Budget ihn zwinge, näher an den Menschen zu sein, erklärt er unserer Redaktion. „Ich esse das, was auch alle Leute vor Ort essen. Und ich liebe es. Das Gleiche gilt für meinen Schlafplatz, meine Fortbewegung.“Damit das überhaupt gehe, müsse er mit den Leuten vor Ort reden und an Orte gehen, die Pauschaltouristen verborgen blieben. So seien zahlreiche Freundschaften entstanden.
Viele bewundern Kelly oder Schacht für ihren Mut. Doch nicht alle Reaktionen sind wie erhofft: „Ich kenne Herrn Kelly nicht persönlich, aber wenn er gesponsert durch Länder wie Kasachstan reist, ohne dort einen Cent lassen zu wollen, hat er sein Hirn offenbar ausgeschaltet“, sagt Tourismusexperte Schmude. „Ich halte es für pervers, als Angehöriger eines wohlhabenden Landes ganz auf die Gastfreundschaft des bereisten Landes zu setzen und dort sogar zu betteln.“Schließlich sei Tourismus für viele entwicklungsschwächere Länder ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die Zunahme von Reisenden mit Minimalbudget führe dazu, dass traditionell gastfreundliche Länder bereits ihr Verhalten überdenken würden. In Thailand werden Einreisende inzwischen nach ihren finanziellen Mitteln befragt. Auf Bali wehrt man sich gegen westliche Touristen, die Musik oder Bilder verkaufen wollen oder auch ganz unverblümt betteln: Gegen die sogenannten Begpacker (englisch to beg = betteln) werden Platzverweise verhängt. Aber auch das Jobben unterwegs sieht Schmude kritisch: „Wer sich etwa als Erntehelfer verdingt, muss sich bewusst machen, dass er dadurch mitunter Einheimische verdrängt.“
Eine solche Verdrängung will Schacht nicht bemerkt haben: „Auf den Fidschi-Inseln habe ich eine Europäerin erlebt, die im Park fleißig die Gartenarbeit erledigte, während fünf Fidschi-Männer in Gärtnerkleidung daneben ein Nickerchen gemacht haben.“Zudem spende er 80 Prozent der Bucheinnahmen. „Großzügigkeit macht reich“, sagt er. „Das gilt auch für Leute in den Ländern, die aus freien Stücken Gastfreundschaft anbieten.“
„Auf Gastfreundschaft verlassen, ist pervers“