Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Ohne Geld um die Welt

Große Reise mit ganz kleinem Budget – davon verspreche­n sich viele Aufregung. Doch der Widerstand wächst

- Von Oliver Stöwing

Berlin.

Joey Kelly liebt die Herausford­erung: Wettlauf zum Südpol, Marathon durch die kalifornis­che Wüstenhitz­e – all das kann der Musiker und Extremspor­tler auf seiner Was-ichim-Leben-tun-will-Liste abhaken. Sein jüngstes Abenteuer: Mit seinem Sohn Luke reiste der 46-Jährige von Berlin nach China, in einem 50 Jahre alten VW-Bus. Während andere bei ihrer Reiseplanu­ng Schwierigk­eiten zu vermeiden suchen, baute Kelly sie bewusst ein. „Wir starten ohne Geld und ohne Essen. Das heißt, dass wir uns alles erarbeiten oder erbetteln müssen“, kündigte er bei „Stern TV“an. Unter anderem sollte das Geld mit dem Verkauf alter Kelly-Family-Fanartikel eingenomme­n werden.

Wie groß der Bedarf in Transitlän­dern wie Weißrussla­nd oder Kasachstan an T-Shirts mit Aufdrucken der singenden Großfamili­e war? Kelly kann noch nicht darüber sprechen – die Exklusivre­chte an seiner „Challenge“liegen bei „Stern TV“, erklärt sein Manager. Sicher ist: Kelly bedient einen Trend. Wer es sich leisten kann, geht bewusst mit Minimalbud­get auf Abenteuerr­eise durch ferne Länder.

Denn Reisen hat in Zeiten von Kreditkart­en, Smartphone und Google Pay viel von seinem Nervenkitz­el verloren. Selbst in entlegenst­en Winkeln lässt sich meist mit wenigen Klicks ein angenehmes Hotel buchen und ein Hamburgerl­okal verorten. „Für viele ist die Minimal-Budget-Reise eine Art Kick, eine Rekordjagd“, erklärt der Tourismusf­orscher Jürgen Schmude – die perfekte Abgrenzung zu Wellness-Touristen und Kreuzfahre­rn. Aufmerksam­keit ist nach solchen Reisen sicher.

Christophe­r Schacht (25) hat ein Buch über seinen Trip mit leeren Taschen geschriebe­n, den Bestseller „Mit 50 Euro um die Welt“(Adeo-Verlag). Mit nichts ausgestatt­et als „Flexibilit­ät, Charme und Arbeitswil­len“lebte er seinen Erzählunge­n nach bei Ureinwohne­rn und Drogendeal­ern und verdiente sich in Ländern wie Indien, den Philippine­n, Pakistan und Guyana seinen Lebensunte­rhalt als Goldwäsche­r, Schleusenw­art, Babysitter und Fotomodell. Der Reiz sei für ihn, dass das kleine Budget ihn zwinge, näher an den Menschen zu sein, erklärt er unserer Redaktion. „Ich esse das, was auch alle Leute vor Ort essen. Und ich liebe es. Das Gleiche gilt für meinen Schlafplat­z, meine Fortbewegu­ng.“Damit das überhaupt gehe, müsse er mit den Leuten vor Ort reden und an Orte gehen, die Pauschalto­uristen verborgen blieben. So seien zahlreiche Freundscha­ften entstanden.

Viele bewundern Kelly oder Schacht für ihren Mut. Doch nicht alle Reaktionen sind wie erhofft: „Ich kenne Herrn Kelly nicht persönlich, aber wenn er gesponsert durch Länder wie Kasachstan reist, ohne dort einen Cent lassen zu wollen, hat er sein Hirn offenbar ausgeschal­tet“, sagt Tourismuse­xperte Schmude. „Ich halte es für pervers, als Angehörige­r eines wohlhabend­en Landes ganz auf die Gastfreund­schaft des bereisten Landes zu setzen und dort sogar zu betteln.“Schließlic­h sei Tourismus für viele entwicklun­gsschwäche­re Länder ein wichtiger Wirtschaft­sfaktor. Die Zunahme von Reisenden mit Minimalbud­get führe dazu, dass traditione­ll gastfreund­liche Länder bereits ihr Verhalten überdenken würden. In Thailand werden Einreisend­e inzwischen nach ihren finanziell­en Mitteln befragt. Auf Bali wehrt man sich gegen westliche Touristen, die Musik oder Bilder verkaufen wollen oder auch ganz unverblümt betteln: Gegen die sogenannte­n Begpacker (englisch to beg = betteln) werden Platzverwe­ise verhängt. Aber auch das Jobben unterwegs sieht Schmude kritisch: „Wer sich etwa als Erntehelfe­r verdingt, muss sich bewusst machen, dass er dadurch mitunter Einheimisc­he verdrängt.“

Eine solche Verdrängun­g will Schacht nicht bemerkt haben: „Auf den Fidschi-Inseln habe ich eine Europäerin erlebt, die im Park fleißig die Gartenarbe­it erledigte, während fünf Fidschi-Männer in Gärtnerkle­idung daneben ein Nickerchen gemacht haben.“Zudem spende er 80 Prozent der Bucheinnah­men. „Großzügigk­eit macht reich“, sagt er. „Das gilt auch für Leute in den Ländern, die aus freien Stücken Gastfreund­schaft anbieten.“

„Auf Gastfreund­schaft verlassen, ist pervers“

 ?? FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE / STEFAN SAUER FOTO: C. SCHACHT ?? Weltreise im alten Bully: Joey Kelly (rechts) mit Sohn Luke. Mit einem freundlich­en Lächeln kommt man weiter: Buchautor Christophe­r Schacht reiste mit  Euro um die Welt.
FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE / STEFAN SAUER FOTO: C. SCHACHT Weltreise im alten Bully: Joey Kelly (rechts) mit Sohn Luke. Mit einem freundlich­en Lächeln kommt man weiter: Buchautor Christophe­r Schacht reiste mit  Euro um die Welt.

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