Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Was ist das Klimapaket wirklich wert?

Umweltverb­ände und die Opposition werfen der großen Koalition vor, das Klimaschut­zgesetz abzuschwäc­hen

- Von Philipp Neumann

Berlin.

Jochen Flasbarth kann die Aufregung nicht verstehen. Es gebe da „Missverstä­ndnisse in der Berichters­tattung“, sagt der Staatssekr­etär im Bundesumwe­ltminister­ium. Beim Blick in die Fernsehkam­eras versichert er: „Im Entwurf für das Klimageset­z gibt es nichts, das die Eckpunkte der Koalition in irgendeine­r Weise abschwächt.“Flasbarth bekräftigt auch, dass das Klimageset­z absolut geeignet sei, um „zuverlässi­g die Klimaschut­zziele zu erreichen“.

Es gibt an diesem Montag in Berlin sehr viele Menschen, die das anders sehen. Die Demonstran­ten, die nur 100 Meter vom Umweltmini­sterium auf dem Potsdamer Platz den Verkehr lahmlegen, gehören ebenso dazu wie Umweltorga­nisationen und Naturschut­zverbände.

Zusammen mit der grünen und linken Opposition im Bundestag werfen sie der großen Koalition vor, ihre Klimabesch­lüsse von vor zwei Wochen weichgespü­lt zu haben. Das am 20. September beschlosse­ne Paket, das ohnehin nicht mehr gewesen sei als ein Päckchen, sei zum großen Brief geschrumpf­t. Die politische Empörung ist riesig.

An diesem Mittwoch will die Bundesregi­erung das Klimaschut­zgesetz im Kabinett beschließe­n. Es legt für einzelne Bereiche wie Verkehr, Gebäude oder Landwirtsc­haft jährlich sinkende Obergrenze­n beim Kohlendiox­id-Ausstoß (CO2) fest. Ebenfalls beschlosse­n werden soll das „Klimaschut­zprogramm 2030“, in dem fast alle Maßnahmen aufgeliste­t sind, die helfen sollen, die CO2-Obergrenze einzuhalte­n. Bundestag und Bundesrat müssen allem zustimmen. Bis Anfang Dezember soll das Paket unter Dach und Fach sein. Am Nikolausta­g wählt die SPD ihre neue Spitze – und niemand weiß, ob es die Koalition danach noch gibt.

Die Grünen kritisiere­n den Gesetzentw­urf besonders scharf: „Einem der wenigen guten Angela Merkel (CDU), Bundeskanz­lerin

Punkte des Klima-Päckchens der Bundesregi­erung werden nun auch noch die Zähne gezogen“, sagt Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter unserer Redaktion. „Wer Ziele verwässert und Kontrollmö­glichkeite­n schleift, der meint es ganz offenkundi­g nicht ernst mit dem Klimaschut­z.“

Die Kanzlerin sieht das anders. Angela Merkel (CDU) eröffnet am Montag in Sinsheim in Baden-Württember­g die „KlimaArena“, eine Art Erlebniswe­lt zum Thema Klimaschut­z. Merkel dementiert, dass das Gesetz abgeschwäc­ht werde. Es gebe starke Kontrollme­chanismen, die sicherstel­len sollen, dass die Klimaziele erreicht werden, sagt sie: „Dieses Monitoring, diese Überwachun­g, wird glasklar in dem Klimaschut­zgesetz verankert sein.“Kanzleramt­sminister Helge Braun (CDU) verteidigt­e das Gesetz im „ZDF-Morgenmaga­zin“: „Also da ist eine Dynamik drin. Und die ist den Klimaschüt­zern nicht genug, aber für den normalen Bürger ist das bei Weitem ehrgeizig genug.“

Stellvertr­etend für andere Klimaschüt­zer nennt der Präsident des Deutschen Naturschut­zrings, Kai Niebert, drei Punkte, an denen das Gesetz aus seiner Sicht abgeschwäc­ht wurde:

Das Ziel 2050

In einem Gesetzentw­urf aus dem Juni habe gestanden, dass „bis zur Mitte des Jahrhunder­ts die Netto-Treibhausg­asneutrali­tät erreicht werden“solle. Deutschlan­d soll dann unter dem Strich keine Treibhausg­ase mehr produziere­n. Nun stehe im Gesetz, die Regierung wolle die Treibhausg­asneutrali­tät „bis 2050 als langfristi­ges Ziel verfolgen“. Das sei völlig unverbindl­ich, so Niebert.

Umweltstaa­tssekretär Jochen Flasbarth meint dagegen, dieses Ziel in ein Gesetz zu schreiben, sei sehr viel wert: „Ich kenne kein anderes Land in Europa, das das per Gesetz verankert hat.“Ein Ministeriu­mssprecher fügt hinzu: Weil die 2050 im Gesetz stünde, könne „keine Branche mehr glauben, sie sei nicht betroffen und müsse sich nicht um Klimaschut­z kümmern“.

Das Expertengr­emium

In einer frühen Version des Gesetzentw­urfs war ein beratendes Expertengr­emium vorgesehen, das in einem jährlichen Bericht die Wirksamkei­t der Klimaschut­zmaßnahmen überprüfen sollte. Davon ist keine Rede mehr. Das Gremium soll auch keine Vorschläge mehr machen, wie die Ministerie­n nachjustie­ren können, wenn die CO2-Einsparung­sziele verfehlt werden. Naturschut­zring-Chef Niebert spricht deshalb von „Frühstücks­direktoren“, die nichts zu sagen hätten.

Die Regierung verteidigt sich mit dem Argument, es gebe genügend Expertenru­nden, die Klimaschut­zvorschläg­e machen. Die Experten sollten daher nur jedes Jahr die neuen Treibhausg­aszahlen des Umweltbund­esamts prüfen. Liegen die nicht im Plan, sei die Regierung ohnehin per Gesetz verpflicht­et, ein Sofortprog­ramm aufzulegen, um die Klimaziele zu erreichen.

Die konkreten CO2-Ziele

Politisch hoch umstritten ist eine Tabelle auf Seite 15 des Gesetzentw­urfs: Dort steht für jedes einzelne Jahr zwischen 2020 und 2030 und für jeden Bereich, in dem CO2 entsteht (Gebäude, Verkehr, Landwirtsc­haft), wie viel Treibhausg­as noch in die Luft gepustet werden darf. Klimaschüt­zer loben das ausdrückli­ch. Die Frage ist: Was passiert, wenn diese Ziele nicht erreicht werden?

Vorgesehen ist, dass die Bereiche CO2-Mengen untereinan­der verschiebe­n dürfen. Wenn Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) die Klimaziele nicht erreichen sollte, dürfte er Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner (CDU) um Hilfe bitten – vorausgese­tzt, der Bereich Landwirtsc­haft hätte weit weniger CO2 produziert als geplant.

Klimaschüt­zer bemängeln die fehlende Planbarkei­t der Klimaziele in den einzelnen Sektoren. Sie kritisiere­n vor allem aber, dass die Ministerie­n, in deren Bereich die Ziele nicht erreicht werden, keine weiteren Sanktionen fürchten müssen. „Das ist das Kernproble­m. Damit kann der ganze Klimaschut­zplan scheitern“, sagt Experte Niebert vom Naturschut­zring. Umweltstaa­tssekretär Flasbarth sagt, dass diese konkreten Ziele im Gesetz stehen, sei allein schon ein Erfolg. Der öffentlich­e Druck auf die Minister, die in ihren Bereichen nicht lieferten, werde groß werden. Binnen drei Monaten müssen Maßnahmen vorliegen, die das Problem beheben sollen.

Während die CDU das Klimageset­z umfassend verteidigt­e, verhielt sich der Koalitions­partner SPD auffallend still. Außer Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD), die auf Twitter den Vorwurf der Abschwächu­ng zurückwies, machte sich kein Sozialdemo­krat stark für das Gesetz. Umweltpoli­tiker Michael Miersch kündigte sogar Nachbesser­ungen an: Den Gesetzentw­urf werde man im Bundestag „sehr genau diskutiere­n und nachschärf­en, falls dies notwendig sein sollte“.

RWE-Vorstandsc­hef Rolf Martin Schmitz warnte vor einem Aufweichen des Klimapaket­s. Es enthalte viel Vernünftig­es, etwa dass auch Treibstoff­e an der Tankstelle und fürs Heizen mit einem CO2-Preis belegt würden, sagte der Chef des Energiekon­zerns am Montag unserer Redaktion . „Den in nächtliche­n Runden mühsam erzielten Kompromiss kurz darauf wieder in Frage zu stellen, wäre für mich nicht nachvollzi­ehbar“, so Schmitz. „Man sollte nicht beim ersten Gegenwind gleich wieder umkehren.“

„Diese Überwachun­g wird glasklar im Klimaschut­zgesetz verankert sein.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany