Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Stahlwerk hat Durst wie eine mittlere Stadt
Eine Million Kubikmeter Saalewasser fließen pro Jahr in den Betrieb, der gar nicht am Fluss liegt
Unterwellenborn.
Als das heutige Stahlwerk Thüringen noch VEB Maxhütte hieß, führte der gen Saalfeld fließende Bach namens Weira selbst im Winter so warmes Wasser, dass es dampfte. Und für manchen Kumpel gab es Fisch außer der Reihe: Wo heute die Ruinen der einstigen Röstöfen als Denkmal zum Himmel ragen, wuchsen damals prächtige Karpfen in einem Teich heran – befüllt mit Saalewasser. Inzwischen bleibt die Weira dampflos temperiert, die Karpfen sind Geschichte. Ohne Saalewasser aber gäbe es auch heute keinen Stahl aus Unterwellenborn. Und das, obwohl der Fluss jenseits des Roten Bergs liegt, dessen Erz einst die Maxhütte gefüttert hatte.
Dort, Tauschwitz, saugen gewaltige Pumpen bis zu 220 Kubikmeter Wasser pro Stunde aus der Saale und schicken es durch eine mächtige Doppelröhre 170 Höhenmeter empor auf den Berg, von wo es im freien Gefälle gen Stahlwerks-Gelände fließt.
Gepumpt wird allerdings nur nachts und an den Wochenenden; in einem 10.000 Kubikmeter fassenden Speicher nahe der Schlackenhalde wird es zwischengelagert und von dort aus zur „Wasserwirtschaft“geführt, wo es riesige Filterbehälter passiert und über ein ganzes Netz von Leitungen im Unternehmen verteilt wird. Wozu es bei hier Verwendung findet, erfährt man am besten bei Torsten Carl, vor fast vierzig Jahren in der Maxhütte anfing und inzwischen als „Fachverantwortlicher Medien“der Herr über alles ist, was mit Wasser und Gasen im Stahlwerk zu tun hat. Mengenmäßig am stärksten genutzt wird das Nass der Saale für die Kühlung. Beginnend in der Stahlerzeugung, wo zunächst der flüssige Stahl mit etwa 1300 Grad Celsius in die Kupfer-Kokillen der Stranggussanlage fließt, die dabei mit Wasser benetzt werden, um sie schließlich aus den Gussformen entnehmen zu können. Das Kühlen sei aber auch wichtig, um das gewünschte Gefüge des Vorprodukts für das nachfolgende Walzen zu erreichen, erklärt Carl. Nicht zuletzt entfernt das Wasser den Zunder, einen Abbrand aus Eisenoxiden, der später in Absetzbecken geborgen und als wertvoller Rohstoff verkauft wird. Mit etwa 600 Grad Celsius erreichen die Vorblöcke entweder direkt aus der Kühlkammer der Gießerei oder nach dem Zwischenlagern wieder aufgewärmt die Walzstraße, wo sie die Walzgerüste teils mehrfach durchlaufen. Mit Wasser gekühlt werden hier nicht glühenden Stahlträger, sondern die Rollen in den Walzgerüsten, um deren formgebendes Profil zu erhalten.
Insgesamt liegt der Wasserverbrauch zu Kühlungszwecken im Stahlwerk bei rund 120 Kubikmeter pro Stunde. Zusammen mit dem Löschwassersystem, das sich bis zum einige Kilometer entfernten Stahllager erstreckt, benötigt die Stahlproduktion laut Carl rund eine Million Kubikmeter Saalewasser pro Jahr – so viel wie eine mittlere Stadt mit rund 20.000 Haushalten. Wobei die reichliche Hälfte als weiße Dampfschwaden in den Himmel entschwindet, während 450.000 Kubikmeter in die Weira entlassen werden – gereinigt und gemäß den strengen umweltrechtlichen Vorgaben fast identisch mit der natürlichen Bach-Temperatur. Zur Bestätigung tippt Torsten Carl auf die Anzeige des Kühlwasser-Ausflusses: 18 Grad. Die dürften es an diesem Spätsommermorgen auch im Oberlauf der Weira sein.
Als die Saale-Zuleitung 1948/49 in nur drei Monaten Bauzeit im Zuge der später in jedem DDR-Schulbuch verzeichneten Aktion „Max braucht Wasser“von rund 2700 Jungarbeitern, Studenten und Schülern verlegt wurde, bezweifelten viele Experten die Haltbarkeit der Anlage. Tatsächlich ist sie laut Carl erstaunlich wenig störanfällig. Außer an kleinere Reparaturen, das Erneuern der Pumpen und des SteigleitungsInneren 2004 und 2017 kann sich der Stahlwerk-Wassermeister nur an eine wirkliche Havarie erinnern. Im Jahr 2013 war es zu einem größeren Leck in der Hauptversorgungsleitung nach dem Pufferspeicher gekommen, was sogar zu einem Hangrutsch auf dem Werksgelände führte.
Wesentlich gravierender indes war eine andere Folge: Fünf Tage lang konnte das Unternehmen per Feuerwehr-Schläuchen aus Brunnen auf dem Werksgelände nur notversorgt werden und befand sich quasi im Leerlauf. Spätestens damals, so Carl, erinnerten sich alle Kollegen wieder, dass die Saale zum Stahlwerk gehört.
Erstaunlich solide: die Leitung von 1948