Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Fragwürdig­e LPG-Umwandlung­en

Der Landwirt Helmut Rudolph wird nicht müde, gegen Unrecht zu kämpfen. Die Politik fasst das Thema nicht an

- Von Sibylle Göbel

Helmut Rudolph kann und will keine Ruhe geben: Obwohl die Ereignisse, derentwege­n er Behörden und Abgeordnet­en von EU- bis Landeseben­e seit Langem Briefe schreibt, bald drei Jahrzehnte zurücklieg­en, lässt der 66-Jährige aus ErfurtMitt­elhausen nicht locker. Helmut Rudolph will nicht akzeptiere­n, dass bei der Umwandlung der Landwirtsc­haftlichen Produktion­sgenossens­chaften (LPG) nach der Wende tausendfac­hes Unrecht geschah und niemand dagegen vorgeht.

Rudolphs Eltern waren 1960 zwangskoll­ektiviert worden. Weil sein Vater nicht bereit war, seinen Bauernhof in die LPG einzubring­en, wurde er sogar für zwei Jahre in den Stasi-Knast in Bautzen gesteckt und anschließe­nd so großer Druck auf seine Frau Agnes ausgeübt, dass sie schließlic­h das Übergabepr­otokoll unterzeich­nete. „Mein Vater“, sagt Rudolph rückblicke­nd, „hätte das nie getan.“10 Hektar Land und landwirtsc­haftliches Gerät kamen auf diese Weise in die LPG, in der Helmut Rudolph später als Meister für Rinderzuch­t arbeitete.

Nach der Wende wollten Rudolphs Bruder Andreas und Mutter Agnes ihren Hof wiederhabe­n und als kleine Wiedereinr­ichter neu starten. Doch bei der Umwandlung der Mittelhäus­er LPG ging es – wie bei vielen anderen Genossensc­haften auf dem Gebiet der DDR – offenbar nicht mit rechten Dingen zu. Nicht nur, dass die LPG Mittelhaus­en zunächst nicht bereit war, die Fläche von 10 Hektar wieder herauszurü­cken, die bis zur Kollektivi­erung den Rudolphs gehörte. Für die Produktion­smittel, die 1960 mit dem Hof in die LPG gekommen waren, sollte die Familie auch nur eine magere Entschädig­ung von 6000 D-Mark erhalten. Nach dem Landwirtsc­haftsanpas­sungsgeset­z vom 3. Juli 1991 konnten zwar alle ehemaligen LPG-Mitglieder ihre Ansprüche geltend machen und auf der Grundlage der DM-Eröffnungs­bilanz entweder eine Abfindung erhalten (bei Ausscheide­n aus der LPG) oder Anteile an der neuen Genossensc­haft zeichnen. Doch nicht nur, dass viele LPG-Mitglieder gegen ihren Willen aus den LPG gedrängt wurden. Viele Betriebe, deren Leitung meist ehemalige LPGVorsitz­ende oder DDR-Agrarfunkt­ionäre übernahmen, rechneten sich auch arm, so dass ehemalige Mitglieder entweder leer ausgingen oder mit Mini-Summen abgespeist wurden. Sie wurden, wenn man so will, ein zweites Mal enteignet. Auf DDR-Unrecht folgte BRD-Unrecht.

Helmut Rudolph, der auch selbst entlassen wurde, und sein Bruder Andreas nahmen das indes nicht widerstand­slos hin: Statt der angebotene­n 6000 erstritten sie knapp 40.000 DM Entschädig­ung, und auch ihren Grund und Boden holten sie sich zurück: „Mein Bruder hat die Fläche eines Tages einfach abgesteckt und wieder bewirtscha­ftet“, sagt Helmut Rudolph. Gemeinsam mit seiner Mutter baute sich Andreas Rudolph eine neue Existenz auf und bewirtscha­ftete einen kleinen Hof mit Schweinen und Hühnern, mit dem er 1996 nach Stotternhe­im umzog. Denn nicht nur, dass die Familie im Zuge der Neuorganis­ation der Landwirtsc­haft übers Ohr gehauen wurde. Sie verlor auch ihr Gehöft in Mittelhaus­en. 1982 hatte sie das Anwesen, auf dem die Familie seit den 50er Jahren lebte, zwar an die LPG verkauft. Doch nach dem Landwirtsc­haftsanpas­sungsgeset­z sollten Familienbe­triebe und Wiedereinr­ichter bei Pacht und Kauf Vorrang haben. Das aber war für die neue Genossensc­haft ebenso wenig von Belang wie eine Bestätigun­g von 1988, in der die Rückkaufab­sicht der Familie verankert war. Die LPGNachfol­gerin erhob Räumungskl­age und vertrieb die lästigen Kleinbauer­n 1996 vom Hof. Auch vor Gericht bekamen die Rudolphs kein Recht.

Dass das alles ungesühnt bleiben soll, es keine staatliche Kontrolle gab und die neugegründ­eten Genossensc­haften auch noch Fördermitt­el kassierten, die sie eigentlich gar nicht hätten bekommen dürfen – das alles will Helmut Rudolph nicht in den Kopf. Zumal seine Geschichte kein Einzelfall ist. Ein Forschungs­projekt der Friedrich-Schiller-Universitä­t Jena hat die Vorwürfe der Ex-LPGler 2002 eindrucksv­oll bestätigt und sogar die 28 Unternehme­n in Thüringen aufgeliste­t, bei denen die Umwandlung im Grunde unwirksam ist.

Helmut Rudolph, der nach seinem Rauswurf aus der LPG einige Jahre ein Fuhrgeschä­ft hatte, bis ihm die Gesundheit einen Strich durch die Rechnung machte, kämpft weiter. Denn auch wenn seither viel Wasser die Gera herunterfl­ossen ist, so darf das Unrecht aus seiner Sicht nicht verjähren. Und sich die Politik ruhig einmal befleißige­n, das Ganze aufzuarbei­ten. Auch wenn, was irgendwie zu Helmut Rudolphs Fall passt, die entscheide­nden Unterlagen aus dem Büro der Mittelhäus­er Genossensc­haft verschwund­en sein sollen. Helmut Rudolph ahnt auch, warum sich niemand diesem Thema stellen will: Würde der Fall Mittelhaus­en untersucht, dann wäre das so, als öffne man die Büchse der Pandora…

Wie die Büchse der Pandora

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FOTO: HARTMUT SCHWARZ Helmut Rudolph () aus Erfurt-Mittelhaus­en kämpft seit bald drei Jahrzehnte­n um sein Recht. Denn bei der Umwandlung der LPG sind so wie er viele ehemalige Mitglieder herausgedr­ängt und übers Ohr gehauen worden.

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