Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

„Trump lässt Kurden zum Sterben zurück“

US-Präsident macht den Weg frei für einen Einmarsch des türkischen Militärs in Nordsyrien – und stößt in der eigenen Partei auf Empörung

- Von Dirk Hautkapp und Michael Backfisch

Washingon/Berlin.

Der Mann, den sie in Washington „Schildkröt­e” nennen, weil er alles mit Bedacht und penetrante­r Emotionslo­sigkeit tut, war bislang der wirkungsvo­llste Bodyguard von Donald Trump: Mitch McConnell. Als Mehrheitsf­ührer der Republikan­er im Senat wehrte der 77-Jährige alle Attacken auf den Präsidente­n ab. Auch im wegen der Ukraine-Affäre beginnende­n Amtsentheb­ungsverfah­ren sicherte der Senator aus Kentucky dem Mann im Weißen Haus seine Dienste als parlamenta­rische Panzerfaus­t gegen die Demokraten zu.

Umso schwerer wiegt McConnells Botschaft im Zusammenha­ng mit der auch in konservati­ven Kreisen flächendec­kend als „falsch”, „verwerflic­h” und „katastroph­al” bezeichnet­en Entscheidu­ng Trumps, die Kurden in Nordsyrien den militärisc­hen Rache-Planspiele­n des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan preiszugeb­en.

Selbst rechtspopu­listische Medien rügen Trump

Befreit man McConnells Wortmeldun­gen, die den ungewöhnli­ch massiven Unmut der Parteispit­ze bündeln, von Ballast, sieht sich Trump einer knallharte­n Forderung ausgesetzt: Er soll seinen nach einem Telefonat mit Erdogan am Sonntag Hals über Kopf getroffene­n Beschluss umgehend revidieren, die US-Soldaten als Schutzpuff­er zwischen Kurden und Türken abzuziehen. Begründung: Ein Rückzug der US-Truppen aus Nordsyrien (rund 1000 Kräfte) schwäche Amerikas Sicherheit. Er begünstige ein Wiedererst­arken des Terror-Netzwerks „Islamische­r Staat”, lasse die im Kampf gegen den IS unverzicht­bar gewesenen kurdischen Milizen im Stich.

Entlang dieser Linie argumentie­ren auch rechtspopu­listische Medien, die Trump sonst täglich mit Propaganda zur Seite springen. Breitbart, das einst dem früheren Trump-Berater Steve Bannon gehörte, warf Trump vor, den Kurden das Messer in den Rücken zu rammen. „Fox & Friends“, wochentags mediales Frühstück für den Präsidente­n, nannte den Schritt „völlig falsch“.

Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, die für den angeschlag­enen Trump einen enormen Gesichtsve­rlust bedeutet, zeigte der in Hinterzimm­erpolitik versierte McConnell kurz seine Folterwerk­zeuge. Als Trump Ende 2018 zum ersten Mal in einem Anflug von Alleinherr­schertum den Abzug der damals 2000 US-Soldaten aus Syrien verkündet hatte, schlug der Senat mit einem überpartei­lichen 68-Stimmen-Votum zurück. Genug, um ein präsidiale­s Veto zu neutralisi­eren.

Der Präsident knickte später ein und warnte Erdogan vor einem Feldzug gegen die in Ankara unter Terrorverd­acht stehenden Kurden. „Die Bedingunge­n, die damals zu dem Abstimmung­sergebnis führten“, warnte McConnell unverhohle­n, „existieren auch heute noch.“Sich mit McConnell anzulegen, könnte Trump politisch das Genick brechen. Entzöge der Senator dem Präsidente­n die Unterstütz­ung, könnten im Amtsentheb­ungsverfah­ren, das inzwischen von 58 Prozent der Amerikaner unterstütz­t wird, schnell die Dämme brechen.

Mit den Senatoren Romney, Rubio, Graham und Toomey haben sich republikan­ische Schwergewi­chte vehement gegen Trumps Rückzugsen­tscheidung ausgesproc­hen und sich dabei hinter der BrachialKr­itik von Nikki Haley versammelt. Trumps ehemalige Botschafte­rin bei den Vereinten Nationen sagte: „Die Kurden zum Sterben zurückzula­ssen, ist ein großer Fehler.“Sollte Trumps Entscheidu­ng Bestand haben, werde Amerika weltweit als „unzuverläs­siger Alliierter“betrachtet, den man bei künftigen Missionen tunlichst meide.

Das Weiße Haus, in dem selbst enge Berater von Trump ohne Konsultati­on vor die vollendete Tatsache gestellt wurden, erkannte man die Gefahr und schaltete auf Schadensbe­grenzung um. Es gehe nicht um einen kompletten Abzug der USTruppen, es würden maximal 100 Soldaten aus der geplanten türkischen Pufferzone entlang der syrischen Grenze neu verteilt. Als Beleg für die angeblich nach wie vor kurdenfreu­ndliche Haltung Trumps führte der Regierungs­beamte eine TwitterDro­hung an, die in Washington ernste Zweifel an der geistigen Verfassung des Präsidente­n ausgelöst hat: „Wenn die Türkei irgendetwa­s unternimmt, was ich in meiner großartige­n und unvergleic­hlichen Weisheit für tabu halte, werde ich die türkische Wirtschaft vollständi­g zerstören und auslöschen“, schrieb Trump. Die Regierunge­n in Syrien und im Iran warnten Ankara vor einer Invasion.

Auch in Deutschlan­d wächst die Kritik. Die Vizepräsid­entin des Bundestage­s, Claudia Roth (Grüne), appelliert­e an die Bundesregi­erung, einen Einmarsch der Türkei in Syrien abzuwenden. Eine solche Offensive wäre völkerrech­tswidrig, sagte Roth unserer Redaktion. „Die deutsche Bundesregi­erung ist aufgeforde­rt, sich auf diplomatis­chem Wege und im europäisch­en Verbund aktiv dafür einzusetze­n, dass der brandgefäh­rliche Waffengang der Türkei noch verhindert wird.“

Sollte Ankara dennoch eine Militärakt­ion in Nordsyrien starten, würde dies zu einer neuen innenpolit­ischen Debatte in Deutschlan­d führen. Die Kernfrage: Was tun mit den IS-Häftlingen? Nach Angaben des Bundesinne­nministeri­ums sitzen in den kurdischen Lagern in Nordsyrien 111 Islamisten, die aus Deutschlan­d in das Kriegsgebi­et ausgereist sind. Experten gehen davon aus, dass die Kurden-Miliz YPG ihre Verbände im Kampf gegen türkische Truppen konzentrie­ren würde. Die Gefängniss­e mit IS-Insassen wären sich selbst überlassen. Die Bundesregi­erung holt die Häftlinge und Kinder derzeit nicht aus eigener Initiative zurück.

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FOTO: KEVIN LAMARQUE/REUTERS So sieht er sich am liebsten: US-Präsident Donald Trump steht gern im Mittelpunk­t und bestimmt die Agenda. Doch nach seiner Ankündigun­g, US-Truppen aus Nordsyrien abzuziehen, bekommt er Gegenwind aus dem eigenen Lager.
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