Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Johnson schiebt Merkel den Schwarzen Peter zu

Die Gespräche zwischen London und der EU über ein Brexit-Abkommen scheinen endgültig gescheiter­t. Jetzt beginnen die Schuldzuwe­isungen

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Von einer Quadratur des Kreises war seit dem Brexit-Referendum 2016 oft die Rede: Die irische Grenzfrage ist beim geplanten britischen EU-Austritt der größte Stolperste­in. Seit mehr als drei Jahren brüten London und Brüssel über dem Dilemma. Diese Woche versuchen sie es erneut – unter massivem Zeitdruck vor dem EU-Gipfel nächste Woche und dem angekündig­ten BrexitTerm­in am 31. Oktober. Doch bereits am Dienstag kam ein herber Rückschlag. Der britische Sender Sky News berichtete unter Berufung auf Regierungs­kreise, London halte ein Abkommen unter Umständen nicht mehr für möglich. Begründet wurde diese Einschätzu­ng mit einem Telefonat zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Premier Boris Johnson. Merkel habe die neuen Vorschläge Johnsons abgelehnt und einen Deal als „äußerst unwahrsche­inlich“bezeichnet, so die inoffiziel­le Mitteilung. EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk sah darin ein „blame game“, also ein Schwarzer-Peter-Spiel, und warf Johnson per Twitter vor, gar keinen Deal zu wollen: „Was auf dem Spiel steht, ist nicht der Gewinn eines dummen SchwarzerP­eter-Spiels“, schrieb Tusk.

Warum könnte Johnson die Gespräche scheitern lassen?

Der britische Regierungs­chef will so schnell wie möglich eine Neuwahl. Das verwehrt ihm die Opposition bislang. Trotzdem ist die Regierung längst im Wahlkampfm­odus. Er hat daher einen Austritt am 31. Oktober, mit oder ohne Deal, zu seinem zentralen Wahlverspr­echen gemacht. Doch derzeit sieht es nicht so aus, als könnte er Wort halten. Beobachter glauben daher, es gehe Johnson nur noch darum, die Schuld für eine Verlängeru­ng anderen in die Schuhe zu schieben.

Wo liegt das Problem?

Mit dem Brexit entsteht auf der irischen Insel eine EU-Außengrenz­e zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland. Seit dem Karfreitag­sabkommen von 1998, mit dem der Bürgerkrie­g in der Region beendet wurde, ist die Trennlinie quasi unsichtbar. Die Insel soll nun nicht wieder durch Schlagbäum­e geteilt werden. Zudem könnten nach dem Brexit in Nordirland andere Produktsta­ndards und Zölle gelten. Die EU fürchtet eine offene „Hintertür“für minderwert­ige Ware.

Was besagt der Backstop?

Im Austrittsv­ertrag wurde eine Stufenlösu­ng vereinbart. Man will das Problem mit einem Abkommen über die künftigen Beziehunge­n lösen. Bis das steht, gilt eine Notklausel – der Backstop. Demnach bleibt Großbritan­nien in einem Zollgebiet mit der EU. Für Nordirland sollen EU-Binnenmark­tregeln gelten.

Warum ist das für Großbritan­nien ein Problem?

Als Teil einer Zollunion könnte Großbritan­nien nach dem EUAustritt bis auf Weiteres keine eigenen Handelsabk­ommen schließen. Darüber hinaus hat die frühere britische Regierung zugesagt, EU-Standards nicht zu unterbiete­n. Für Johnson ist der Backstop eine dauerhafte Fessel, die er loswerden will.

Was will Johnson stattdesse­n?

In Nordirland sollen vorerst weiter EU-Lebensmitt­el- und Produktsta­ndards gelten. Doch will Johnson, dass Großbritan­nien einschließ­lich Nordirland­s die EU-Zollunion verlässt. Damit entstünde eine Zollgrenze, und aus EU-Sicht bedeutet das Kontrollen. Johnson betont, diese könnten entfernt von der Grenze stattfinde­n. Zu verzollend­e Waren könnten dabei per Ortungssys­temen auf der irischen Insel verfolgt werden.

Warum will die EU das nicht?

Die mit neuer Technik unterstütz­ten Kontrollen hält die EU für nicht machbar. Zudem gibt es eine Vetoklause­l: Die nordirisch­e Volksvertr­etung soll entscheide­n, ob es bei der Ausrichtun­g an EU-Standards dort bleiben soll. Doch das komplizier­te System der Entscheidu­ngsfindung im nordirisch­en Parlament würde faktisch zu einem Vetorecht für die protestant­ische DUP führen.

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FOTO: RTR Uneinig: Angela Merkel und Boris Johnson.

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