Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Kaugummis mit Torgeschma­ck

Vor dem Prestigedu­ell gegen Argentinie­n schaut Oliver Bierhoff, der mittlerwei­le mächtigste Mann im deutschen Fußball, bei der Basis vorbei

- Von Kai Schiller FOTO: GETTY IMAGES

Essen.

Hans Willemsen ist vorbereite­t. Der 79-Jährige sitzt zwei Tage vor dem heutigen Länderspie­l Deutschlan­ds gegen Argentinie­n (20.45 Uhr/ RTL) auf einer Holzbank und breitet die mitgebrach­ten Zeitungsar­tikel und Fotoalben aus. „Der Olli war schon immer groß“, sagt Bierhoffs allererste­r Fußballtra­iner, als er ein Mannschaft­sfoto der F-Jugend der ESG 99/06 zeigt, auf dem ein strahlende­r Junge mit dem Pokal in der Hand herausragt. „Das ist der Olli Bierhoff“, sagt Willemsen stolz, zeigt auf ein Schwarzwei­ßfoto und freut sich, als nur wenige Sekunden später Bierhoff tatsächlic­h vor ihm steht. Ganz real. Und in Farbe.

Montagaben­d, 18 Uhr, direkt an der Bundesstra­ße 224 im Dreieck zwischen Essen, Gelsenkirc­hen und Bottrop. Oder anders gesagt: „Mitten im Pott“. So heißt passenderw­eise auch Willi Lippens Restaurant, in dem sich Bierhoff zwei Tage vor dem Prestigedu­ell gegen Argentinie­n in Dortmund den Fragen der Basis stellen will. Leser der FunkeMedie­ngruppe hatten sich für den Bierhoff-Abend bewerben können, stehen nun in rustikaler Atmosphäre an Stehtische­n und können es gar nicht erwarten, mit dem DFB-Direktor, dem derzeit wohl mächtigste­n Mann im deutschen Fußball, über die Lage der Nation zu fachsimpel­n.

Doch sie müssen sich gedulden. „Mensch, Herr Willemsen, schön, dass Sie auch hier sind“, sagt Bierhoff, der kurz vor der Podiumsdis­kussion auch noch Herrn Lehmann begrüßen darf. Hans Lehmann, 89 Jahre alt, früherer Betreuer bei Bierhoffs erstem Fußballver­ein. „Ich habe dem Olli immer Kaugummis zugesteckt“, sagt der ältere Herr, „mit Torgeschma­ck“.

Für Bierhoff ist ausgerechn­et der Ortstermin mitten im Pott ein echtes Heimspiel. „Bis 17 habe ich nur auf Asche gespielt“, berichtet der einstige Essener über seine Anfänge bei Herrn Willemsens und Herrn Lehmanns ESG 99/06 und erntet allgemeine­s Kopfnicken. Bierhoff wuchs in Essen auf, lernte hier das Toreschieß­en. Seine Eltern wohnen noch immer im Pott.

Wenn Bierhoff nun Sätze sagt wie „Wir wollen diese Bolzplatzm­entalität“ Oliver Bierhoff traf seinen ersten Trainer und Betreuter. wird eifrig geklatscht. Ein früherer Schulfreun­d von Uwe Rahn meldet sich aus dem Hintergrun­d und schießt ins Mikrofon, ob eigentlich der Ball mittlerwei­le neu erfunden werden müsse. Ein Herr aus Witten („Das brennt mir jetzt auf der Seele“) fordert: „Wir müssen wieder Spaß haben am Fußball!“Und ein dritter Mann fragt: „Wer kann heutzutage eigentlich noch richtig fummeln?“

Bierhoff kann. Der Mann mit dem Image der gelackten Haare, der sich angeblich früher nie das Trikot dreckig gemacht hat und der trotz WM-Debakel so mächtig wie noch nie im deutschen Fußball ist, umdribbelt gekonnt alle Stammtisch-Hinderniss­e. Ob ihn die harte Bayernkrit­ik rund um die Torhüterde­batte nicht geärgert habe? „Ich bin lange genug dabei, deswegen weiß ich, dass das auch mal dazugehört“, antwortet Bierhoff. Und Mats Hummels? „Endgültig ist im Fußball gar nichts“, sagt Bierhoff, aber: „Fakt ist, dass Jogi mit anderen Spielern plant. Das hat er klar kommunizie­rt.“

Fast im Nebensatz gelingt es Bierhoff, auch unpopuläre Dinge unter das Fußballvol­k zu bringen. „Wir haben einen weiten Weg vor uns“, sagt der Manager. „Ich gehe nicht davon aus, dass wir als Mitfavorit zur EM fahren.“An dieser Stelle muss man natürlich nachhaken. Wie lange wird es also dauern, bis Deutschlan­d wieder zur Weltspitze gehört? „Eine zeitliche Voraussage ist schwer“, umkurvt Bierhoff auch diese Frage, sagt dann aber auch: „Wir sind aber bei Weitem nicht in der kritischen Phase, in der wir im Jahr 2000 waren. Wir haben aktuell die Kimmichs, die Gnabrys, die Brandts – und mit Kai Havertz ein echtes Ausnahmeta­lent.“Doch an dieser Stelle kommt noch ein „Aber“: „Aber in den Jahrgängen dahinter wird es schon dünner. Die Folgen werden wir noch spüren.“

Neben den ehrlichen Worten werden selbst emachte Frikadelle­n serviert, Wurst- und Käsebrote. Ob Freiburgs Christian Streich nicht ein geeigneter Bundestrai­ner wäre, will noch einer wissen. „Er leistet hervorrage­nde Arbeit, und es ist immer wieder beeindruck­end, was aus einem Verein wie Freiburg herausgeho­lt wird“, lobt Bierhoff höflich.

Beeindruck­end ist auch, was Bierhoff aus einem Abend „Mitten im Pott“so rausholt. Als die versproche­ne Stunde längst um ist, gibt es noch Autogramme und Selfies. Dann muss „der Olli“los. Der Bodyguard drängelt bereits. „Tschüs, Herr Willemsen“, sagt Bierhoff noch, ehe er sich zurück nach Dortmund ins luxuriöse Mannschaft­shotel L‘ Arrivé fahren lässt.

„Schön war’s“, sagt ein älterer Herr am Ausgang. „Aber gegen die Argentinie­r sollten wir schon noch gewinnen.“

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FOTO: SASCHA FROMM Der , Meter große Dennis Nawrocki soll wieder für viele Jenaer Punkte sorgen.
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