Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Doping für die Katze

- Dirk Pille über das Doping-Problem in der Leichtathl­etik

Unsere Katze Clara hat mit 16 Jahren ihre besten Tage schon hinter sich. Seit einiger Zeit plagt sie eine Schilddrüs­en-Erkrankung. Dagegen gibt es früh und abends Tropfen eines deutschen Arzneimitt­el-Giganten, damit der kleine Körper noch ein paar Jahre Spaß am Leben hat. Vorbei sind die wilden Zeiten, als Clara im „Blutrausch“über 20 Mäuse in drei Nächten halb tot oder lebendig in die Wohnung schleppte und der Hausherr früh um drei das gesamte Wohnzimmer abrückte, um die panischen Nager einzufange­n.

Alles ohne Doping.

Mit Erstaunen las ich dieser Tage, dass man mit Claras Schilddrüs­enmedikame­nt vielleicht noch schneller laufen könnte. Der gerade für vier Jahre gesperrte US-Leichtathl­etik-Trainer Alberto Salazar, Chef des so erfolgreic­hen Nike-Oregon-Projects, hatte seiner ehemaligen Athletin Kara Goucher das Hormon Thyroxin aufgedräng­t, obwohl ihre Schilddrüs­e ganz in Ordnung war. Danach sei das Verhältnis zu Salazar, der einst eine Vaterfigur für sie war, komplett zerbrochen. Das Medikament stand nicht auf der Dopinglist­e.

„Versuchsti­ere“nannte Travis Tygart, der Vorsitzend­es der US-AntiDoping-Agentur Usada, die Sportler des umstritten­en Projekts. Auch mit Testostero­n experiment­ierte Salazar. 2009 rieb er die Salbe auf die Rücken seiner Söhne, um zu ermitteln, wann ein Positivtes­t ausgelöst wird. Das Logo des Projekts mit dem Totenkopf erfährt da eine gruselige Bedeutung.

Auch wenn die Ermittlung­en gegen Salazar und seinen „Doktor Diabolus“Jeffrey Brown nur den Zeitraum bis 2014 betreffen. Es bleibt das ungute Gefühl, wenn Athleten wie Deutschlan­ds neuer Laufstern Konstanze Klosterhal­fen oder die Niederländ­erin Siffan Hassan, die bei der WM in Doha Gold über 10.000 und 1500 Meter (welch unglaublic­he Kombinatio­n) gewann, in eben diesem Nike-Oregon-Project zu ungeahnten Höhen aufsteigen. Salazar ist übrigens auch der Mann hinter den vier Olympiasie­gen und sechs Weltmeiste­rtiteln des Briten Mo Farah.

Die WM in Doha mit all ihren skurrilen Wüsten-Facetten und der Skandal um den Top-Trainer machte vor allem eines deutlich: Beim Doping hat sich in der Leichtathl­etik nichts geändert. Ob DDR-Zeiten, ob Neunziger, ob 2019 – das Problem dieser und anderer Sportarten liegt im System. Geld und Gold!

Dass die Russen beim Doping in einer Demokratie à la Putin auf staatliche Unterstütz­ung bauen können, war nach den Aussagen mutiger Whistleblo­wer, die heute versteckt leben, bekannt. Es folgten die Enthüllung­en über die Naturbursc­hen und -mädchen aus dem Hochland Afrikas. Dort wird weiter Epo in Hinterzimm­ern verkauft. Nun die USA mit dem Project des Sportartik­el-Riesen Nike. Aber auch Frankreich, wo sich Laufstars wie 10.000-Meter-Europameis­ter Morhad Amdouni oder MarathonSt­ar Clemence Calvin nach Marokko begaben, um es den Dopingjäge­rn bei ihren Kontrollen so schwer wie möglich zu machen. Clavin gab im System 13 verschiede­ne Meldeorte in Nordafrika und Europa an – in 15 Tagen. Was für eine Reiselust! Amdouni, der die WM in Doha plötzlich wegen Verletzung absagte, wird von seinem Dealer bedroht, weil er die 150 Euro für eine Packung Epo eine Packung Wachstumsh­ormon noch nicht bezahlt hat (die WhatsappKo­mmunikatio­n liegt der ARD vor).

Da fällt es schwer, sich über die tollen Resultate im klimatisie­rten Stadion von Doha zu freuen. Da läuft eine junge, gebürtige Nigerianer­in für Bahrain die 400 Meter in 48,14 Sekunden. Eine Sphäre, in der nur Marita Koch und Jarmila Kratochvil­ova in den Hoch-Zeiten von Doping in den Achtzigerj­ahren zu Hause waren. Salwa Eid Naser musste übrigens gerade erst ihr Staffelsil­ber von den Asienspiel­en abgeben, weil man ihre Teamkolleg­in des Dopings überführt hatte. Denken Sie darüber, was Sie wollen.

Ganz bitter ist die Situation allerdings für die vielen sauberen Athleten, die es mit Sicherheit auch in der Leichtathl­etik gibt. Sie müssen mit dem permanente­n Betrug leben, befinden sich in stetiger Versuchung mitzumache­n, um mitzuhalte­n.

Es bleibt auch der Zwiespalt für den Zuschauer. Mein Rat: Freuen Sie sich weiter an schnellen Zeiten und Weiten. Aber vergessen sie nicht – nicht jede Show ist echt und ehrlich.

Meine Katze bekommt ihre „Doping-Tropfen“übrigens für den Rest ihres Lebens. Ich hoffe nur, es kommt nicht zu einer unnatürlic­hen Leistungss­teigerung. Denn Mäuse im Haus hatten wir wirklich genug.

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