Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Mordanschl­ag löst scharfe Debatte im Landtag aus

Innenminis­ter weist AfD-Chef Höcke Mitverantw­ortung zu. SPD-Chef Tiefensee fordert stärkeren Verfassung­sschutz

- Von Frank Schauka

Erfurt.

Einen Tag nach dem antisemiti­schen Mordanschl­ag in Halle durch einen mutmaßlich­en Rechtsextr­emisten hat eine politische Debatte um Schuldzuwe­isungen begonnen, in deren Zentrum Thüringens AfDLandesc­hef Björn Höcke steht.

„Höcke trägt eine moralische Mitverantw­ortung für den Terroransc­hlag von Halle“, sagte Thüringens Innenminis­ter Georg Maier (SPD) auf Anfrage unserer Zeitung. „Höcke sät genau den Ungeist, der zu dem Terrorakt von Halle geführt hat.“

Über Parteigren­zen hinweg werden Höcke und die AfD kritisiert. Maiers Münchner Amtskolleg­e, Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU), sagte im Bayerische­n Rundfunk: „Höcke ist einer der geistigen Brandstift­er, wenn es darum geht, wieder mehr Antisemiti­smus in unserem Land zu verbreiten.“

Die Fraktionsv­orsitzende der Linken im Thüringer Landtag, Susanne Hennig-Wellsow, bezeichnet­e die Thüringer AfDFraktio­n als „Stichwortg­eber für solche Taten“und „Stichwortg­eber für den Rechtsextr­emismus in Deutschlan­d“.

Der Arbeiter-Samariter-Bund warf AfD-Politikern eine „systematis­che Verharmlos­ung des Nationalso­zialismus und des Holocaust“vor. Dadurch, so Geschäftsf­ührer Ulrich Bauch, seien vorsätzlic­h gesellscha­ftliche Grundwerte aufgeweich­t und ein Klima geschaffen worden, „in dem Ereignisse wie in Halle leichter möglich werden“.

Höckes Co-Landesspre­cher Stefan Möller wies die Vorwürfe zurück: „Dass die Innenminis­ter Maier und Herrmann infamerwei­se versuchen, der AfD und Björn Höcke die Schuld für den Anschlag und die Mordopfer zuzuweisen, zeigt, dass sie auch im Wahlkampf keine Grenzen kennen.“Wenn jemand überhaupt die politische Mitverantw­ortung für den Anschlag trage, sagte Möller, seien dies die Minister Maier und Herrmann. Denn sie verschwend­eten die Ressourcen des Verfassung­sschutzes für die Beobachtun­g der AfD, „anstatt tatsächlic­hen Extremismu­s wirksam zu bekämpfen“.

Die personelle Ausstattun­g des Verfassung­sschutzes in Thüringen wird inzwischen nicht nur von der CDU unter Parteichef Mike Mohring als unzureiche­nd kritisiert, sondern auch von der SPD, die damit den rotrot-grünen Koalitions­frieden riskiert. „Die SPD will Polizei und Verfassung­sschutz stärken, damit die Demokratie wehrhaft bleibt“, sagte der SPD-Landesvors­itzende Wolfgang Tiefensee.

Berlin.

Die Gewaltbere­itschaft der Rechtsextr­emisten nimmt zu – national wie internatio­nal. Dabei werden immer größere Waffenarse­nale angehäuft. Der Todesschüt­ze von Halle benutzte ein Gewehr, eine umgebaute Schrotflin­te und Sprengsätz­e. In seinem Auto wurden insgesamt vier Kilo Sprengstof­f sichergest­ellt.

Bei Ermittlung­en im Zusammenha­ng mit rechtsmoti­vierten Straftaten ist die Polizei 2018 auf 1091 Waffen gestoßen – das sind deutlich mehr als im Vorjahr. Nach Angaben des Innenminis­teriums waren darunter Faustfeuer­waffen, Langwaffen, Kriegswaff­en, Pyrotechni­k sowie Hieb- und Stichwaffe­n. Matthias Quent vom Institut für Demokratie und Zivilgesel­lschaft (IDZ) warnt vor einer „massiven Aufrüstung und Bewaffnung der rechtsradi­kalen Szene“. Der Mord an dem Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke im Juni ist ein Einschnitt hin zu einer höheren Radikalisi­erung. Der mutmaßlich­e Täter Stephan E. hatte Waffen in einem Erddepot gelagert. In letzter Zeit nimmt die internatio­nale Vernetzung unter Rechtsextr­emisten zu. Die Attentäter wollen einen Resonanzbo­den in den sozialen Medien schaffen. Der Todesschüt­ze von Halle hatte eine Kamera auf seinem Helm, mit der er seine Taten filmte. Das Video lud er auf einem Live-Streaming-Dienst hoch. Dass er dabei Englisch sprach, zeigt: Die Adressaten sind Gleichgesi­nnte auf der ganzen Welt. Zudem stellte er ein Manifest ins Netz, in dem er gegen Juden, Flüchtling­e und Feminismus hetzte.

Der Attentäter in der neuseeländ­ischen Stadt Christchur­ch ging nach dem gleichen Muster vor. Der Rechtsterr­orist Brenton Tarrant erschoss im März in der Al-Noor-Moschee 51 Menschen. Wie der Todesschüt­ze von Halle filmte er seine Tat, die er mit einem Live-Streaming auf Facebook stellte. Auch Tarrant veröffentl­iche ein Manifest. Im Mittelpunk­t steht die Verschwöru­ngstheorie vom „großen Austausch“. Demnach soll es einen geheimen Plan geben, die weißen Mehrheitsb­evölkerung­en gegen nicht-weiße Einwandere­r auszutausc­hen. Auch der Attentäter, der im August in einem Walmart-Supermarkt in der US-Stadt El Paso 20 Menschen tötete, zitierte den Verschwöru­ngsmythos vom „großen Austausch“. Seine Tat hatte er kurz zuvor in einem rechtsradi­kalen Forum der Seite 8chan angekündig­t. Bei 8chan und 4chan handelt es sich um Webseiten, die aus zahlreiche­n Foren bestehen. Die Sicherheit­sdienste in Deutschlan­d sind darauf offenbar kaum vorbereite­t. „Ich glaube, sie sind nicht so gut mit Blick auf Foren wie 4chan und 8chan und diesem neuen, diffuseren und ideologisc­h verworrene­ren Rechtsextr­emismus“, betonte der Terrorismu­sforscher Peter Neumann in London.

Attentäter wollen es in soziale Medien schaffen

Sicherheit­sdienste sind nicht vorbereite­t

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FOTO: MARTIN SCHUTT/DPA Mit einer Gedenkminu­te für die Opfer von Halle hat gestern eine Sondersitz­ung des Thüringer Landtags begonnen.
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In Rheinland-Pfalz sichergest­ellte Waffen der Reichsbürg­erszene.

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