Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
„Er hat seine Ideologie breit geteilt“
Parallelen zu anderen Verbrechen
Jena/Halle. In welchen Netzwerken hat sich Stephan B., der in Halle zwei Menschen tötete und in einer Synagoge weitere Menschen umbringen wollte, bewegt? Wo hat sich der aus Sachsen-Anhalt stammende Rechtsextremist radikalisiert?
Die Beantwortung dieser Fragen kann noch Tage, Wochen und Monate dauern. Anzeichen für eine Vernetzungen in lokale rechtsextremistische Netzwerke gibt es bisher nicht. Allerdings, sagt der Jenaer Rechtsextremismusforscher Matthias Quent, sei bekannt, dass sich B. in einer internationalen Gaming-Szene bewegt habe, in der sich vornehmlich Anhänger der „weißen Vorherrschaft“aufhalten. Auch der Attentäter im Münchener Olympia-Einkaufszentrum (OEZ), David S., habe sich in solchen Foren aufgehalten, sagt Quent.
Er hatte seinerzeit neun Menschen getötet. Die Tat galt lange als Amoklauf eines Einzeltäters. Unabhängig voneinander stellten drei Gutachter aber später fest, dass S. in politischer Motivation gehandelt habe.
So, wie jetzt auch der Täter in Halle, der in dem live ins Internet übertragenen Stream der Tat den Holocaust leugnete, Feminismus für die zurückgehenden Geburten verantwortlich machte und für all diese Dinge Juden die Schuld gegeben hat. Quent sagt auf Anfrage: „Er hat seine Ideologie breit geteilt.“Nicht nur, dass er in dem Video englisch gesprochen habe, sei ein Beleg dafür. Anzeichen für seine Vernetzung in die rechtsextremistische Gamingszene würden ebenfalls dafür sprechen.
Dennoch: Der These, dass es sich bei dem Attentäter von Halle um einen Einzeltäter gehandelt hat, widerspricht Quent sofort, sagt: „Das ist mit Sicherheit kein Einzeltäter.“Er habe zwar allein, also als Einzelner, gehandelt. Dennoch gebe es Menschen, die über sein Tun informiert gewesen sind. Quent verweist auf die fünf Personen, die dem Live-Stream der Tat auf der Plattform „Twitch“gefolgt sind.
Aus staatlicher Sicht sieht der Thüringer die Verpflichtung, derartige Hassverbrechen zu bekämpfen, jetzt vor allem bei den Bundesländern. „Bei den Landeskriminalämtern müsste es eigene Referate geben, die sich der Bekämpfung von Hasskriminalität widmen“, sagt der 33-Jährige. Thüringen, Sachsen-Anhalt und auch andere Landeskriminalämter hätten diese Referate bisher nicht.
Vorbild könnte aus Sicht von Quent das Bundeskriminalamt (BKA) sein, dass sich mit einem eigenen Referat Hassverbrechen zuwendet. „Auch wenn es zehn Jahre zu spät kommt“, sagt er. 400 Stellen zu schaffen, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen, dass sei ein wichtiger Schritt hin zur Bekämpfung, schätzt er ein.