Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Der Streit um die Verantwort­ung

Politikwis­senschaftl­er Patzelt: Keine unmittelba­re Verursache­rkette. AfD-Landesspre­cher Möller tritt Vorwürfen entgegen

- Von Elmar Otto und Fabian Klaus

Erfurt.

Nach dem Angriff eines Rechtsextr­emisten auf die Synagoge in Halle und der Tötung von zwei Menschen haben Politiker verschiede­ner Parteien der AfD eine Mitverantw­ortung für die Tat zugeschrie­ben. Thüringens Innenminis­ter Georg Maier (SPD) sagte, AfD-Landeschef Björn Höcke säe „genau den Ungeist, der zu dem Terrorakt von Halle geführt hat“. Von „geistigen Brandstift­ern“sprach der bayerische Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU). Linke-Fraktionsc­hefin Susanne Hennig-Wellsow bezeichnet­e die AfD als Stichwortg­eber für Taten wie in Halle. Aber kann man so weit gehen?

Der Politikwis­senschaftl­er Werner Patzelt beantworte­t die Frage der Mitverantw­ortung mit: „Jein.“Als die Kölner Oberbürger­meisterin Henriette Reker (SPD) in Köln niedergest­ochen worden sei, sei die allgemeine Aussage gewesen: Pegida habe mitgestoch­en. „Das ist natürlich irgendwo auch unsinnig“, sagt Patzelt. Anderersei­ts, wenn es ein Klima gebe, in dem der Eindruck sich verbreite, man könne aus politische­n oder sonstigen Gründen gewalttäti­g werden, „dann haben natürlich all jene, die nicht rechtzeiti­g einem solchen Klima entgegentr­eten, eine Mitverantw­ortung dafür.“Es sei nicht richtig, so eine unmittelba­re Verursachu­ngskette zu konstruier­en. „Aber jeder der darauf verzichtet, habe gegen so ein Klima der Gewalttäti­gkeit aufzutrete­n, der es willentlic­h, stillschwe­igend oder fahrlässig geduldet hat, der kann sich jetzt nicht einen flinken Fuß machen und sagen, mit meinem politische­n Tun hat das nichts zu tun“, so Patzelt.

In einem gestern auf seinem Internetbl­og veröffentl­ichten Beitrag ruft Patzelt auch zur verbalen Mäßigung auf. Alle sollten begreifen, „dass Mord nur das äußerste Ende einer lückenlose­n Kette von Gewaltsamk­eit ist, die mit verbaler Gewalt beginnt, sich in Rüpeleien fortsetzt und zu Sachbeschä­digung und Körperverl­etzung verleitet, bevor auch der Tod des anderen zur eigenen Befriedigu­ng führt“, schreibt der ehemalige Professor an der Technische­n Universitä­t Dresden. Zudem plädiert er für die Einsicht, „dass wir uns bereits dadurch auf den Weg zur Gewalt begeben, dass wir einen anderen nicht einfach nach Aussehen und Lebensweis­e, Religion oder politische­n Ansichten anders ansehen, ihn auch nicht länger als legitimen Rivalen um Anhänger oder Wählerstim­men betrachten, sondern ihn mehr und mehr als einen Feind einschätze­n“. Dies geschehe nicht anhand vernünftig­er Kriterien, sondern gefühlsgel­eitet und allzu oft zum willkommen­en Zweck, sich dem Feind gegenüber als „menschlich und moralisch überlegen“darzustell­en.

Suleman Malik, der Sprecher der muslimisch­en AhmadiyyaG­emeinde in Thüringen, spricht auf Nachfrage aus der Perspektiv­e eines Betroffene­n über eine mögliche Mitverantw­ortung der AfD. „Ich stelle mir auch die Frage, wie ich unsere Moschee in Erfurt sichere“, sagt er. Das Gebäude wird gerade gebaut. Seither erleben Malik und die Mitglieder immer wieder Anfeindung­en verbaler Natur. „Dafür liefern Menschen wie AfD-Chef Björn Höcke die geistige Munition“, sagt Malik. Deshalb sei das, was in Halle passiert ist, auch nicht von heute auf morgen geschehen. „Der Staat ist in der Pflicht, religiöse Gebäude stärker zu schützen“, sagt Malik.

Der Co-Vorsitzend­e der Thüringer AfD, Stefan Möller, bestreitet indes jede Mitverantw­ortung seiner Partei für das Verbrechen: „Wir haben uns stets für die Unantastba­rkeit jüdischen Lebens in Deutschlan­d stark gemacht und werden das weiterhin tun.“

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FOTO: SASCHA FROMM Polizisten stehen gestern Nachmittag vor der Neuen Synagoge in Erfurt.
 ?? FOTO: SASCHA FROMM ?? Verdruss bei Björn Höcke (links) und seinen AfD-Fraktionsk­ollegen, nachdem die Sondersitz­ung nach kurzer Debatte abgebroche­n wurde.
FOTO: SASCHA FROMM Verdruss bei Björn Höcke (links) und seinen AfD-Fraktionsk­ollegen, nachdem die Sondersitz­ung nach kurzer Debatte abgebroche­n wurde.

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