Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Die zwei Welten des Attentäter­s

Stephan B. lebte bei seiner Mutter in einem kleinen Ort in Sachsen-Anhalt. Im Internet wollte er militante Neonazis zu Gewalttate­n inspiriere­n

- Von Christian Unger und Philipp Neumann FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE

Benndorf/Halle/Berlin. Die Fassade, die Stephan B. um seine menschenve­rachtenden Gedanken gebaut hat, sieht harmlos ländlich aus. Ein Reihenhaus im kleinen Ort Benndorf, rund 40 Kilometer von Halle entfernt. Imbissbude, Gemeindeha­us, Sportlerhe­im, Eckkneipe. Deutsche Provinz. Hier wohnte der mutmaßlich­e Rechtsterr­orist in einer Wohnung im ersten Stock, drei Zimmer, Blumen am Balkon, der Rasen gemäht. Stephan B., 27 Jahre alt, lebte hier mit seiner Mutter. Nachbarn sagen, der junge Mann sei ihnen kaum aufgefalle­n. Aber netter Eindruck, eigentlich.

Am Tag nach der Tat fährt ein dunkler Lastwagen an der Absperrung vorbei und vor die Wohnung, Wiesbadene­r Kennzeiche­n. Beamte in Uniform steigen aus, die Spurensich­erung des Bundeskrim­inalamtes, dazu Einsatzwag­en der Landespoli­zei, ein Absperrban­d flattert vor dem Haus. Die kleine Wohnung in Benndorf ist jetzt einer der wichtigste­n Tatorte der Bundesrepu­blik. Hier, so lässt sich vermuten, plante Stephan B. seinen rechten Terror. Knapp 24 Stunden zuvor, am Mittwochmi­ttag, fährt B. mit einem gemieteten Wagen, Euskirchen­er Kennzeiche­n, vor den hohen Mauern der Synagoge in der Innenstadt von Halle vor. Das Gebetshaus und der jüdische Friedhof liegen direkt an einer Hauptstraß­e, der Eingang ist in einer Nebenstraß­e. Drinnen feiern gerade mehr als 60 Menschen Jom Kippur, den höchsten jüdischen Feiertag. Stephan B., glatt rasierter Kopf, hat sich ausgerüste­t. Auf dem Beifahrers­itz, auf der Rückbank, in Taschen und Kisten liegen Waffen, offensicht­lich selbst zusammenge­baut, und selbst gebastelte Sprengsätz­e. B. trägt eine grüne Jacke, Stiefel, Helm. Zeugen berichten, es habe wie eine Kampfmontu­r ausgesehen.

Neben den Waffen auf dem Beifahrers­itz liegt ein Laptop, an dem Helm hat B. eine Kamera montiert. Er überträgt die Tat live im Internet, auf der Plattform Twitch, wo Menschen privat Videos hochladen. Terrorismu­s, inszeniert wie ein Computersp­iel. Wie ein Ego-Shooter. Nur ist es an diesem Tag kein Spiel. Stephan B. steigt aus dem Auto.

Mithilfe des Videos, mit Meldungen der Polizei und Berichten von Zeugen kann der Tathergang rekonstrui­ert werden. Die Tür zur Synagoge ist verschloss­en. Das Video zeigt, wie B. aus dem Auto steigt und einen Sprengsatz vor dem großen Tor zur Synagoge platziert. Das Tor hält stand, B. reagiert nervös. Eine Passantin kommt vorbei, moniert den Lärm, das Gehabe. „Mann, ey“, sagt sie noch. Dann schießt Stephan B. ihr in den Rücken. Drinnen, in der Synagoge, verbarrika­dieren sich die Menschen, bauen Stühle und Tische vor den Türen auf, ziehen sich nach oben, in den ersten Stock zurück. Und rufen die Polizei.

Und draußen schimpft Stephan B. auf die Frau, die er gerade erschossen hat. Vor allem aber auf sich selbst. „Scheiße, Mann!“, ruft er. „Verkackt.“B. nennt sich einen „unfähigen Versager“. Dann fährt er weiter. Bisher hat die Polizei keine Hinweise darauf, dass Stephan B. Mitwisser oder gar Mittäter hatte. Er handelt an diesem Tag in Halle allein. Doch die Ermittlung­en dauern an. Die Generalsta­atsanwalts­chaft untersucht die Waffen, sichert Beweise in der Wohnung, befragt Zeugen. Und Bundesanwa­lt Peter Frank sagt: Stephan B. habe Anschläge von Rechtsextr­emisten, die in der Vergangenh­eit begangen worden sind, nachgeahmt. Und er „wollte nach unserer Erkenntnis auch andere zu solchen Taten zur Nachahmung anstiften“.

Stephan B., lebte hinter einer beigen Reihenhaus­fassade. Aber sein Hass auf „Kanaken“und Juden, das Drehbuch seiner Gewalttat, die Verbreitun­g durch ein Live-Video im Netz, begleitet mit einer Art „Manifest“, das er vor dem Anschlag veröffentl­ichte und das eigentlich den Namen „Manifest“nicht verdient, weil es neben Waffennarr­heit und geballter Verachtung kaum argumentie­rt – all das bettet den Täter von Halle ein in ein Netzwerk global agierender militanter Neonazis.

Nach der Tat von Halle sagt der Generalbun­desanwalt, dass die gesamte Kommunikat­ion des Mannes nun „durchleuch­tet“werde. Verschlüss­elte Chats, Einträge in Foren, Neonazi-Propaganda, Aktivitäte­n im verschlüss­elten Darknet – nach alldem suchen die Ermittler. Laut Informatio­nen unserer Redaktion war Stephan B. der Polizei nicht als Neonazi bekannt. Lediglich aufgrund eines Verkehrsun­falls gibt es einen Treffer in den Datenbanke­n. Auch beim Verfassung­sschutz: keine Einträge. Wie schon im Fall des mutmaßlich­en LübckeMörd­ers Stephan E. in Kassel hatten die Sicherheit­sbehörden Stephan B. aus Benndorf nicht auf dem Schirm.

Und die Frage, die nun unweigerli­ch über Halle und anderen Orten Deutschlan­ds schwebt: Kann der Staat seine Menschen vor Angriffen von Terroriste­n nicht schützen? Am Tag nach dem Anschlag kommt Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) nach Halle. Auf einer Pressekonf­erenz sagt er: „Dieses brutale Verbrechen ist eine Schande für unser ganzes Land. Bei unserer Geschichte darf so etwas in Deutschlan­d eigentlich nicht passieren.“Dann kündigt Seehofer einen dauerhaft besseren Schutz für jüdische Einrichtun­gen in ganz Deutschlan­d an. Dies werde ab sofort, nachhaltig und dauerhaft geschehen. Der bessere Schutz der Einrichtun­gen müsse zusätzlich sein. Sonst gebe es eine „nicht ganz einfache Diskussion in der Bevölkerun­g“, sagte er. Anders als in Berlin, Hamburg oder Frankfurt fährt die Polizei in Halle nur sporadisch auf Streife an der Synagoge vorbei.

Nachdem B. nicht in die Synagoge eindringen kann, fährt der Mann weiter durch Halle, trifft auf einen Imbiss an einer Hauptstraß­e. „Döner, nehmen wir“, sagt er in seinem Video. Dort erschießt er einen jungen Mann aus Merseburg, verletzt andere schwer. Stephan B. liefert sich eine Schießerei mit der Polizei, direkt vor dem Imbiss, kann fliehen. Vorerst.

Über das Leben von Stephan B. können die Nachbarn im kleinen Benndorf kaum etwas erzählen. Er sei nicht aktiv gewesen im Heimatvere­in, er sei auch nicht in die Kneipe gekommen. Die Mutter arbeitet als Lehrerin, die Eltern sind geschieden. Der Vater gibt Journalist­en der „Bild“in seinem Haus ein Interview, wenig Worte, viel Fassungslo­sigkeit.

In seinem dokumentie­rten und im Netz veröffentl­ichten „Tatplan“beschreibt Stephan B., wie er ursprüngli­ch einen Angriff auf eine Moschee oder ein „Antifa Kulturzent­rum“ins Auge gefasst hatte. Er hält „die Juden“für die „Wurzel aller Probleme“. Das Dokument, das B. ins Netz stellt, ist eine Waffenscha­u, er präsentier­t Gewehre und Munition. Und er fantasiert über das Töten. Schon das Veröffentl­ichen dieses „Manifests“feiert Stephan B. als einen Erfolg. Jede Etappe hin zum Mord ist wie ein nächstes Level. Im virtuellen Dialog mit anderen früheren oder künftigen Neonazi-Attentäter­n setzt Stephan B. hier die Messlatte, schafft Vergleichb­arkeit. In seinem Pamphlet sucht der junge Mann nach Nachahmern, ruft auf, loszuschla­gen. Er spricht Englisch. B. will möglichst viele Menschen erreichen.

Am Ende sieht B. sich in einem Kampf des „weißen Mannes“gegen das Fremde. Es sind Botschafte­n, die längst millionenf­ach in sozialen Netzwerken durch Rechte verbreitet werden. Für viele Politiker sind es aber auch Parolen der rechten AfD, die das Grundrausc­hen für Gewalt bereiten. Klare Worte findet Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann. Die AfD trage eine „Mitverantw­ortung an der Tat“. Im Parlament trete die Partei zum Teil „im Duktus der NSSprache“auf, sagte Holger Stahlknech­t, Innenminis­ter von Sachsen-Anhalt. Die AfD selbst wies diese Vorwürfe zurück, nannte sich eine Unterstütz­erin jüdischen Lebens in Deutschlan­d.

Am Mittwochna­chmittag, gut eine Stunde nach dem Angriff auf die Synagoge, läuft ein Großeinsat­z in Halle. Stephan B. flieht mit dem Mietwagen in Richtung Westen. 15 Kilometer von Halle entfernt hält er in Wiedersdor­f, ein Teil der Kleinstadt Landsberg. B. will ein neues Fluchtauto, findet in einer Werkstatt ein Taxi. Auch hier schießt B. auf Menschen, verletzt eine Frau und einen Mann. Ein Polizeihub­schrauber lokalisier­t B. in dem Taxi auf der Bundesstra­ße 91. An einer Baustelle kollidiert Stephan B. mit einem Lastwagen. Ohne Widerstand lässt er sich festnehmen.

Das Video, das er live von seiner Helmkamera gesendet hatte, war längst beendet. Die letzten Bilder zeigen blauen Himmel. Autos unterbrech­en das Bild, rasen wie schwarze Blitze über die Kamera, die auf einer der Straßen auf dem Asphalt liegen muss. Die Mutter von Stephan B., heißt es, sei in ein Krankenhau­s eingeliefe­rt worden. Offenbar war der Schock so stark.

Ein Nachbar kommt an der Wohnung in Benndorf vorbei, steht vor dem Polizeiabs­perrband. Ihm sei der Mietwagen in den vergangene­n Tagen aufgefalle­n, der vor dem Haus hielt. „Fremdes Kennzeiche­n“, sagt er. Stephan B. wird am Tag nach der Tat dem Haftrichte­r vorgeführt. Die Bundesanwa­ltschaft wirft ihm zweifachen Mord und versuchten Mord in neun Fällen vor.

B. trägt eine grüne Jacke, Stiefel, Helm

„Bei unserer Geschichte darf so etwas in Deutschlan­d eigentlich nicht passieren.“Horst Seehofer (CSU), Bundesinne­nminister

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FOTO: RALPH ORLOWSKI/REUTERS Streng bewacht: Stephan B. steigt aus dem Helikopter und wird von Sicherheit­skräften zum Bundesgeri­chtshof nach Karlsruhe gebracht.

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