Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Ein ruhiger Arm ist Gold wert
Gabriele Möslein weiß, worauf es im Bogenschießen ankommt. Seit mehr als drei Jahrzehnten ist sie als Trainerin aktiv
Unterwellenborn.
Es ist eine dieser Sportarten, die viele irgendwann im Fernsehen verfolgt oder im Urlaub auf der Hotelanlage vielleicht sogar selbst ausprobiert haben. Aber so richtig viel weiß man über den Bogensport nicht. Und es ist eine dieser Trainerinnen, die seit Jahrzehnten ihr Wissen und Erfahrung an die jungen Sportler der Region weitergibt. Aber so richtig viel weiß man über Gabi Möslein nicht. Zeit, beide Wissenslücken ein wenig zu füllen, den Bogen quasi zu spannen. Denn darum geht es beim Bogenschießen: um Zielscheibe, Pfeil und eben einen Bogen.
Dieser elastische Stab wirkt beim Spannen wie eine Feder, die Energie aufbaut und den Pfeil anschließend mit bis zu 250 Kilometern pro Stunde in Richtung Scheibe schickt.
Dort gibt es für Treffer auf die farbigen Ringe Punkte – in der kleinen Mitte die meisten, im breiten Außenbereich die wenigsten. Um die Pfeile, für die Wettkampfsportler in einer Saison bis zu 500 Euro investieren, möglichst genau und innerhalb der von einer Ampel geregelten Zeit ins Ziel zu bringen, bedarf es Konzentration.
Ein ruhiger Arm ist Gold wert, eine gute Technik und Zielgenauigkeit sind das A und O. Nicht zu vergessen die psychische Belastung. Eine Meisterschaft im Bogenschießen geht über viele Stunden und wird nicht selten mit dem letzten Schuss entschieden. Wer nicht mit ruhiger Art und Ausdauer überzeugt, wird es schwer haben. Eine, die ganz genau weiß wie es geht, ist Gabriele Möslein. Gabi, wie sie von Ehemann Bernhard und dem Großteil ihrer Sportsfreunde genannt wird, hat sich mit elf Jahren diesem Sport verschrieben. Als damaliges Talent bei der Armeesportgemeinschaft Vorwärts Strausberg dauerte es nur knapp ein Jahr, bis Gabi DDRMeisterin bei den B-Schülerinnen wurde. Die schnell eintretenden Erfolge hätten sie zusätzlich motiviert. Dies, und das Rentnerpaar Hegewald, bei dem sich die damaligen Schützlinge geborgen und anerkannt fühlten.
Die junge Meisterin trainierte viel, zunächst zweimal wöchentlich und ab dem 14. Lebensjahr sogar bis zu fünfmal die Woche jeweils vier Stunden am Tag. Damals sei das möglich gewesen, das Schulsystem und der Sport waren entsprechend aufeinander abgestimmt. Beharrlichkeit und Trainingsfleiß verdankte die Sportlerin ihr größtes internationales Erlebnis: eine Teilnahme 1981 auf der Moskauer Olympiaanlage beim Turnier der sozialistischen Länder. Das Niveau sei wie bei einer WM gewesen, die Topleute waren am Start und Gabriele Möslein landete ergebnistechnisch im Mittelfeld. Bis 2012 nahm sie an Wettkämpfen teil und sammelte weitere Medaillen bei DDR-, Deutschenund Landesmeisterschaften. Zu diesem Zeitpunkt war die Mutter eines Sohnes schon seit über zwei Jahrzehnten auch als Trainerin erfolgreich.
Bereits während des Studiums an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) Leipzig absolvierte die heute in Rudolstadt lebende Trainerin diverse Praktika bei den Bogenschützen des SV Stahl Unterwellenborn.
Nach dem Uni-Abschluss 1987 zog es die damals frisch verheirateten Eheleute Möslein zurück nach Thüringen. Aus dem Praktikum im Verein wurde schnell eine feste Mitgliedschaft mit verantwortungsvollen Aufgaben. Zudem wurde Gabi Möslein im gleichen Jahr Stützpunkttrainerin und war für den Aufbau einer neuen Nachwuchsabteilung mitverantwortlich. Diese hauptamtliche Stelle beim Deutschen Turn- und Sportbund währte allerdings nicht lang.
Mit der politischen Wende kam auch die persönliche – und damit eine neue Lebenssituation für erfolgreiche DDR-Sportler wie Gabriele Möslein. Aus dem Hauptamtlichen wurde das Ehrenamtliche, beruflich war sich die studierte Sportwissenschaftlerin fortan auch für diverse Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht zu schade. Nie zu kurz kam ihr Engagement im Verein. Sie trainierte, organisierte und schoss nebenbei noch selbst auf gutem Niveau. 1998 konnte die Schützin ihr Geschick in Sachen Verwaltung und Nachwuchsarbeit als Jugendsportkoordinatorin innerhalb des Kreissportbundes unter Beweis stellen.
Mittlerweile arbeitet sie als Hortnerin an einer Grundschule in Uhlstädt, eine Gemeinde im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt, wo ihr Blick immer auch in Richtung neue Talente gerichtet ist. Denn anders als zu ihrer Jugendzeit, als pro Jahr ungefähr 25 Neulinge zu den Leistungszentren strömten, sei man heute über zehn Anmeldungen jährlich sehr zufrieden. Gründe dafür seien nicht etwa mangelndes Interesse am Bogenschießen, auch wenn sich Gabriele Möslein für ihre Randsportart mehr öffentliche Präsenz wünschen würde. Hauptproblem für einen Verein wie den SV Stahl Unterwellenborn im ländlichen Gebiet sei in erster Linie das Erreichen der Trainingsstätten. Hier müssten Jugendliche und Eltern gleichermaßen ins Boot geholt werden, nur so könne man sich als kleine Abteilung mit zirka 80 Mitgliedern gegen „Big-Player“wie Leistungszentren oder Sportgymnasien durchsetzen. Umso schöner sei es, wenn man als „normale“Schule bei den Bundesfinals von Jugend trainiert für Olympia auch die erfahrenen Sportgymnasien etwas ärgern kann.
Angenehmer Nebeneffekt: Dem Außenseiter gelten vermehrt auch die Sympathien der Zuschauer. Ob viele von ihnen demnächst wieder eine deutsche Meisterschaft in Thüringen besuchen können, steht noch nicht fest. Der SV Stahl habe nach 2010 erneut Interesse für eine Austragung bekundet, benötige jedoch zur Unterstützung die Hilfe vom Verband. Moderne Videotechnik, speziell in den Finalrunden, macht den filigranen Sport zudem finanziell anspruchsvoll. Für diese Förderung seien andere Organe zuständig, das fördern und fordern der Schützen liegt bei Gabriele Möslein und dem Trainerteam.
Heute ist die im sächsischen Crimmitschau geborene Sportlehrerin 55 Jahre jung. Die Leidenschaft zum Bogenschießen ist ungebrochen. „Der Sport bot mir viel, jetzt gebe ich gern etwas davon zurück an den Nachwuchs“, sagte die bodenständige Trainerin vor wenigen Wochen bei einer Veranstaltung der Stiftung Thüringer Sporthilfe.
Dort wurde sie im Beisein von verdienstvollen Trainern und Funktionären für ihr Engagement im Verein und beim Thüringer Schützenbund ausgezeichnet. Wie die vielen Jahre zuvor immer eng an ihrer Seite: Ehemann Bernhard als unerlässliche Stütze, die Gabi Möslein zu schätzen weiß.
In der Laudatio attestierte die Vereinsvorsitzende Bianca Pfeifer der Trainerin ein besonderes Händchen in der Nachwuchsarbeit.
Auch wenn ausgerechnet Sohn Marcus, wie es Vater Bernhard spaßig formuliert, „seine Karriere im Bogenschießen mit zwölf Jahren wieder beendete“, verdanken unzählige junge Bogenschützen, Kadersportler und Meisterschaftsgewinner ihr Können einer Frau, die noch lange nicht den Trainerbogen an die Scheibe hängen möchte.
Höhepunkt auf Moskauer Olympia-Anlage
Unterwellenborn will deutsche Meisterschaft