Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
CDU: Polizisten besser vorbereiten
Der Anschlag von Halle hat einmal mehr gezeigt, wie Extremisten in Deutschland aufrüsten. Politiker fordern die Entwaffnung der Szene
Als Konsequenz aus dem rechtsextremistischen Mordanschlag in Halle fordert die Thüringer CDU, dass auch Kontaktbereichsbeamte und Streifenpolizisten intensiver in der Bewältigung lebensgefährlicher Einsatzlagen geschult werden. CDU-Generalsekretär Raymond Walk sagte am Freitag in Erfurt: „Gerade diese Kräfte sind es, die als erste vor Ort intervenieren müssen.“Deshalb sollen nicht nur die Einsatzkräfte der Spezialeinheiten dafür besonders ausgebildet sein, hieß es weiter. (fa)
Als Stephan B. am Mittwochmittag schon zwei Menschen getötet hat und nun auf der Straße in Richtung Polizeiwagen feuert, zuckt sein Körper zurück. Der Rückstoß seiner Schrotflinte drückt auf die Schultern. Qualm steigt auf, ein Knall schallt durch die Hauptstraße von Halle. Die Waffe bezeichnet Stephan B. in seinem zuvor im Internet veröffentlichten „Tatplan“als „12 gauge Slam-Bang shotgun“. Sie besteht aus zwei Metallrohren, ein langes, ein kurzes, ein Schlagbolzen. An einem Rohr ist ein Holzschaft befestigt, an dem anderen ein Patronenhalter. Bisher geht die Generalstaatsanwaltschaft davon aus, dass Stephan B. die Waffe selbst gebaut hat. In seinem „Tatplan“schreibt B. auf Englisch: „Absurd verlässlich und einfach zu benutzen, auch unter großem Stress.“
Für die Tat hatte sich Stephan B. ein Auto gemietet, in Taschen und Kisten auf dem Beifahrersitz und der Rückbank verstaute er Waffen, Munition und Sprengsätze, darunter zwei Schnellfeuerwaffen, die Schrotflinte, eine Pistole, ein Gewehr, eine Smith Carbine. Für seinen Anschlag auf die Synagoge parkte der mutmaßliche Täter ein ganzes Arsenal an Waffen in seinem Wagen. Martina Renner, Linke
Stephan B. gilt für die Ermittler derzeit noch als Einzeltäter. Ob er Mitwisser hatte oder gar Helfer, müssen die Auswertungen der Sicherheitsbehörden zeigen. Klar ist: Zahlreiche Rechtsextremisten horten Waffen und Munition, die Wege der Beschaffung sind weit verzweigt, das Reservoir gigantisch. Eine ganze Szene ist militarisiert.
2018 entdeckten Polizisten mehr als 1000 Waffen bei Neonazis. Stephan E., der mutmaßliche Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke, soll auf dem Gelände seiner Firma bei Kassel ein Waffenversteck angelegt haben, insgesamt 46 Waffen, darunter eine Maschinenpistole und eine Pumpgun.
Lange Zeit galt: Wer Neonazi ist und eine Waffe sucht, braucht Kontakte. Der mutmaßliche Lübcke-Mörder Stephan E. bekam laut den Ermittlern über Markus H. Zugang zu einem Waffenhändler in NordrheinWestfalen. Die Terrorgruppe NSU besorgte sich die Tatwaffe, eine Ceska-Pistole, mithilfe eines Rechtsextremisten aus der Schweiz.
Doch Kontakte zu illegalen Waffenhändlern sind nur ein Weg. Oftmals pflegen Neonazis Verbindungen zu Rockergruppen oder gleichgesinnten Türstehern und dubiosen Sicherheitsfirmen. Auch hier kursieren Waffen.
Und die Attentate der vergangenen Jahre zeigen, dass Gewaltbereite keine Kontakte in Rocker-Milieus oder zu illegalen Waffenhändlern haben müssen. Sie bestellen Anleitungen und Material aus verschlüsselten Darknet-Shops – oder brauchen nur zum nahe gelegenen Trödelmarkt zu gehen, um Bauteile wie Metallrohre einzukaufen.
Der rassistisch motivierte Attentäter von München, David S., hatte seine Pistole, eine Glock 17, auf der Plattform Deutschland im Deep Web gekauft. 4350 Euro zahlte er für diese und 100 Schuss Munition. Die Chats sind verschlüsselt, Käufer und Verkäufer nutzen Pseudonyme, bezahlt wird mit der kryptierten Währung Bitcoin, um reguläre Kontoverbindungen zu vermeiden.
60 Prozent aller Waffen im Darknet kommen aus den USA. Das ergab eine Untersuchung des Analysezentrums RAND. Allerdings: Europa ist der größte Markt für diese illegalen Waffen, der Umsatz ist demnach fünfmal höher als in den USA.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Berichterstatter seiner Fraktion für Cybersicherheit, Christoph Bernstiel, sagte unserer Redaktion, dass das hohe Maß an Verschlüsselung im Darknet diese „Shops leider sehr attraktiv für Extremisten und Kriminelle“mache. Polizei und Verfassungsschutz müssten daher mehr Stellen zur Bekämpfung im Cyberraum bekommen.
Die Experten von RAND heben jedoch auch die Bedeutung von klassischen Ermittlungen durch Polizei und Zoll hervor. Denn irgendwann wird die Waffe verschifft oder abgeholt – auch wenn sie illegal und anonym im Netz bestellt wurde. David S. holte seine Waffe bei dem Händler in Marburg ab. Allerdings ist das Risiko geringer, wenn sie die Waffe selbst bauen. Das zeigt der aktuelle Fall in Halle. Vor einigen Monaten kaufte Stephan B. einen 3DDrucker. Die Polizei entdeckte das Gerät bei der Durchsuchung der Wohnung, in der B. zuletzt gemeinsam mit seiner Mutter gelebt hatte. In dem Pamphlet zu seiner Tat führt B. alle Waffen auf. Darunter auch eine Schnellfeuerwaffe „Plastic Luty“. Der Lauf ist aus Metall, aber der Griff und die Magazine aus Polylactid, einem Kunststoff, der auch häufig in Einweggeschirr verarbeitet ist. Stephan B. nutzte eine Software und den 3DDrucker und baute mit Polylactid Teile seiner Waffe.
„Luty“ist kein zufälliger Name. Philip A. Luty war ein englischer Waffenbauer, der 2011 starb. Ende der 1990er kam er in Haft, weil er Anleitungen für Waffen verfasste, die jeder mit Werkzeug, Metall, Schrauben, Federn und einfachem Handwerk selbst bauen kann. Waffennarren brauchen keine Rüstungsfirma – ihnen reicht ein Baumarkt.
Eigentlich wollte Luty damit gegen die britische Regierung und deren „faschistische“Waffengesetze protestieren. Wer in Deutschland selbst eine Pistole oder ein Gewehr baut, dem droht Haft. Längst aber kursieren Anleitungen zum Bau im Netz, erreichbar mit wenigen Klicks.
Die Innenexpertin der LinkeFraktion, Martina Renner, warnt: „Der Anschlag von Halle zeigt einmal mehr, wie gefährlich Waffen – selbst gebaute wie beschaffte – in den Händen von Neonazis sind.“Besonders beunruhigend sei, dass die Zahl der sichergestellten Waffen 2018 mehr als 60 Prozent höher lag als 2017. „Die rechte Szene muss entwaffnet werden“, fordert Renner.
Im Video, das der Attentäter online übertrug, flucht er immer wieder. Vor allem auf sich selbst. Er scheitert daran, die Tür zum jüdischen Gebetshaus zu öffnen. Menschen, die er ins Visier nimmt, haben Glück, weil seine selbst gebauten Waffen klemmen. „I can’t shoot“, sagt er. „Ich kann nicht schießen.“
„Die rechte Szene muss entwaffnet werden.“