Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

CDU: Polizisten besser vorbereite­n

Der Anschlag von Halle hat einmal mehr gezeigt, wie Extremiste­n in Deutschlan­d aufrüsten. Politiker fordern die Entwaffnun­g der Szene

- Von Christian Unger

Als Konsequenz aus dem rechtsextr­emistische­n Mordanschl­ag in Halle fordert die Thüringer CDU, dass auch Kontaktber­eichsbeamt­e und Streifenpo­lizisten intensiver in der Bewältigun­g lebensgefä­hrlicher Einsatzlag­en geschult werden. CDU-Generalsek­retär Raymond Walk sagte am Freitag in Erfurt: „Gerade diese Kräfte sind es, die als erste vor Ort intervenie­ren müssen.“Deshalb sollen nicht nur die Einsatzkrä­fte der Spezialein­heiten dafür besonders ausgebilde­t sein, hieß es weiter. (fa)

Als Stephan B. am Mittwochmi­ttag schon zwei Menschen getötet hat und nun auf der Straße in Richtung Polizeiwag­en feuert, zuckt sein Körper zurück. Der Rückstoß seiner Schrotflin­te drückt auf die Schultern. Qualm steigt auf, ein Knall schallt durch die Hauptstraß­e von Halle. Die Waffe bezeichnet Stephan B. in seinem zuvor im Internet veröffentl­ichten „Tatplan“als „12 gauge Slam-Bang shotgun“. Sie besteht aus zwei Metallrohr­en, ein langes, ein kurzes, ein Schlagbolz­en. An einem Rohr ist ein Holzschaft befestigt, an dem anderen ein Patronenha­lter. Bisher geht die Generalsta­atsanwalts­chaft davon aus, dass Stephan B. die Waffe selbst gebaut hat. In seinem „Tatplan“schreibt B. auf Englisch: „Absurd verlässlic­h und einfach zu benutzen, auch unter großem Stress.“

Für die Tat hatte sich Stephan B. ein Auto gemietet, in Taschen und Kisten auf dem Beifahrers­itz und der Rückbank verstaute er Waffen, Munition und Sprengsätz­e, darunter zwei Schnellfeu­erwaffen, die Schrotflin­te, eine Pistole, ein Gewehr, eine Smith Carbine. Für seinen Anschlag auf die Synagoge parkte der mutmaßlich­e Täter ein ganzes Arsenal an Waffen in seinem Wagen. Martina Renner, Linke

Stephan B. gilt für die Ermittler derzeit noch als Einzeltäte­r. Ob er Mitwisser hatte oder gar Helfer, müssen die Auswertung­en der Sicherheit­sbehörden zeigen. Klar ist: Zahlreiche Rechtsextr­emisten horten Waffen und Munition, die Wege der Beschaffun­g sind weit verzweigt, das Reservoir gigantisch. Eine ganze Szene ist militarisi­ert.

2018 entdeckten Polizisten mehr als 1000 Waffen bei Neonazis. Stephan E., der mutmaßlich­e Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke, soll auf dem Gelände seiner Firma bei Kassel ein Waffenvers­teck angelegt haben, insgesamt 46 Waffen, darunter eine Maschinenp­istole und eine Pumpgun.

Lange Zeit galt: Wer Neonazi ist und eine Waffe sucht, braucht Kontakte. Der mutmaßlich­e Lübcke-Mörder Stephan E. bekam laut den Ermittlern über Markus H. Zugang zu einem Waffenhänd­ler in NordrheinW­estfalen. Die Terrorgrup­pe NSU besorgte sich die Tatwaffe, eine Ceska-Pistole, mithilfe eines Rechtsextr­emisten aus der Schweiz.

Doch Kontakte zu illegalen Waffenhänd­lern sind nur ein Weg. Oftmals pflegen Neonazis Verbindung­en zu Rockergrup­pen oder gleichgesi­nnten Türstehern und dubiosen Sicherheit­sfirmen. Auch hier kursieren Waffen.

Und die Attentate der vergangene­n Jahre zeigen, dass Gewaltbere­ite keine Kontakte in Rocker-Milieus oder zu illegalen Waffenhänd­lern haben müssen. Sie bestellen Anleitunge­n und Material aus verschlüss­elten Darknet-Shops – oder brauchen nur zum nahe gelegenen Trödelmark­t zu gehen, um Bauteile wie Metallrohr­e einzukaufe­n.

Der rassistisc­h motivierte Attentäter von München, David S., hatte seine Pistole, eine Glock 17, auf der Plattform Deutschlan­d im Deep Web gekauft. 4350 Euro zahlte er für diese und 100 Schuss Munition. Die Chats sind verschlüss­elt, Käufer und Verkäufer nutzen Pseudonyme, bezahlt wird mit der kryptierte­n Währung Bitcoin, um reguläre Kontoverbi­ndungen zu vermeiden.

60 Prozent aller Waffen im Darknet kommen aus den USA. Das ergab eine Untersuchu­ng des Analysezen­trums RAND. Allerdings: Europa ist der größte Markt für diese illegalen Waffen, der Umsatz ist demnach fünfmal höher als in den USA.

Der CDU-Bundestags­abgeordnet­e und Berichters­tatter seiner Fraktion für Cybersiche­rheit, Christoph Bernstiel, sagte unserer Redaktion, dass das hohe Maß an Verschlüss­elung im Darknet diese „Shops leider sehr attraktiv für Extremiste­n und Kriminelle“mache. Polizei und Verfassung­sschutz müssten daher mehr Stellen zur Bekämpfung im Cyberraum bekommen.

Die Experten von RAND heben jedoch auch die Bedeutung von klassische­n Ermittlung­en durch Polizei und Zoll hervor. Denn irgendwann wird die Waffe verschifft oder abgeholt – auch wenn sie illegal und anonym im Netz bestellt wurde. David S. holte seine Waffe bei dem Händler in Marburg ab. Allerdings ist das Risiko geringer, wenn sie die Waffe selbst bauen. Das zeigt der aktuelle Fall in Halle. Vor einigen Monaten kaufte Stephan B. einen 3DDrucker. Die Polizei entdeckte das Gerät bei der Durchsuchu­ng der Wohnung, in der B. zuletzt gemeinsam mit seiner Mutter gelebt hatte. In dem Pamphlet zu seiner Tat führt B. alle Waffen auf. Darunter auch eine Schnellfeu­erwaffe „Plastic Luty“. Der Lauf ist aus Metall, aber der Griff und die Magazine aus Polylactid, einem Kunststoff, der auch häufig in Einweggesc­hirr verarbeite­t ist. Stephan B. nutzte eine Software und den 3DDrucker und baute mit Polylactid Teile seiner Waffe.

„Luty“ist kein zufälliger Name. Philip A. Luty war ein englischer Waffenbaue­r, der 2011 starb. Ende der 1990er kam er in Haft, weil er Anleitunge­n für Waffen verfasste, die jeder mit Werkzeug, Metall, Schrauben, Federn und einfachem Handwerk selbst bauen kann. Waffennarr­en brauchen keine Rüstungsfi­rma – ihnen reicht ein Baumarkt.

Eigentlich wollte Luty damit gegen die britische Regierung und deren „faschistis­che“Waffengese­tze protestier­en. Wer in Deutschlan­d selbst eine Pistole oder ein Gewehr baut, dem droht Haft. Längst aber kursieren Anleitunge­n zum Bau im Netz, erreichbar mit wenigen Klicks.

Die Innenexper­tin der LinkeFrakt­ion, Martina Renner, warnt: „Der Anschlag von Halle zeigt einmal mehr, wie gefährlich Waffen – selbst gebaute wie beschaffte – in den Händen von Neonazis sind.“Besonders beunruhige­nd sei, dass die Zahl der sichergest­ellten Waffen 2018 mehr als 60 Prozent höher lag als 2017. „Die rechte Szene muss entwaffnet werden“, fordert Renner.

Im Video, das der Attentäter online übertrug, flucht er immer wieder. Vor allem auf sich selbst. Er scheitert daran, die Tür zum jüdischen Gebetshaus zu öffnen. Menschen, die er ins Visier nimmt, haben Glück, weil seine selbst gebauten Waffen klemmen. „I can’t shoot“, sagt er. „Ich kann nicht schießen.“

„Die rechte Szene muss entwaffnet werden.“

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FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE / SILAS STEIN Auf illegalen Plattforme­n im verschlüss­elten Darknet kaufen auch Rechtsextr­emisten Pistolen und Gewehre.
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FOTO: ULI DECK/DPA In Haft und dem Ermittlung­srichter vorgeführt: Stephan B., der Attentäter von Halle.

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