Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Der Versöhner aus Äthopien
Regierungschef Abiy Ahmed Ali bekommt für die Beilegung des Grenzkonflikts mit Eritrea den Friedensnobelpreis
Als Abiy Ahmed Ali am 15. August 1976 geboren wurde, wurden ihm die Voraussetzungen für Versöhnung mit in die Wiege gelegt. Sein Vater war Muslim, gehörte der größten äthiopischen Ethnie, den Oromo, an. Seine Mutter war Christin und Amharin, Angehörige der zweitgrößten Volksgruppe. 43 Jahre später wurde der Sohn des Paares für seinen internationalen Einsatz für den Frieden und die Beilegung des Grenzkonfliktes mit dem Nachbarland Eritrea mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Als Abiy Ahmed im April 2018 überraschend zum Regierungschef ernannt wurde, hätte niemand damit gerechnet, dass er eineinhalb Jahre später mit der weltweit höchsten Ehre ausgezeichnet werden würde. Doch Abiy – 2008 Mitbegründer eines Internetkontrolldienstes, der die eigenen Bürger überwacht, und bis dahin loyaler Funktionär des seit 1991 mit eiserner Hand regierenden repressiven Systems – überraschte Äthiopien und die Welt mit einem atemberaubenden Reformtempo. Der jüngste Regierungschef Afrikas ließ Tausende von politischen Gefangenen und Journalisten frei, hob den Ausnahmezustand auf, öffnete das Land für ausländische Investoren, besetzte sein Kabinett zur Hälfte mit Frauen, begeistert sein Volk mit einer Versöhnungsrhetorik – und beendete nach über 18 Jahren den Krieg mit dem Nachbarland Eritrea. Dem Konflikt waren rund 80.000 Menschen zum Opfer gefallen.
In Äthiopien brach eine AbiyMania aus. Vor allem junge Äthiopier verehren Abiy Ahmedin in einem quasireligiösen Personenkult. Doch nicht alle lieben den Reformator und Vater von drei Töchtern. Im Juni 2018 entging er in der Hauptstadt Addis Abeba nur knapp einem Anschlag. Keine vier Monate später stürmten aufgebrachte Soldaten seinen Amtssitz. Der sportliche Abiy beruhigte die Meuterer, indem er mit ihnen Liegestütze machte. Vor allem einigen Angehörigen des Militärs und Anhängern der repressiven Vorgängerregierung geht der Reformprozess zu weit. Im Juni 2018 scheiterte ein Putschversuch gegen die Regierung in der nördlichen Region Amhara. In den 558 Tagen, die Abiy regiert, hat die ethnisch motivierte Gewalt zugenommen, immer wieder gibt es Tote, rund eine Million Äthiopier sind so zu Flüchtlingen im eigenen Land geworden. Dass es im Vielvölkerstaat Äthiopien mit mehr als 80 Ethnien ausgerechnet jetzt zu tödlichen Ausschreitungen kommt, liegt auch daran, dass sich unter der jahrzehntelangen Herrschaft der Tigray-Minderheit viel Hass und Frustration angestaut haben. Jetzt, da das totalitäre System der Überwachung und Unterdrückung der Entwicklungsdiktatur Äthiopien teilweise zerschlagen ist, entladen diese Konflikte sich oft gewalttätig. Nur wenn es Abiy Ahmed gelingt, diese Konflikte beizulegen, wird er auch als erfolgreicher Premier in die Geschichte eingehen.