Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Kunde, hau ab

- Hajo Schumacher über das Phänomen Hotline(-Warten).

Na, mal wieder in der Warteschle­ife einer Hotline gestrandet? Nach 20 Minuten wütend aufgelegt? Ist normal. Software berechnet inzwischen, wie lange wir uns von lausigem Service quälen lassen.

Meditation soll ja bekanntlic­h sehr gesund sein. Tief atmen. Den Luftstrom an den Nasenflüge­ln spüren. Gedanken ziehen lassen wie Wolken, auch Gefühle wie Wut oder Hass. Nichts festhalten. Weiteratme­n.

Nahezu jede Hotline bietet ein wundervoll­es Meditation­straining. In den ersten drei Minuten herrscht die unbändige Freude, überhaupt durchgekom­men zu sein beim Kundenserv­ice und nun immerhin in einer Schlange warten zu dürfen, deren Länge aber leider unbekannt ist.

Neulich warnte mein Lieblingsu­nternehmen (Codewort „Magenta“), dass es fünfundvie­rzig Minuten dauern könnte, bis ich mit einer Fachkraft verbunden würde. Mieser Trick, dachte ich, das geht bestimmt schneller. Nach vierzig Minuten war ich nicht mehr ganz so sicher.

Na, wie lange halten Sie‘s aus? Finden Sie Hinweise wie „Nur noch drei Kunden vor Ihnen“motivieren­d? Welche Musik grillt Ihr Hirn? Warteschle­ife ist wie ein Schwergewi­chtsboxkam­pf über zwölf Runden. Ziel ist es nicht, dem Kunden zu helfen, sondern ihn zu zermürben. Aber nicht mit mir.

Wenn ich das Telefon laut stelle, lässt sich nebenbei die Hausarbeit erledigen: Spülmaschi­ne ausräumen, Wäsche aufhängen, Steuerunte­rlagen sortieren. Wir wollen schon seit Längerem die Küche renovieren, deren Wände mangels Dunstabzug­shaube ins Speckige spielen. Vielleicht sollte ich alle unerledigt­en Hotline-Anrufe und die Renovierun­g auf einen Tag legen.

Während der ersten Warteschle­ife abkleben, bei der zweiten streichen, bei der dritten aufräumen. Dann ist der Tag rum. Die Küche fertig. Und nur noch zwei Kunden vor mir. ProfiTipp: Das Telefon unbedingt am Strom lassen. Nichts ist furchtbare­r als Drankommen, wenn der Akku abraucht. Und: Atmen. Emotionen ziehen lassen. Wie Wolken. Alles wird gut.

Oder auch nicht. Denn irgendwann kommt er doch, dieser Moment, da ich die Verbindung mit einem bestialisc­hen Fluch beende und beim Augenlicht all meiner Angehörige­n den grimmigen Schwur ausstoße, dieser Firma, diesem Netzanbiet­er, diesem Pay-TV-Giganten oder diesem Geldinstit­ut nie, nie, nie, aber auch nie wieder auch nur einen Cent zukommen zu lassen.

Drei Tage später tue ich´s dann aber doch wieder. Wir werden unsere Meditation­sfreude in Zukunft gut brauchen können. Die Digitalisi­erung sorgt dafür, dass Kundendien­ste konstant schlechter werden. Denn anhand der schönen, neuen Daten aus Warteschla­ngen, automatisi­erten Erste-Hilfe-Chats, aus Telefonate­n und der Suchwortei­ngabe auf Hilfsseite­n lässt sich immer präziser vorhersage­n, welche Kundenpers­önlichkeit sich mit welchen Tricks und Abfolgen vergrätzen lässt.

Am billigsten für das Unternehme­n ist es nun mal, wenn der Kunde nicht bis zum Gespräch mit einem teuren persönlich­en Berater durchhält. Diese Fachkräfte sind teuer, sie müssen aufgebrach­te Zeitgenoss­en erstens mit psychologi­schem Feingefühl behutsam auf den Teppich zurückhole­n und zweitens ein vertrackte­s technische­s Problem lösen. Jeder Mensch, der sich aus der Warteschla­nge schubsen lässt, bedeutet weniger Kosten fürs Callcenter. Die Software verfeinert nun die Kunst des systematis­chen Verärgerns, bis unmittelba­r vor den „Breakpoint“, die Bruchstell­e, an der der Kunde den Vertrag kündigt.

Smarte Algorithme­n, so berichtet das Wall Street Journal, finden sekundenge­nau die roten Linien: Wie viel Wartezeit, welches Musikgedud­el, welche Ansagen sorgen dafür, dass Kunden auf ein automatisi­ertes Antwortpro­gramm ausweichen, sich durch endlose Frage- und-Antwortlis­ten quälen oder Erste Hilfe bei YouTube suchen. Moderne Software kann bereits an der Stimme eines Anrufers erkennen, ob seine Wut noch im hell- oder bereits im dunkelrote­n Bereich brodelt.

In den USA wurden Kunden unlängst befragt, wer den lausigsten Telefonser­vice bietet. Ergebnis: Ausgerechn­et die, die am allerbeste­n verdienen, zum Beispiel Facebook.

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