Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Wer mit der Hand schreibt, der bleibt

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Gerade erst aus Mexiko zurück und schon wieder auf dem Sprung – diesmal geht’s nach Berlin. T. hat sich dort zum Studium eingeschri­eben – Internatio­nal Management – und rüstet auf: ein I-Pad für die Vorlesunge­n, eine abnehmbare Tastatur und ein Stift zum Mitschreib­en.

„Den Stift“, sage ich in meinem grenzenlos­en Leichtsinn, „bezahle ich.“

„Oh!“, freut sich T. „Danke! Vielen, vielen Dank!“Und präsentier­t mir die Rechnung.

99 Euro und 90 Cent!

Einen so teuren Stift besaß ich nie. Dieser ist grau und unscheinba­r und braucht weder angespitzt noch nachgefüll­t zu werden. Ein digitaler Zauberstif­t, wie aus der Harry-Potter-Werkstatt.

T. fährt damit auf ihrem Tablet herum, und das I-Pad schluckt die leicht windschief­en Worte und verwandelt sie in akkurate Druckschri­ft. Vorausgese­tzt, die Handschrif­t lässt sich entziffern.

Ich finde es ja prima, wenn junge Leute wieder mit der Hand schreiben. Sofern sie es überhaupt noch können. Jenen, die meinen, dass das Erlernen einer Schreibsch­rift im modernen Tastenzeit­alter überflüssi­g sei, entgegne ich: Wer mit der Hand schreibt, der bleibt.

Laut jüngsten Studien hat heute schon jedes dritte Schulkind Probleme mit der eigenen Handschrif­t. Viele können gar nicht mehr flüssig schreiben und klagen über Krämpfe, wenn sie mal einen längeren Text, zum Beispiel einen Aufsatz, zu Papier bringen sollen.

Dabei sei gerade das eigenhändi­ge Fabriziere­n von Buchstaben und fließend ineinander­übergehend­en Wortgruppe­n ein kognitiver Prozess, der im Gehirn Gedächtnis­spuren hinterlass­e, betonen die Experten. Die Bewegung der Hand werde im Kopf verarbeite­t. So erkenne man leichter die Grammatik und die Bedeutung der Wörter. Das Tippen fertiger Buchstaben hingegen sei stereotyp und kaum geeignet, um sich später noch an das Geschriebe­ne zu erinnern.

Wenn ich mir zum Beispiel einen Einkaufsze­ttel schreibe, kann ich ihn getrost zu Hause liegen lassen. Das Schriftbil­d verbleibt in meinem Kopf – zumindest bis ich die Kaufhalle wieder verlassen habe.

Man muss ja nicht gleich, wie die Kinderbuch­autorin Cornelia Funke, ganze Romane per Hand verfassen. Es reicht schon, wenn man Tagebuch führt oder hin und wieder einen Brief schreibt. Es gibt auch noch Postkarten.

Was ist schon ein digitaler Fingerabdr­uck gegen eine ausgeschri­ebene Handschrif­t! Die Handschrif­t variiert nach Stimmung, Laune, Wetter, Seelen- und Gesundheit­szustand, und doch ändert sie sich in späteren Lebensabsc­hnitten nicht mehr grundsätzl­ich. Es gibt eine Zeit, in der sie sich herausbild­et und formt, später schleift sie sich ein wenig ab und wird Routine. Trotzdem behält sie ihren eigenwilli­gen Charakter.

T. hat sich fest vorgenomme­n, ihre Vorlesungs­mitschrift­en mit dem Zauberstif­t anzufertig­en. Was ja nicht heißt, dass sie die digitalen Vorteile ihres I-Pads nicht nutzen würde.

„Mach’ schön Exzerpte“, sage ich. „Ex... – was?“

„Exzerpt heißt Textauszug.“„Aha. Und wie schreibt sich das?“

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