Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Der besondere Abend

Vor dem : des DFB in Estland sorgen Can und Gündogan für Aufsehen außerhalb des Platzes – danach auf dem Spielfeld

- Von Marian Laske und Kai Schiller

Tallinn.

Es war nun wahrlich kein einfacher Weg, den Emre Can schon nach knapp 14 Minuten zurücklege­n musste. Gerade hatte er nach einer Notbremse an Frank Liivak verdienter­maßen die Rote Karte gesehen. Jetzt marschiert­e er kopfschütt­elnd fast über den gesamten Platz in Richtung Kabine, während die estnischen Fans aufgeregt pfiffen, schrien, eben für Getöse sorgten. Und dass ausgerechn­et, nachdem Can gemeinsam mit Ilkay Gündogan schon vor dem Anpfiff eine aufgeregte Debatte ausgelöst hatte, die abseits des Platzes ebenfalls für Getöse sorgte.

Und da dieser Abend reich an Geschichte­n sein sollte, war es dann Gündogan, der dafür sorgte, dass dem Deutschen FußballBun­d immerhin eine tiefgreife­nde sportliche Debatte erspart bleiben wird. Seine Tore in der 51. Minute und der 57. Minute leiteten den Erfolg ein. Am Ende gewann die Mannschaft von Bundestrai­ner Joachim Löw mit 3:0 (0:0) gegen den großen Außenseite­r Estland.

Durch den Sieg ist der dreifache Europameis­ter der Qualifikat­ion für die EM im kommenden Sommer einen großen Schritt näher gekommen. Deutschlan­d hat nun wie Tabellenfü­hrer Niederland­e 15 Punkte, steht aufgrund des verlorenen direkten Vergleichs aber nur auf dem zweiten Rang. Theoretisc­h könnte der DFB-Elf im kommenden Heimspiel (16. November) in Mönchengla­dbach gegen Weißrussla­nd bereits ein Punktgewin­n für das EM-Ticket reichen, wenn der Dritte Nordirland gegen die Niederland­e verliert.

Im November sollte sich Löws Elf allerdings sportlich steigern. Bis dahin wird die Mannschaft zudem wohl eine neue Integratio­nsdebatte begleiten. Da Ilkay Gündogan und Emre Can vor dem Anpfiff in den sozialen Medien zwischenze­itlich ein Foto des türkischen Nationalsp­ieler Cenk Tosun geliket hatten. Dies zeigte Tosun, wie er nach seinem Siegtreffe­r im EM-Qualifikat­ionsspiel gegen Albanien salutierte. Offensicht­lich war die Geste als militärisc­her Gruß gemeint, der Solidaritä­t mit dem türkischen Militär und dessen Offensive in Nordsyrien ausdrücken sollte. Allerdings haben Gündogan und Can den Like mittlerwei­le gelöscht. Beide versichert­en außerdem, keine politische­n Absichten gehabt zu haben.

„Nach dem letzten Jahr ist das Letzte, was ich wollte, ein politische­s Statement zu setzen“, erklärte Gündogan gegenüber dem SID. Vor der WM 2018 hatten er und Ex-Nationalsp­ieler Mesut Özil durch ein Foto mit dem türkischen Präsidente­n Tayyip Erdogan bereits heftige Diskussion­en ausgelöst.

Auf dem Platz schrieben Gündogan und Can ihre eigenen Geschichte­n. Gündogan traf erst per Außenrist, weil der Ball noch von Reus‘ Hacke abgefälsch­t wurde (51.). Dann nutzte Reus seine Hacke, um Gündogan freizuspie­len, der nun ohne Hilfe verwandelt­e (57.). Can wiederum sah früh Rot – der früheste Platzverwe­is in der deutschen Länderspie­l-Historie. Niklas Süle hatte ihn mit einem ungenauen Pass in Bedrängnis gebracht, Can kam mit seiner Grätsche zu spät. Ab der 14. Minute war Deutschlan­d also bereits in Unterzahl und hatte damit sichtlich Probleme, was die 12.062 Zuschauer A. Le Coq Arena in Tallinn verzückte. Denn der 102. der Fifa-Weltrangli­ste, der erst einen Punkt während der aktuellen EM-Qualifikat­ion ergattert hat, kratzte sogar an der Führung.

Karol Mets verfehlte das Tor nach einem Eckball (18.). Konstantin Vassiljevs Volleyschu­ss aus knapp elf Meter entschärft­e DFB-Kapitän Manuel Neuer (30.). Der Torhüter musste mitansehen, wie sich seine Mitspieler in den ersten 45 Minuten schwertate­n, in der Offensive Tempo zu entwickeln. Deutschlan­d wirkte ideenlos, fahrig, schläfrig. Vor allem Serge Gnabry wurde vermisst, der überrasche­nd aufgrund von MuskelProb­lemen ausfiel. Luca Waldschmid­t konnte ihn nicht ersetzen. Julian Brandt war in vielen Situatione­n unglücklic­h. Rückkehrer Reus schlenzte immerhin einen Freistoß an den linken Pfosten (40.). Kai Havertz schaffte es nicht, seine Qualitäten zu demonstrie­ren.

In der zweiten Halbzeit blieb Estland auch nach den beiden Gündogan-Toren frech. Liivak kam im deutschen Fünfmeterr­aum an den Ball und hätte fast den Anschlusst­reffer erzielt (62.). Die Esten versuchten, ihre Fans doch noch mit einem Treffer zu beglücken.

Bei Deutschlan­d kam Timo Werner für den enttäusche­nden Waldschmid­t (66.). Werner erhöhte die deutsche Führung wenig später, als er von Gündogan freigespie­lt wurde und dann Torhüter Sergei Lepmets austanzte (71.). Suat Serdar wurde noch für Reus eingewechs­elt (77.), der Schalker mit türkischen Wurzeln hat sich damit beim DFB festgespie­lt.

Dies war eine weitere Geschichte an diesem besonderen Abend.

 ?? FOTO: MARTIN ROSE/GETTY IMAGES ?? Doppeltors­chütze: Ilkay Gündogan leitete mit seinen beiden Treffern den Auswärtssi­eg in Estland ein.
FOTO: MARTIN ROSE/GETTY IMAGES Doppeltors­chütze: Ilkay Gündogan leitete mit seinen beiden Treffern den Auswärtssi­eg in Estland ein.

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