Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Lipödem: Ist Fettabsaug­en die Lösung?

Schwer betroffene­n Frauen soll der Eingriff ab Januar bezahlt werden. Doch ob sie auf Dauer von der Behandlung profitiere­n, ist unklar

- Von Natscha Plankerman­n IMAGES

Essen.

Immer hat Laura Sport gemacht. Sie achtete auf ihren Körper, auf ihre Ernährung. Der Oberkörper war auch immer schlank, aber die Oberschenk­el kurvig – egal, welche Diät sie probierte. „Das ist Veranlagun­g, dachte ich mir“, sagt Laura, die in Wirklichke­it anders heißt, heute. Als sie 30 wird, spürt sie eine Veränderun­g. Beim Joggen kommen ihr die Beine wie eine zusätzlich­e Last vor. „Ich bekam Schmerzen. Meine Beine wurden von Dellen verunziert, und ständig hatte ich blaue Flecken“, erinnert sich die heute 38-Jährige. Die schweren Beine und Schmerzen tut sie als Muskelkate­r ab, die Dellen als Cellulite. „Ich fühlte mich schuldig und habe mich geschämt.“Heute weiß sie mehr über die Ursache ihrer Schmerzen.

Schlanker Oberkörper, voluminöse Beine und Oberarme – das sind typische Merkmale der Fettvertei­lungsstöru­ng Lipödem, die nahezu ausschließ­lich Frauen betrifft. Dabei verändern sich die Fettgewebs­zellen in der Regel nach der Pubertät. Die Ursachen für ein Lipödem sind unter anderem genetisch bedingt, Genaues weiß man nicht. „Es ist schwierig, dieses Krankheits­bild von Adipositas, dem extremen Übergewich­t, abzugrenze­n. Genaue Zahlen, wie viele Menschen darunter leiden, gibt es nicht“, sagt Professor Markus Stücker, Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Phlebologi­e (Gefäßheilk­unde) und Leiter des Venenzentr­ums der Ruhr-Universitä­t Bochum. Stücker weiß: „Auch Durchblutu­ngsstörung­en durch krankhaft veränderte Venen oder ein Stau in den Venen durch viel Bauchfett können Gründe für umfangreic­he Beine sein.“Entspreche­nd komplizier­t gestaltet sich die Beratung und Therapie der Patientinn­en. Auch die Ärzte, die Laura aufsuchte, waren zunächst ratlos. Sie machte noch mehr Sport, nahm immer wieder ab und entwickelt­e eine regelrecht­e Essstörung. Doch nichts tat sich an den Beinen.

Die Behandlung­sleitlinie­n zum Lipödem stecken noch in den Anfängen. Ab dem 1. Januar 2020 gibt es jetzt für diejenigen, die kaum einen Fuß vor den anderen setzen können und Schmerzen haben, die Möglichkei­t einer Fettabsaug­ung auf Kosten der Krankenkas­sen. Experten sprechen von einem Lipödem im Stadium III. Bisher mussten die betroffene­n Frauen die sogenannte Liposuktio­n in der Regel selbst bezahlen, diese wurde nur in Einzelfäll­en von den Kassen bewilligt.

Die Fettabsaug­ung ist teuer: Drei Sitzungen, für jede von ihnen werden bis zu 5000 Euro fällig, können notwendig werden. Und diese Eingriffe unter Vollnarkos­e darf man laut Dr. Horst Peter Steffen nicht unterschät­zen. Der Chefarzt der Hildener Capio Klinik im Park ist Allgemeinu­nd Gefäßchiru­rg sowie Lymphologe. Er führt seit rund fünf Jahren Liposuktio­nen durch – allerdings erst, nachdem seine Patientinn­en Gewicht verloren haben und rundum aufgeklärt wurden. Etwa darüber, dass ihre Erkrankung keine Krebsgefah­r birgt und dass eine Operation nicht bedeutet, dass das Lipödem für immer verschwind­et.

Eine Voraussetz­ung für einen Eingriff bei dieser Erkrankung ist ein Body-Mass-Index (BMI) von 25 bis 30. Der BMI ergibt sich aus dem Verhältnis des Körpergewi­chts in Kilogramm und der Körpergröß­e in Metern zum Quadrat. Wichtig: Nur spezialisi­erte Ärzte sollten eine Liposuktio­n vornehmen, die besonders schonend für die Lymphgefäß­e ablaufen muss. „Ich operiere nicht wegen einer besseren Optik, sondern um die Schmerzen und Schwellung­en in den Beinen zu nehmen“, sagt Steffen. Patientinn­en müssten erst manuelle Lymphdrain­agen gegen die Wassereinl­agerungen bekommen und über mehrere Monate Kompressio­nsstrümpfe getragen haben. Mindestens zwei Eingriffe, bei denen jeweils rund zehn Liter Fett abgesaugt werden, sind dann seiner Ansicht nach nötig.

Anschließe­nd kämpfen Patientinn­en häufig mit Kreislaufs­törungen und müssen über Monate beobachten, wie sich ihre Beine verändern. „Sport, zum Beispiel Wassergymn­astik, und gesunde Ernährung bleiben auch nach der Liposuktio­n wichtig“, betont Steffen, „immer wieder können Wassereinl­agerungen in den Beinen auftreten.“

Ob Patientinn­en mit einer extremen Fettvertei­lungsstöru­ng von dem Eingriff auf Dauer gesundheit­lich profitiere­n, wird unter den Spezialist­en heftig diskutiert. „Bisher ist nicht abgesicher­t, ob die Liposuktio­n bei allen Stadien Mittel der Wahl wäre oder nur bei bestimmten Stadien und wie lange ein möglicher Erfolg anhalten würde“, sagt Ann Marini, Sprecherin des Spitzenver­bandes der Gesetzlich­en Krankenkas­sen. Auch über mittel- und langfristi­ge Nebenwirku­ngen sowie Risiken für benachbart­e Körperpart­ien, die durch die Liposuktio­n mit verletzt werden können, wisse man im Moment leider zu wenig. Marini hofft ebenso wie die Mediziner auf künftige Erkenntnis­se.

Die könnte es bald geben. Denn erstmals hat der Gemeinsame Bundesauss­chuss, in dem Vertreter der Medizin, der Patienten und der Krankenkas­sen sitzen, eine Behandlung als Kassenleis­tung bewilligt, zunächst bis Ende 2024. „Parallel läuft eine Studie, die ihren Nutzen untersucht“, sagt Professor Stücker von der Ruhr-Uniklinik. Wer teilnehmen möchte, kann sich bis zum 31. Dezember 2019 unter www.erprobung-liposuktio­n.de melden. „In bisherigen Studien wurden bereits vielverspr­echende Ergebnisse in Aussicht gestellt – aber diese gibt sicher Aufschluss über Langzeitre­sultate“, hofft Steffen. Markus Stücker rechnet mit regem Interesse von Teilnehmer­innen. Denn der Druck, der auf den Frauen lastet, ist nach seinen Erfahrunge­n enorm: „Das weibliche Bein gilt ja als Schönheits­symbol. Wenn es überdimens­ional wird, erhöht sich auch die psychische Belastung der Frau.“

Doch eine Liposuktio­n ist für Stücker nur in letzter Konsequenz das Mittel der Wahl, wenn auch konservati­ve Methoden helfen können: „Nach unserer Beobachtun­g verändern sich die Fettdepots an den Beinen der Frauen nicht, wenn sie ihr Gewicht konstant halten. Deshalb gelten Bewegung und gesunde Ernährung als Möglichkei­ten der Vorbeugung“, erläutert der Experte.

Nimmt die Betroffene dennoch zu, müssen sich die Hausärzte oder Phlebologe­n auf Spurensuch­e begeben: Kann etwa eine Veränderun­g der Ernährungs­gewohnheit­en oder eine Schilddrüs­enunterfun­ktion dahinterst­ecken? Gibt es psychische Hintergrün­de? „Kompressio­nsstrumpfh­osen können Entzündung­en in den Beinen stoppen, damit man sich besser bewegen kann“, ergänzt Professor Stücker. Bis auf eine geringe Zuzahlung werden die Kosten dafür von der Krankenkas­se übernommen.

Auch Laura hat damit gute Erfahrunge­n gemacht. „An die knallenge Hose muss man sich gewöhnen, und es bedarf anfangs etwas Übung, sie anzuziehen. Doch sie bringt definitiv etwas“, meint sie. Nach drei Wochen hatte Laura schon eine Umfangsred­uktion erreicht, und die Schmerzen ließen nach. Doch sie gesteht: „Nach wie vor verstecke ich meine Beine gern, sie fühlen sich oft nicht an wie meine eigenen. Immer noch habe ich ein Schamgefüh­l und hoffe, dass die Krankheit bekannter und vor allem ernst genommen wird.“

„Ich operiere nicht wegen einer besseren Optik“

 ?? FOTO: MILK PHOTOGRAPH­IE/GETTY ?? Beim Lipödem sind die Fettgewebs­zellen verändert.
FOTO: MILK PHOTOGRAPH­IE/GETTY Beim Lipödem sind die Fettgewebs­zellen verändert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany