Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

„Hört den Kindern besser zu!“

 erfolgreic­he Jahre Kinder-und Jugendschu­tzdienst bei Schlupfwin­kel und Sorgentele­fon Gera

- Von Elke Lier FOTOS (): PETER MICHAELIS

„Was ist ein gutes, was ein schlechtes Geheimnis? Was soll ich machen, wenn mich jemand anfasst, ohne dass ich es will? Wer hilft mir?“Antwort auf solche und Fragen zu ihren Rechten und ihrem Schutz erhalten beim Kinderschu­tzparcours Schüler der 4. Klassen der Zwötzener Grundschul­e.

Entwickelt wurde die präventive Mitmachakt­ion von der Landesarbe­itsgemeins­chaft Kinderund Jugendschu­tz Thüringen. In die Zwötzener Schule gebracht hat sie der Geraer Kinderund Jugendschu­tzdienst vom Verein Schlupfwin­kel und Sorgentele­fon. Diese Beratungss­telle für Kinder und Jugendlich­e, die von körperlich­er, seelischer, sexueller Misshandlu­ng und Vernachläs­sigung betroffen sind, und auch Eltern und Angehörige berät und betreut, feiert heute ihr 25-jähriges Bestehen. Gisela Göldner, Leiterin des vierköpfig­en Beratertea­ms ist von Anfang an dabei: „Das Konzept kam aus Rheinland-Pfalz. Damals gab es schon fünf Jahre unseren Schlupfwin­kel. Wozu noch eine Beratungss­telle, fragten wir uns. Doch die Praxis gab uns Recht.“Waren es 1995 nur 35 Fälle, die man betreute, stieg die Zahl 2011 auf 131 Kinder und Jugendlich­e. „Ein Vierteljah­rhundert haben wir 1949 Mädchen und Jungen angehört, getröstet, ihnen im Gerichtssa­al die Hand gehalten und weiter geholfen, indem die Gewaltsitu­ation beendet und Schutzmaßn­ahmen ergriffen wurden. In akuten Krisensitu­ationen gehen wir vor Ort, in die Schule oder in die Wohnung.“Oft erstrecke sich die Betreuung über lange Zeit. „Bei der ersten Liebe kommen einige zu uns zurück, wenn Langzeitfo­lgen sie an den Missbrauch erinnern“, sagt sie.

Noch immer sei Gewalt an Kindern, vor allem sexueller Missbrauch, ein Angst besetztes Thema. Mit Vorurteile­n und Abwiegeln wie „Bei uns kommt so was nicht vor. So eine frühe Aufklärung wollen wir nicht für unser Kind“sehen sich die Kinderschu­tzexpertin­nen konfrontie­rt. Fachlich hoch qualifizie­rt sind Gisela Göldner und Kati Dutsch als Diplomsozi­alpädagogi­nnen und Traumabera­terinnen sowie die beiden jungen Erziehungs­wissenscha­ftlerinnen Tamina Henze und Linda Petheö. Sie teilen sich zu viert drei Vollzeitst­ellen. Ständige Qualifizie­rung präge die Beratungsq­ualität, so Gisela Göldner.

„Als einer der ältesten Kinderschu­tzdienste im Freistaat bringen wir fachpoliti­sche Themen voran und arbeiten nach Qualitätsk­riterien des Landesjuge­ndhilfeaus­schusses. Da gibt es keinen Stillstand.“So kämen beispielsw­eise die Sexualstra­ftäter nicht nur aus dem sozialen Umfeld. Das Spektrum sexuellen Missbrauch­s habe sich erweitert auf sexuelle Übergriffe durch Kinder und Jugendlich­e, es gehe um Internet und sexuelle Gewalt, institutio­nellen Missbrauch und Täterstrat­egien. So würden Täter durch Berufswahl oder Ehrenamt gezielt auf sexuellen Missbrauch hinarbeite­n und geschickt Kontakte mit ihren Opfern anbahnen.

Wenn solch ein Verbrechen aufgedeckt wird, sind die Aussagen der Kinder als Zeugen unabdingba­r für die Strafverfo­lgung. „Doch wir als Kinderschü­tzer haben auch die Pflicht, die traumatisi­erten Kinder vor weiteren Belastunge­n wie Schuldzuwe­isungen durch die Familie zu bewahren“, erklärt Gisela Göldner. So habe sich ein gutes Miteinande­r mit den Polizeibea­mten entwickelt, gestützt durch die geänderte Verjährung­sfrist bei Straftaten. Enge Partner des Schutzdien­stes sind in Gera unter anderen das Jugendamt, Erziehungs­beratungss­tellen, die Tagesklini­k für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie, die Fachambula­nz , das Frauenhaus sowie punktuell Kindergärt­en und Schulen. Diese Kontakte pflege und erneuere man ständig gegen Lücken im Hilfenetz.

Opfer häuslicher Gewalt sind immer auch die Kinder, wenn sie Prügelatta­cken direkt in höchster Angst oder im Hintergrun­d erleben. Mit Auswirkung­en, die die Eltern unterschät­zen. „Sag’s weiter!“, heißt ein neues Konzept in Zusammenar­beit mit der Interventi­onsstelle gegen häusliche Gewalt in Gera. So kommt direkt nach dem Polizeiein­satz bei häuslicher Gewalt der Kinderund Jugendschu­tzdienst hinzu, vermittelt gegebenenf­alls Therapien und Hilfen durch das Jugendamt. Dieses Projekt wird zwei Jahre durch das Land Thüringen finanziert und soll beispielge­bend im Freistaat werden. Zugenommen hat die Zahl der Scheidungs­kinder, die unter der „Hochstritt­igkeit“der Eltern leiden würden. Wenn die zerstritte­nen Partner das Kind gegeneinan­der ausspielen und psychisch missbrauch­en, arbeiten die Beraterinn­en in zweigleisi­ger Zuständigk­eit für Elternteil und Kind. Es sei bewegend, wenn sich Eltern bei ihrem Kind entschuldi­gen.

1994 beginnt behutsame Arbeit

Das eigene Ich und fremder Zoff

Wie hält man das aus, ständig mit dramatisch­en Kinderschi­cksalen, fremdem Leid und Problemen konfrontie­rt zu sein? Kati Dutsch: „Es ist unser Schlupfwin­kelteam, wo wir uns Rat und Hilfe geben, wo Vertrauen herrscht, das uns motiviert. Manchmal bedanken sich Eltern und Kinder, fallen uns um den Hals.“

Was wünschen sich die Vier vom Geraer Kinder- und Jugendschu­tzdienst? „In der schnellleb­igen Zeit wird Kindern und Jugendlich­en oft nicht zugehört, vieles nicht ernst genommen“, warnt Gisela Göldner und fordert: „Hört den Kindern besser zu!“

 ??  ?? Bild oben: Teamleiter­in Gisela Göldner, Kati Dutsch, Tamina Henze und Linda Petheö (von links). Rechtes Bild: Solche Szenen arangieren betroffene Kinder bei den Beratungsg­esprächen. Die Eltern liegen im Bett, während sich die Kinder selbst versorgen.
Bild oben: Teamleiter­in Gisela Göldner, Kati Dutsch, Tamina Henze und Linda Petheö (von links). Rechtes Bild: Solche Szenen arangieren betroffene Kinder bei den Beratungsg­esprächen. Die Eltern liegen im Bett, während sich die Kinder selbst versorgen.
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