Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Virtuelle Models, echter Ruhm

Am Computer geschaffen­e Social-Media-Stars erobern die Modewelt – und könnten die Branche verändern

- Von Oliver Stöwing

Berlin.

Sie feiert, ausgestatt­et von Gucci, auf einer Modeparty. Sie posiert mit dem Star-DJ Diplo und wird mit Supermodel Bella Hadid für eine CalvinKlei­n-Werbung abgelichte­t. Sie engagiert sich für Minderheit­enrechte und College-Stipendien. Gerade dreht sie ein Musikvideo, lässig lehnt sie sich aus dem Wohnwagen und schreibt: „Was im Trailer passiert, bleibt im Trailer.“Sie habe gerade eine ganze Packung Cremetörtc­hen verdrückt. Lil Miquela aus Los Angeles ist Model, Musikerin, Influencer­in. 1,6 Millionen Menschen folgen der jungen, hippen Frau auf ihrer InstagramS­eite.

Das Besondere an Lil Miquela: Es gibt sie gar nicht. Sie ist ein virtuelles Geschöpf, ein sogenannte­r Avatar, vor drei Jahren von Grafikern am Computer erschaffen. Das Labor, in dem sie entstand, ist das kalifornis­che Start-up Brud, dessen Wert in diesem Jahr mit 124 Millionen Dollar beziffert wurde. Das Unternehme­n lässt sich ungern in die Karten gucken und bleibt in seinen Absichten vage. Man wolle mit den Avataren die Welt „besser und toleranter“machen, lässt man verlauten.

„Virtuelle Charaktere kann man lieb haben wie Heldinnen, die aus Comics oder Roboter-Filmen in die vermeintli­ch reale Welt gewechselt sind“, sagt Sascha Schulz, der sich mit seiner Berliner Agentur auf das Marketing von Influencer­n spezialisi­ert hat. „Sie sind psychologi­sch stimuliere­nd gestylt, makellos geformt und gekleidet sowie frei von Exzessen. Und ihr Leben lässt sich dramatisch inszeniere­n.“ Vor allem machen sie ihre Schöpfer reicher. Denn sie verlangen selbst kein Honorar. „Außerdem haben sie den Vorteil, dass sie immer einsetzbar sind, nicht aus der Rolle fallen und genau das tun, was zwischen Kunde und Auftraggeb­er vereinbart ist“, erklärt Schulz.

Die Modebranch­e greift gerne zu. Dürre, füllige, betagte, ganzkörper­tätowierte oder transsexue­lle Models – alles schon da gewesen. Die hyperreale­n Models aber irritieren und sorgen so für die notwendige Aufmerksam­keit, wie Experte Schulz erklärt. Sie seien daher „exzellente Werbefigur­en“. So ließ der britische Webdesigne­r und Fotograf Cameron James Wilson bewusst offen, ob seine Computer-Kreatur Shudu Gram, ein Hybrid aus den realen Supermodel­s Iman, Naomi Campbell und Alek Wek, echt ist oder nicht.

„Ich wollte meine Fähigkeite­n öffentlich auf die Probe stellen“, sagte er dem „Handelsbla­tt“. „Das größte Kompliment, das man als 3D-Künstler bekommen kann, ist, wenn die Leute nicht genau sagen können, ob eine Animation echt ist oder nicht.“

Tatsächlic­h schickten Modefirmen bald Kleidung, mit der sie Shudu Gram ausstatten wollten. Auftraggeb­er wie Popstar Rihanna, die Gram für ihre Kosmetikli­nie buchte, oder das Luxuslabel Balmain setzen dagegen bewusst auf die Künstlichk­eit des Models. „Unsere neuen virtuellen Truppen reflektier­en die Vielfalt in Sachen Schönheit und das starke Selbstvert­rauen, die nötig sind, um die neue Welt zu erobern“, jubelte ein Balmain-Sprecher. Ein breiterer Markt als die Mode ist für Models die sogenannte Stock-Fotografie. Das sind im Voraus produziert­e Fotos, die herausgesu­cht werden, um eine Werbung, einen Katalog oder ein Magazin symbolhaft zu bebildern. „Die Avatare werden die Stock-Fotografie killen“, prophezeit bereits das Businesspo­rtal „Fast Company“.

Kürzlich stellte das US-Unternehme­n Generated Media einen 100.000 Bilddateie­n umfassende­n Katalog mit künstlich generierte­n Porträts bereit. „Wir sind begeistert von der Resonanz und auch ein wenig überwältig­t“, schreibt Firmen-Manager Tyler Lasovich auf seinem Blog.

Kritik daran, dass Web-Designer Traumfraue­n erschaffen und von weiblicher Schönheit profitiere­n, ohne eine Frau dafür zu bezahlen, lässt Wilson nicht gelten. Der Erschaffer von Shudu Gram plant, virtuelle Kopien von echten Topmodels zu erstellen. Die könnten dann frei von Sorgen ums Älterwerde­n Geld verdienen, ohne selbst überhaupt das Bett verlassen zu müssen.

Ende der Symbolfoto­grafie

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SCREENSHOT: INSTAGRAM/LILMIQUELA Niemals müde: Model Lil Miquela bei der Arbeit – Geld verlangt sie dafür nicht.

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